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Der Ruhm und das echte Leben: Sally Rooneys „Schöne Welt, wo bist du“

Es ist wieder soweit, Sally Rooneys Name steht in den nationalen und internationalen Feuilletons ganz oben. Der neue, dritte Roman der irischen Schriftstellerin mit dem Titel „Schöne Welt, wo bist du“ war einer der meisterwarteten dieses Literaturherbstes. Großteils zurecht.

Von Lisa Schneider

In den Schlagzeilen ist Sally Rooney wegen ihres neuen Romans, aber auch, weil ihr der damit einhergehende, anhaltende Erfolg offenbar nicht ganz geheuer ist. In Interviews mit The Guardian oder The New York Times erzählt sie, sie habe ab einem bestimmten Punkt nicht mehr gewusst, wie und ob sie noch ein Buch schreiben könne. Zu dem Zeitpunkt sind ihre beiden Bestseller-Romane „Gespräche mit Freunden“ (2017) und „Normale Menschen“ (2018, nominiert für den Man Booker Prize) schon in 40 Sprachen übersetzt und letztgenannter zur Serie adaptiert worden.

Sally Rooney hat es schließlich doch getan und nimmt in „Schöne Welt, wo bist du“ vor allem auch die Literaturszene aufs Korn.

Wieso Literatur?

„Habe ich dir erzählt, dass ich keine zeitgenössischen Romane mehr lesen kann? Ich glaube, es liegt daran, dass ich zu viele andere Leute kenne, die sie schreiben. Ich sehe sie die ganze Zeit auf Festivals, wie sie Rotwein trinken und darüber reden, wer wen in New York publiziert“, schreibt Alice, eine der Protagonistinnen in Rooneys neuem Roman, an ihre beste Freundin Eileen. „Wie sie sich über die langweiligsten Dinge auf der Welt beschweren“, erzählt sie weiter, „schlechte Pressearbeit oder schlechte Besprechungen oder dass andere mehr Geld kriegen. Wen interessiert das?“

Buchcover Sally Rooney "Schöne Welt, wo bist du"

Ullstein

„Schöne Welt, wo bist du“ von Sally Rooney erscheint in der deutschen Übersetzung von Zoë Beck bei Ullstein.

Zumindest interessiert es Alice nicht, sie ist selbst erfolgreiche Schriftstellerin. Nach einem Nervenzusammenbruch hat sie sich in einem alten Pfarrhaus in einem verschlafenen irischen Küstenort niedergelassen. Mit ihrer Freundin Eileen, die sich mit ihrem Job als Redakteurin bei einem Literaturmagazin in Dublin über Wasser hält, tauscht sie, aufgrund mangelnder Möglichkeiten einander zu treffen, E-Mails aus.

Das Vierergespann an Figuren wird durch den gutmütigen und noch dazu gläubig katholischen Politikberater Simon, einen Kindheitsfreund von Eileen und On-and-off-Liebhaber, und Felix, einen Warenlagerarbeiter und Alice’ Objekt der Begierde, ergänzt. Vier kluge, schöne und fast noch junge Menschen (alle um die 30 Jahre alt), die mit der Liebe, ihren geheimen Wünschen und unterschiedlichen finanziellen Situationen kämpfen. So weit, so Rooney.

Höchst reflektiert, wie immer

Das filterlose, schon gern mal pathetisch, aber selten kitschige Beschreiben zwischenmenschlicher Beziehungen und ihrer Widersprüche hat einen großen Teil des Erfolges der ersten beiden Romane von Sally Rooney ausgemacht. Außerdem sind ihre Bücher leichte Kost. Auch wenn die Figuren zwischen ihren romantischen Eskapaden den Spätkapitalismus und die Ausbeutung der Arbeiter*innenklasse diskutiert haben, blieb immer auch genug - zwar klug gemacht, aber dennoch - soap opera dabei, um alle Leser*innen bei der Stange zu halten.

Erzähltechnisch ändert sich in „Schöne Welt, wo bist du“ dahingehend nicht viel. Rooney erzählt die Passagen, in denen es um Alice’ und Eileens Leben geht, einmal mehr sehr dialoglastig. Unaufgesetzt und intuitiv, es ist das, was sie am besten kann. Konterkariert wird der Romanfluss aber diesmal von den zwischendurch eingefügten E-Mails, die die beiden Freund*innen sich senden. Es wird zu jeder Tag- und Nachtzeit und egal, ob an der irischen Küste oder im Nachtzug nach Paris, in die Tasten gehauen. Alice und Eileen diskutieren über Sprachkulturen der Bronzezeit, den moralischen Aspekt des Kinderkriegens, überladene Kunstsammlungen und über die Frage, ob uns die Möglichkeit verloren gegangen ist, Schönheit, vielmehr Ästhetik, zu empfinden. So viel Klugheit kann schon auch nerven („Die Qualität unseres Lebens nimmt ab und damit einhergehend die Qualität der uns zugänglichen ästhetischen Erfahrung“). Question to self: Wo sind alle meine klugen Freund*innen, und wieso bekomme/schicke ich niemals solche E-Mails?

Vielleicht sind diese nicht immer elegant eingeflochtenen Ideen und Haltungen ihrer Protagonist*innen auch als Sally Rooneys Reaktion auf den Vorwurf mancher Kritiker*innen zu verstehen, in ihren Romanen bisher „zu wenig politisch“ zu agieren. Es sind keine Streitgespräche, die Alice und Eileen führen, dafür ist ihr sozialistisch geprägter Ansatz zu ähnlich. Da sitzen zwei kluge Frauen und wissen nicht, wohin mit ihrem ganzen angelernten Wissen. Rooneys Charaktere haben immer irgendetwas mit Literatur studiert.

Kapitalismus und Sex

Dass Sally Rooney in „Schöne Welt, wo bist du“ die Literaturszene, der sie angehört, aufs Korn nimmt, birgt eine eigene Ironie. Eileen wirft der erfolgreichen Autorin Alice vor, dass sie, obwohl finanziell sehr gut aufgestellt, „trotzdem nicht das Geringste am reibungslos funktionierenden Getriebe des kapitalistischen Systems ändert“. Selbstreflektiert zieht Eileen den Vorwurf aber schnell zurück, weil sie es auch nicht täte, selbst wenn sie könnte: „Als wir jung waren, dachten wir, unsere Verantwortlichkeiten erstreckten sich auf die gesamte Welt und alles, was darauf lebt. Und jetzt müssen wir uns damit zufriedengeben, wenigstens zu versuchen, diejenigen nicht im Stich zu lassen, die wir lieben, nicht zu viel Plastik zu benutzen und in deinem Fall alle paar Jahre ein interessantes Buch zu schreiben.“

Und was passiert zwischen diesen vor Wissen strotzenden E-Mails? Sex. Der nächste Rooney-Erfolgsfaktor, und das nicht aus voyeuristischen, sondern aus Gründen der Machtdemonstration. Alice und Eileen denken also marxistisch, handeln aber nicht so. Sie denken auch feministisch, handeln aber ebenso wenig so. Im Bett degradieren sie sich selbst zu schüchternen Hausfrauen, zu wartenden, sehnsüchtigen Ehepartnerinnen, zu kleinen, unschuldigen Mädchen: „Schon lustig, ich glaube, es gefällt mir, wenn du mich herumkommandierst. Ein Teil von mir will das: Ja, bitte, sag mir, was ich mit meinem Leben anfangen soll.“ Sally Rooney weiß natürlich, wie schrecklich sich das liest. So lässt sich aber veranschaulichen: Egal, ob in dem Fall mit Alice eine Frau die reichste im Freundeskreis ist, tief verinnerlichte Gender-Stereotype sind längst nicht überwunden.

Die Schönheit zwischendurch

Der Titel des Buchs „Schöne Welt, wo bist du“ ist von einem Gedicht von Friedrich Schiller geborgt. In „Die Götter Griechenlands“ sehnt er sich zurück in eine bessere, ursprünglichere Zeit. Vergangenheitsverklärung ist auch Alice, Eileen und Co nicht fremd, vor allem bei ihrer Suche nach echter menschlicher Nähe. Nach Monaten der intellektuell überanstrengten Online-Kommunikation, die ihr Leben, ihre Zuneigung und Freundschaft auf seltsame Weise abstrahiert hat, treffen die Freundinnen in einer Schlüsselszene des Romans endlich wieder aufeinander. Sie stehen eng umschlungen da:

„War ihnen bewusst, dass dieses Tableau etwas leicht Lächerliches hatte, etwas fast schon Skurriles - ihre intensive Umarmung, während neben ihnen jemand heftig in ein zerknülltes Taschentuch nieste; während eine dreckige Plastikflasche vom Wind über den Bahnsteig gerollt wurde; während die automatische Werbetafel an der Wand des Bahnhofsgebäudes von einer Werbung für Haarprodukte zu einer Werbung für Autoversicherung wechselte; während sich das Leben in seiner Alltäglichkeit, seiner hässlichen Gewöhnlichkeit allem um sie herum aufzwang? Oder war es ihnen in diesem Augenblick nicht bewusst, waren sie vielleicht sogar irgendwie gefeit dagegen, unberührt von Gewöhnlichem und Hässlichem - nahmen sie für den Moment etwas Tieferes, etwas unter der Oberfläche des Lebens schlummerndes wahr, nichts Irreales, sondern eine verborgene Realität: die immerwährende, allgegenwärtige Präsenz einer schönen Welt?“

Da trumpft Sally Rooney wieder auf. Ein Roman kann von Menschen, ihrer nicht unbedingt einzigartigen und deshalb nicht weniger wichtigen Geschichte handeln und er kann gleichzeitig den Kern der großen Fragen unserer Zeit zumindest streifen. Beides zusammenzubringen schaffen nicht viele.

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