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Martin Blumenau

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Die Revox-Queen

Erinnerungen an Martin Blumenau von früher.

Von Robert Rotifer

Ich kann nichts erzählen über den Martin Blumenau der letzten 24, 25 Jahre. Ich sah ihn nur an seinem Schreibtisch sitzen, wenn ich ein- oder zweimal im Jahr bei einem Wien-Besuch im Funkhaus oben in der FM4-Redaktion vorbeischaute. Er saß dann hinter seinen Stapeln von Zeitungen und Magazinen, und wir führten die klassischen Alte-Bekannte-Gespräche, wo einem nichts von Belang einfällt, weil man ja nicht weiß, wo man anfangen soll.

Erinnerungen an Martin Blumenau

Wir trauern um Martin Blumenau
Nach kurzer schwerer Krankheit ist Martin Blumenau am 30.7.2021 in Wien verstorben.

Aus der Redaktion: Erinnerungen an Martin Blumenau

Thomas Edlinger: „Er war neugierig, begeisterungsfähig und streitbar.“

Reaktionen zum Tod von Martin Blumenau: Wichtige Kratzbürste, Forderer und Förderer

Meistens geriet ich dabei in die Rolle des Besorgten, der wissen will, was gerade so im Busch ist, und er in die Rolle des abgeklärten Kalmierers, der immer abwinkt, weil irgendwie eh immer alles beim Alten bleibt, und das machte mich innerlich dann ein wenig wütend. Nicht zuletzt, weil es so offensichtlich nicht zu dem wachsamen Blumenau passte, der in seinen Blogs immer so konsterniert vom Kippen der Republik geschrieben hatte, dem politisch Daueraufgeregten, als den ich ihn auch gekannt hatte. Ich spürte, dass er mir nur mehr eine Fassade zeigte, und das traf mich irgendwie.

Ich kann also nichts über den Martin Blumenau erzählen, an den sich die Kolleg*innen aus Wien erinnern, die in den letzten Jahrzehnten täglich mit ihm zu tun hatten, hab von England aus auch nicht seine Bonustrack-Sendungen gehört, weiß nichts von der Persona, die er darin entwickelt hat. Ich habe nun einige der Nachrufe und Erinnerungen der anderen gelesen, vieles davon ist mir völlig neu. Mein Bild von Blumenau ist dagegen ein altes, eingefroren im vorigen Jahrhundert, beginnend irgendwo in den frühen bis mittleren Achtzigern, als er so Anfang, Mitte zwanzig war und ich ein werdender Teenager. Dementsprechend unzuverlässig sind diese Erinnerungen, aber verzeiht mir, ich will jetzt nicht nachschlagen und nachfragen, sondern einfach nur aufschreiben. Alles Weitere daher ohne Gewähr, aber auch sicher nicht erfunden:

Die bürgerliche Tageszeitung Kurier startete damals, inspiriert vom Boom dessen, was man New Wave nannte, weil „Neue Deutsche Welle“ für Österreich dann doch zu bedenklich klang, eine spezielle Pop- und Jugendseite namens „Top“. Meine Haltung dazu als Teil der jugendlichen Zielgruppe war natürlich skeptisch. Was hatte der Kurier uns schon zu erzählen, die wir zwar noch gar nichts, aber schon längst alles besser wussten? Aber bald fiel auf, dass auf dieser „Top“-Seite auch Geistesverwandte unterwegs waren. Vor allem jenes bissige kleine Kästchen am Seitenrand, die „Top-Zitrone“, die an peinlich verirrte Popstars vergeben wurde, die ihre Zeit nicht (mehr) verstanden, traf oft sehr zielgenau die richtigen.

Erst viel später wurde mir klar, dass unter anderem ein junger Martin Blumenau hinter „Top“ gestanden war (Andere wissen fraglos genau, wer sonst noch dabei war, ich war noch ein Kind). Er war also damals schon ein wirklich prägender Teil unserer popkulturellen Sozialisation. Pop bestand, so wurde uns vermittelt, nicht nur aus Gutfinden oder Nichtgutfinden von Songs, es war ein Politikum mit Regeln, von denen meine politikbesessene Elterngeneration keine Ahnung hatte.

Das erfuhr man auch von den Stimmen, die um drei Uhr Nachmittag aus dem Radio kamen, wenn man eigentlich hätte Aufgaben machen sollen und stattdessen die Ö3 Musicbox hörte. Stimmen von Leuten wie Wolfgang Kos, Michael Schrott, Rainer Rosenberg, aber dann auch immer mehr die Stimmen von Walter Gröbchen, Werner Geier, Fritz Ostermayer... und eben Martin Blumenau (alles Männer, an die ich mich hier erinnere, und ja, das fiel einem damals eh auch auf, aber Musik-Auskennertum galt einstweilen noch als Männerkrankheit, allerdings nicht unhinterfragt, schon gar nicht in Sendungen wie der Musicbox, diese Debatte war längst im Lauterwerden).

Alle diese Männer hatten schöne Stimmen und pflegten einen gemeinsamen bedeutungsschwangeren Duktus, vor allem wenn sie etwas pathetisch übersetzte Songzitate verlasen (Songschreiben, das lernte ich daraus, ist genauso wichtig wie Lyrik, Literatur), aber Blumenaus Tonfall hatte was besonders Nahbares, saß ein bisschen weniger hoch oben auf der vom pubertären Hörer imaginierten Kanzel der verkündeten Popweisheiten aus einer sich gerade formulierenden Indie-Ästhetik, zu der man noch nicht so sagte.

Daher wurde ich auf Blumenaus Stimme – im Gegensatz zu manch anderen – auch nie allergisch, selbst wenn ich die Musik, die die Musicbox spielte, manchmal scheiße fand (Das ist ja immer das Missverständnis: Natürlich fand ich diese Sounds oft scheiße, irritierend, nervtötend, das musste ja auch so sein. Es ging schließlich um Musik, die in verschiedene Richtungen vom Konsens abwich. Einmal schwärmte einer von Nick Cave, dann einer von Throbbing Gristle, The Fall, Aztec Camera, Orange Juice, aber manchmal auch von Springsteen, Die Brüder, Paolo Conte, R.E.M. oder den Blue Aeroplanes, wer sollte das ALLES mögen? Wenn ich Blumenaus Stimme hörte, war ich jedenfalls ziemlich sicher, dass ich mit auf die jeweilige Reise gehen konnte. Er war nicht einer von jenen, wo man den Verdacht hatte, sie wollten einen mit Extremen beeindrucken.)

Ich weiß nicht mehr, wann genau das Unvermeidliche geschah und die bei der großen Mehrheit der Büroangestellten, Taxifahrer und sonstigem Daytime-Publikum verhasste Musicbox in die Nacht verlegt wurde, aber als Teenager in Wien mit nächtlichem Sozialleben verlor ich sie zwangsläufig aus den Ohren. Sie blieb eine geschätzte Institution im Hintergrund. Und dann kam das Ende der Achtziger, als sich alles in Europa verschob, keineswegs nur auf – wie im Nachhinein gerne dargestellt – befreiende, sondern durchaus auch auf eine sehr verunsichernde, bedrohliche Art. Der Kapitalismus, erklärte man uns, habe gewonnen, und ihr fragt euch jetzt, was zum Himmel das in einem Blumenau-Nachruf zu suchen haben soll?

Nun, meine Eltern abonnierten damals die sozialdemokratische Arbeiter-Zeitung, ein verlässliches, ziemlich trockenes, von Popkultur kaum berührtes Medium mit schwindender Leser*innenschaft, und so wie alles in jenen Tagen, musste auch diese Zeitung radikal reformiert werden: Als Tabloid statt Broadsheet, das sah gefährlich nach Boulevardisierung aus, mit einem neuen brodyesken „AZ“-Logo ohne ausbuchstabierte Abkürzung, weil „Arbeiter“ doch so furchtbar gestrig klang, noch dazu mit einem Fernsehsprecher (Robert Hochner) als Chefredakteur.

Dementsprechend dauerte es eine Weile, bis sich bei uns zu Hause der Gesamteindruck „positiv überrascht“ durchgesetzt hatte, aber bis dahin hatte ich schon meinen Lieblingsteil der neuen AZ entdeckt: Die tief im Blattinneren versteckte Pop-Seite, großteils geschrieben von Martin Blumenau. Darin ging es endlich nicht bloß um die ewig gleichen großen Namen, sondern manchmal sogar um Bands aus Österreich, entscheidenderweise von außerhalb des alles monopolisierenden Austropop-Kosmos. Blumenaus Stil klang dabei so offenherzig und im Gegensatz zum elitären Klüngel der Wiener Indie-Szene gänzlich unborniert, dass ich ihm selbst vor einem Konzert ein Kassetten-Demo an die AZ-Adresse schickte. Ich weiß nicht mehr, ob solo oder mit einer Band, die sich kurzfristig The Concrete Boots nannte, es ist auch nicht von Belang. Schon erstaunlich ist aber, dass Blumenau einen sehr freundlichen Absatz darüber schrieb. Über Musik ohne Plattenvertrag oder Management, in einer österreichischen Tageszeitung.

Ein Jahr oder so später, das Experiment der neuen AZ war mittlerweile kommerziell gescheitert und Martin Blumenau Redakteur der progressiven Jugendsendung Ö3 Zick Zack geworden, hatte ich meine erste persönliche Begegnung mit ihm. Wieder das Caveat, meine Erinnerung mag trügen, aber ich glaube, es waren er und Martin Pieper, die uns betreuten, als ich, eine Linzer Ska-Band und noch ein paar andere junge Musiker*innen verschüchtert vor dem Funkhaus-Empfang auftauchten.

Wir hatten alle auf einen Aufruf von Zick Zack reagiert, Demo-Bänder einzuschicken. Die besten Einsendungen wurden zu einer Live-Session im Radio eingeladen (war Mirjam Unger die Moderatorin?). Da lernte ich den Blumenau kennen, von dem ich auch in anderer Leute Nachrufe gelesen habe. Der Blumenau, der dem jungen verschreckten Kaninchen, das ich hinter meiner pseudosouveränen Arroganz war, nicht nur Mut zuredete, sondern einen auch ganz selbstverständlich für voll nahm.

Wieder ein Jahr später hatte ich meinen ersten Job als Redakteur der linken Jugendzeitung Explosiv verloren. Ich wusste, dass Martin Blumenau und Werner Geier in ihren Sendungen manche unserer aufgeregten Texte verlesen hatten, also rief ich auf meiner Arbeitssuche im Funkhaus bei der Musicbox an.

Eine Woche später ging dank dem auch viel zu früh verstorbenen Werner Geier meine erste Musicbox über das damals gerade zugrundegegangene Label Factory Records (Joy Division, New Order, Happy Mondays...) auf Sendung. Während ich in der Redaktion bereits an meinem nächsten Beitrag schnitzte, schaute ein freundlicher, rund bebrillter Martin Blumenau zur Tür herein. Diese graue Tür verband das Reich der Musicbox, wo unter dem strengen Blick der Sekretärin Marian Schönwiese (sie war in Wahrheit sehr freundlich, streng waren nur ihre Augenbrauen) gearbeitet wurde, während Fritz Ostermayer und Werner Geier als die beiden Chefs Hof hielten, mit der Rasselbande von Zick Zack, deren Chef Martin Blumenau kürzlich geworden war.
„Hallo, ich hab gehört, du hast eine Musicbox gemacht?“, sagte er also, „Magst du nicht auch was für Zick Zack machen?“
Ich wusste nicht recht, wie mir geschah, aber sagte enthusiastisch „Ja, sofort!“
„Und worüber?“
(Kramen im Register der Dinge, an denen wir bei Explosiv gearbeitet hatten.)
„Wie wäre es mit einer Reportage über Kickboxen? Als kontrollierter Auslass für Aggressionen, besonders beliebt bei Kindern der Zweiten Generation?“ (So sagte man damals statt „Migrationshintergrund“.)
„Gekauft.“
Wenig später gab er mir ein tragbares Kassettengerät mit einem Riesenmikro in die Hand:
„Du bist ja Musiker, du bist technisch eh firm.“ (Niemand hatte je zu mir gesagt, dass ich, Studienabbrecher, gerade erst 23 geworden, in irgendwas „firm“ sei, aber ich wollte nicht widersprechen.)

Wieder eine Woche darauf saß ich am Tag der Sendung mit Martin und einem Funkhaustechniker im Studio. Ich hatte ein Manuskript und eine Kassette mit Aufnahmen der Gespräche, die ich in der Zwischenzeit mit den Kickboxer*innen und ihrem Trainer geführt hatte, und genaue Notizen, welche Ausschnitte aus diesen Gesprächen vorkommen sollten. Aber ich hatte die Interviews nicht einmal auf Band überspielt, geschweige denn geschnitten. Und das Gesicht des Technikers sagte mir ganz genau, was er von dieser Vorbereitung hielt.

Blumenau dagegen zuckte nicht einmal mit den Wimpern. „Ah, das weißt du nicht, dass du das auf Band spielen und als OT-Kuchen vorbereiten musst? Wie hast’n das bei der Musicbox gemacht?“
„Die hatten ein Tony-Wilson-Interview, das war schon auf Band.“
„Okay“, sagte er, „dann stell dich da an den Kassettenrekorder, spiel uns die OTs vor, und wir kopieren’s schnell raus.“
Ich weiß bis heute nicht wie, aber Blumenau und der Techniker schafften es, meine Reportage innerhalb des Studiotermins fertigzustellen. Er wurde dabei nicht hektisch, nicht verärgert, er freute sich am Ende darüber, dass es eine gute Sendung geworden war. Und ich hatte in zwei oder drei Stunden Studiotermin von ihm gelernt, wie man Radio macht.

Ich erzähle all das nicht nur, weil ich ihm (und einigen anderen Förder*innen jener Zeit) selbst so viel schulde, sondern auch, weil es dem späteren Bild eines ungeduldigen, auf Konfrontation mit den Hörer*innen ausgerichteten Blumenau widerspricht. Aber auch der oft aggressiven Persona, die er später in seinem Journal, den jahrelang täglichen Blogs auf fm4.ORF.at pflegte.

Ich hatte sehr wohl von funkhausinternen Streitereien gehört, wo zwischen ihm und anderen die Brillen geflogen waren, und ich merkte, dass Geier und Ostermayer sich grundsätzlich nicht einmischten, wenn Martin Blumenau in der Musicbox sein Tonjournal produzierte. Aber welche Konflikte da auch immer noch schwelen mochten, sie waren ganz offensichtlich in der Zeit vor mir ausgefochten worden und einer zivilisierten Détente gewichen.

Und das war – trotz so mancher Konflikte, wo es aber immer um die Sache, nicht um die Person ging – auch so, als Ende 1994/Anfang 1995, während ich beim Arbeiter-Samariterbund meinen aufgeschobenen Zivildienst nachholte, die versammelten Redaktionen der Sendungen Zick Zack, Musicbox, Treffpunkt und Nachtexpress der „Durchhörbarkeit“ zuliebe von Ö3 entfernt und – zunächst nur von 19 bis 1 Uhr – auf die Frequenzen des als mehrsprachiges Programm für UNO-Diplomat*innen gegründeten Blue Danube Radio losgelassen wurden.

Das neugegründete FM4 verfügte damals mit dem halbtags von Radio Wien geborgten AR-16 nur über ein kleines Aufnahme- und Sendestudio, als „Selbstfahrer“, also ohne Techniker*in. Drei Zuspiel- und eine Master-Bandmaschine, je zwei Platten- und CD-Spieler wurden vom Mischpult aus per Fader-Start bedient.

Das Jahr 1996 hindurch war ich neben Martin Blumenau einer der Chefs vom Dienst des Senders und bewunderte seine unerschütterliche Gelassenheit. Natürlich wurden die jungen Mitarbeiter*innen – genau wie ich einst bei Zick Zack – mit ihrer Arbeit immer erst am allerletzten Drücker fertig, aber Martin als CvD hatte kein Problem damit, in der letzten Viertelstunde vor der Sendung mit den aufgeregten jungen Beitragsmacher*innen am Pult hinter der Scheibe sämtliche Beiträge der Homebase desselben Abends abzumischen. Und er schaffte es jedes Mal. Wenn er locker hinterm Pult saß, verlangsamte sich der Sekundenzeiger, und alles kam zusammen wie vorhergesehen. Rückblickend denke ich, dass ihn diese Ruhe in Wahrheit viel Energie gekostet haben muss.

Wie eingangs schon gesagt, ich sah ihn nach meinem Umzug nach England Anfang 1997 nicht mehr so oft. Einmal, es muss so Mitte der Nullerjahre gewesen sein, war ich zur Zeit des FM4-internen Weihnachtsfests in der Stadt und nahm an der jährlichen Kür der Revox-Queen teil. Dabei ging es darum, auf den alten Revox-Bandmaschinen, wie wir sie von früher kannten, ein Band mit Versprechern drauf um die Wette sendefertig zu schneiden.

Der ORF hatte längst auf ein digitales System umgestellt, dieser Wettbewerb hatte also eine nostalgische Note. Was, wo die Alten sich austoben konnten. Martin wusste allerdings, dass ich in meinem von der BBC geborgten, vorsintflutlichen Studio in London immer noch mit Tonband arbeiten musste und fürchtete um seinen sicheren Titel.

Natürlich verhedderte ich mich dann aber vor lauter Nervosität, und er schnitt sein Band mit einigen Sekunden Vorsprung fertig. In meiner Erinnerung seh ich ihn noch triumphierend den Arm hochreißen und auf die Play-Taste drücken. Martin Blumenau, du bist und bleibst für immer unsere Revox-Queen. Wir vermissen dich.

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