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Julian H. im April 2021. Sein Gesicht ist auf dem Foto unkenntlich gemacht.

APA/ROLAND SCHLAGER

NGOs kritisieren die Ermittlungen gegen Ibiza-Video-Produzenten Julian H.

Am Mittwoch beginnt in St. Pölten der Prozess gegen Julian H., der maßgeblich an der Produktion des Ibiza-Videos beteiligt war. Nach monatelangen Ermittlungen gegen ihn steht H. nun vor Gericht. Über diesen Fall von Strafverfolgung zeigen sich zwölf österreichische und internationale Menschenrechtsorganisationen besorgt, weil er einen abschreckenden Effekt auf künftige Aufdeckerinnen und Aufdecker haben könne.

Von Christoph „Burstup“ Weiss

Die Staatsanwaltschaft wirft Julian H. Drogenhandel und Urkundenfälschung vor. Die österreichische NGO epicenter.works und der Menschenrechtsprofessor Manfred Nowak haben die Gerichtsakten - zur Verfügung gestellt von H.s Anwälten - analysiert. Die Ermittlungen, sagen beide, würden auf teils konstruierten Vorwürfen basieren. epicenter.works geht heute den ungewöhnlichen Schritt, die Gerichtsakten - insgesamt 420 Seiten - im Internet zu veröffentlichen. Personenbezogene Daten wurden dabei geschwärzt.

Die Akten lesen sich wie ein Krimi. Ausgehend von dem Vorwurf der versuchten Erpressung von Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus im Zusammenhang mit dem Ibiza-Video wurde Julian H. über mehrere Monate in verschiedenen EU-Ländern gesucht. Im Juni 2019 wurde gegen H. dann der Vorwurf des schweren Drogenhandels erhoben - zuerst aufgrund einer Aussage des ehemaligen Geschäftspartners Sascha K., mit dem Julian H. im Streit auseinandergegangen war. Es gab auch andere Zeug*innen, die K.s Aussagen zum Drogenhandel widerlegten, die aber erst sechs bis zwölf Monate später von den Ermittler*innen vernommen wurden. K. selbst änderte seine Aussage mehrmals. Obwohl der ursprüngliche Vorwurf der Erpressung gar nicht zu einer Anklage führte, wurde darauf basierend seine Festnahme angeordnet, ein europäischer Haftbefehl erlassen und Julian H. quer durch Europa verfolgt.

Thomas Lohninger von epicenter.works sagt, dass Julian H. gezielt diskreditiert werden sollte. „Es wurden teilweise Aussagen von Belastungszeugen mehrmals so getroffen, dass sie Julian H. nicht belastet haben, die dann am Ende aber revidiert wurden und zu einer Belastung wurden. Gleichzeitig erhielt der Zeuge (der selbst wegen eines mutmaßlichen Drogendelikts angeklagt wurde, Anm.) plötzlich eine von ihm gewünschte Fußfessel. Es gibt im Akt sehr viele Indizien, dass die Ermittlungen nicht neutral abgelaufen sind. In einem Rechtsstaat wie Österreich sollten Strafverfolgungsbehörden nicht so vorgehen.“

Die Liste der österreichischen wie auch internationalen NGOs, die diese Bedenken teilen, ist lang: Neben epicenter.works und Amnesty International äußern etwa auch die Electronic Frontier Foundation (EFF), ARTICLE 19, das Whistleblowing International Network, die Civil Liberties Union for Europe, Citizen D oder das Wiener Forum für Demokratie und Menschenrechte ihre Sorgen.

Für bedenklich halten die NGOs vor allem, wie in Österreich die sogenannte SOKO Tape agiert hat. Einer der wichtigsten Ermittler war jener Polizist, der nach Bekanntwerden des Ibiza-Skandals die Textnachricht „Kopf hoch“ an Heinz-Christian Strache geschickt hat. Sein Fokus lag laut Aktenvermerken auf Ermittlungen gegen Julian H.

Amnesty International stellt fest, dass von 20 SOKO-Mitgliedern 17 gegen Julian H. ermittelt haben, aber nur drei hinsichtlich der Korruptionsvorwürfe gegen Heinz-Christian Strache. Das sei problematisch, sagt Annemarie Schlack von Amnesty International: „Wenn man hier die Ressourcenverteilung in der SOKO Tape betrachtet - dieses 17:3 - dann muss man schon sagen: In einer rechtsstaatlichen Demokratie ist das kein schöner Eindruck. Sondern man hat eher den Eindruck, dass jemand, der in Österreich investigativ arbeitet, Probleme mit der Polizei und Gerichten bekommt. Diesen Trend beobachten wir auch in anderen Fällen.“

epicenter.works begründet die Entscheidung, die 420 Seiten umfassenden Gerichtsakten zum Fall Julian H. zu veröffentlichen, mit dem großen öffentlichen Interesse. Thomas Lohninger: „Wir sehen hier, dass es in Österreich eine politisch motivierte Strafverfolgung gibt. Sie genügt nicht den neutralen Grundsätzen, die wir uns von Strafverfolgungsbehörden erwarten. Und weil in Österreich so viel über das Ibiza-Thema spekuliert wurde, war es uns wichtig, die Gerichtsakten der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.“

Den von Lohninger beschriebenen Eindruck von politisch motivierten Ermittlungen teilt auch Annemarie Schlack von Amnesty International: „Jemand wird mittels eines internationalen Haftbefehls quer durch Europa gejagt. Es werden 17 Ermittler auf Julian H. angesetzt, aber nur drei hinsichtlich der Korruptionsvorwürfe gegen Strache. Ja, es entsteht ganz stark der Eindruck von politisch motivierten Ermittlungen. Ganz wichtig in diesem Zusammenhang ist: Anti-Korruptionsermittlungen und die Bekämpfung von Korruption sind ein ganz zentrales Menschenrecht.“

Vor dem Hintergrund des Falles appellieren die Expert*innen an den Staat: Die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden müsse objektiv und parteiunabhängig erfolgen. Schon der Anschein der politischen Einflussnahme auf die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden berge eine Gefahr für den Rechtsstaat. Bis Ende 2021 hat Österreich Zeit, die EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblower*innen umzusetzen. Bei diesem wichtigen Projekt müsse der Schutz von Hinweisgeber*innen und Menschen, die Missstände aufdecken, im Mittelpunkt stehen.

Ob Julian H. die ihm nun vorgeworfenen Urkundenfälschungs- und Drogendelikte begangen hat, muss nun von einem Gericht geklärt werden. Amnesty International Österreich und epicenter.works werden zu Prozessbeginn am 8. September 2021 anwesend sein. epicenter.works wird das gesamte Verfahren von Julian H. in St. Pölten beobachten. Das Bundeskriminalamt und die Staatsanwaltschaft Wien, von denen die Ermittlungen und Strafverfolgung Julian H.s ausgingen, wollten auf Anfrage von FM4 keine Stellungnahmen abgeben.

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