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Mavi Phoenix beim Popfest 2021 auf der Großen Bühne der Arena Wien

Patrick Wally

Wo stehst du mit deiner Kunst?

Wir haben Platz: Im Land, im Herzen, in der Arena in Pandemiezeiten. Tag 3 beim humanistischsten Popfest bisher, featuring Mavi Phoenix, Yugo, Pauls Jets, Culk.

Von Katharina Seidler

Wo stehst du mit deiner Kunst, Baby? Vielleicht stehst du auf einer großen Open Air Bühne in einem ehemaligen besetzten Schlachthaus und stellst der Menge dein wahres Ich vor, herausgeschält aus zwanzig Jahren voll falscher Zuschreibungen und Erwartungshaltungen. Vielleicht erzählst du mit tiefer Stimme, dass du noch nie so nervös warst vor einem Gig, im positiven Sinne, denn hier entsteht eine neue Offenheit und Intimität zwischen dir und 2500 Menschen. Mavi Phoenix hat nicht nur beim Popfest, sondern auch in der Arena schon mehrmals gespielt, drinnen wie draußen, als Newcomer wie als Headliner, und dennoch stellt der heutige Abend eine Besonderheit dar. Hier steht ein neugeborener Künstler, er wirkt gelöst und erleichtert wie nie, und man kann ihm dabei zuhören, wie er andere musikalische Ideen und Wege ausprobiert, beschreitet, auf der Zunge zergehen lässt, verwurstet oder auch wieder verwirft, aber immer etwas dabei lernt.

Tip tap I’m going on
To write your favorite song
You knew it all along

Mavi Phoenix hat sich also wieder der Gitarre aus dem Jugendzimmer zugewandt, und auch, wenn sich das altersmäßig vielleicht nicht ganz ausgeht, fühlt man sich sofort versetzt in die Zeit von Pavement, Beastie Boys und Placebo, Oversized Karohemden, Latzhosen und Stimmungsringen. Mit der aktuellen Single „Tokyo Drift“ hat er einen seiner besten Songs seit Langem im Köcher, dazu eine freshe Band wie aus dem Alternative Paradies und tausende Fans im Rücken. „Wenn ihr die Lyrics zum nächsten Song kennt, bitte singt mit, denn er ist mega hoch“, sagt er im Intro zu „Love Longtime“, und das Publikum kommt seiner Bitte gerne nach. „Wir wollten ihn unbedingt im Programm haben, weil er für so viel Mut steht“, sagt Co-Kuratorin Esra Özmen über Mavi Phoenix, und das Arena-Abschlusskonzert an diesem Popfestsamstag gibt ihr Recht.

Wo stehst du mit deiner Kunst? Schreib es nicht in dein Facebook, du musst es raus in die Nacht schreien. Mehr denn je stehen die Acts des Popfests für Haltung und Courage, allen voran Kid Pex, der für seinen Aktivismus hoffentlich bald sämtliche platinenen Ehrenzeichen des Landes bekommt und vor dem Auftritt von Mavi Phoenix noch einmal die Bühne betritt. „Nazis“ heißt die aktuelle Single von Kid Pex feat. Bernhard Rabitsch, Fuchs Mc und Def Ill, sie erklingt an diesem Wochenende zum zweiten Mal. „Aus Lueger wurde Hitler, Waldheim - Haider, Haider - Strache, und aus unserer Außengrenze: Blutige Lacke.“ Diese Wahrheit schmerzt, und umso besser tun die erneuten „Alerta Antifascista“-Chöre aus dem Publikum sowie die Gaststrophe von Esra Özmen, die uns daran erinnert, dass wir gemeinsam hier sind und eine gemeinsame Verantwortung tragen: „Du hast Nazis - ich hab Freunde dabei, ich hab Schwestern dabei, ich hab Brüder dabei.“

Freund*innen und Familie, von Mama bis Schwester, hat auch Co-Headliner Yugo dabei, der die zweitgrößte Bühne seiner bisherigen Karriere (nach Donauinselfest) wenig überraschend mit Leichtigkeit nimmt. Vor Kurzem ist er im Fluc, Las Vegas-Style, an fünf aufeinanderfolgenden Tagen aufgetreten, und hat davor soviel geprobt, dass die Stimme vor den Shows weg war. „Gut eingespielt“ wäre demnach eine Untertreibung für Yugo und seine Crew; auch Slav retourniert den Gastauftritt von vor zwei Tagen bei der gemeinsamen Nummer „Läuft“. Nur die traditionelle Bilderbuch-Coverversion von „Baba“, ausgerechnet eines Songs, der vielen von Yugos eigenen Werken nicht das Wasser reichen kann, müsste eigentlich nicht sein.

Die Rap-Aufsteigerin GYAL hat durch die Gleichzeitigkeit zu Yugo sicher keinen glücklichen Slot, bei ähnlichem Zielpublikum, ausgefasst; bei einem zehnminütigen Abstecher zu ihrem Gig war leider außer einem DJ-Set von Tschickgott keine Performance von ihr auszumachen. Später bei Skofi & Skyfarmer hingegen dampft die Sommernacht in heißen Wolken aus der kleinen Halle, die entspannte Kühle ihrer trappigen R’n’B-Tracks weicht live einer sinnlichen Präsenz.

„Den folgenden Track widmen wir allen Menschen, die die Musik zu ihrem Lebensinhalt machen. Was soll man auch sonst tun“, sagt Paul Buschnegg, ganz in weiß, inmitten des Jets-Sets am frühen Popfest-Samstagabend. Pauls Jets-Songs sind selbst in ihren rauesten Interpretationen eigentlich immer Liebeslieder auf die eine oder andere Art, melancholisch glitzernde, herrlich seltsame Songgedichte, die live vor allem durch luftige Zufälle, spontane Noise-Ausbrüche, kleine Lyric-Schlenkerer sowie die Percussions des neuesten Jets-Mitglieds Kilian profitieren. „Ich bin allein, aber das kann auch schön sein", heißt es zwar in „Die Häuser schauen schief aus“, aber wenn man 400 Millionen durch 3 dividiert, weiß man am Ende auf jeden Fall: So richtig allein bist du nie.

Die Radikalität und das Rebellentum, das das Kurator*innen-Team in seinem Popfest-Programm so gekonnt beschwört, schlägt sich bei den Wiener Postpunk-Dichterinnen CULK in mehrfacher Hinsicht nieder. „Straßenseiten wechseln / Fremde Blicke, neue Wege testen / Zieh die kurze Hose lang“, heißt es etwa in „Nacht“, und Texterin und Multiinstrumentalistin Sophie Löw legt in ihren klaren Texten den Finger auf allzu bekannte Bruchstellen im Alltag. Der Slot in der strahlenden Nachmittagssonne tut CULK, die oft als reine Geschöpfe ebensolcher Nächte wahrgenommen werden, sichtlich gut; die Setlist aus den treibensten, rockigsten Songs ihrer zwei sehr guten Alben feuert die politische Message und den expliziten Feminismus dieser Band mit Punch und Kraft in den blauen Himmel.

Vor dem traditionellen Abschlussabend in der Karlskirche sei zum Abschied von der Ausweichlocation Arena noch gesagt, dass sie für ein Festival dieser Größe geradezu ideal ist. Selbst unter der dräuenden Delta-Wolke fühlte man sich im weitläufigen Areal immer sicher, es gibt genügend Platz, WCs, Bars, Essen, Schatten und Licht, der Sound ist - vor allem in Bezug auf das Popfest bemerkenswert: - großartig, es gibt Wiesen, Balkone, Ebenen zum Zuhören und solche zum Plaudern. Bis später zur Andacht!

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