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Baustellen Besetzung

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Stadtstraßen-Proteste: „Camp der guten Hoffnung“

Seit Ende August gibt es in Wien Donaustadt ein Protestcamp gegen ein großes Straßenbauprojekt, von dem aus mittlerweile mehrere Baustellen besetzt und blockiert werden. Ein Lokalaugenschein nach mehreren Wochen Besetzung.

Von Gersin Livia Paya

Auf einer Wiese ohne Namen, direkt bei der „Anfanggasse“ im 22.Bezirk in Wien, hat der Protest gegen die Stadtstraße Wien-Aspern begonnen. Seit Ende August wird nun schon gecampt, besetzt und blockiert. Die Klimaaktivist*innen hatten nicht damit gerechnet, „geplant war eigentlich nur, dass wir eine Woche campieren“, so Flo von Extinction Rebellion. Mittlerweile sind drei Baustellen besetzt. Zelte stehen, es wird gekocht, diskutiert, es findet ein richtiges Programm statt, mit Lesungen und Konzerten, und „es ist ständig am Wachsen“, erzählt Flo, der sich schon auf kältere Temperaturen einstellt: „Wir schauen, dass wir Wetter- und Winter-fest werden.“

Protestcamp, Besetzungen, Baustelle, Klimaaktivist*innen

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In der „Anfanggasse“ treffe ich auch auf eine Anrainerin, die mit ihrem Hund und ihrem Kind durch die Gassen und nicht im Grünen spazieren „muss, weil auf unserer Wiese können wir ja nicht mehr sein momentan“. Auf ihren Namen sind wir gar nicht zu sprechen gekommen, denn ihr Ärger über das Camp, aber auch über die Baustelle sind zu präsent gewesen. „Nein, die wollen wir alle nicht, keiner hier will diese Straße, niemand von uns“, sagt sie sicher über sich und ihre Nachbarschaft. Die Konzerte im Protestcamp stören sie wegen der Lautstärke. Und sie fühlt sich durch die U-Bahn genügend an die Stadt angebunden und schätzt die Ruhe und den Naturpark. Wer lebt schon gerne an einer mehrspurigen Stadtstraße, die einer Autobahn wenig nachsteht?

Staunen über das Projektausmaß

Flo erklärt mir, dass viele Anrainer*innen das Gespräch suchen und im Camp „oft erstaunt und erschrocken darüber sind, was eigentlich gebaut werden soll.“ Flo erzählt von mehreren Projekte in dem Gebiet, die alle miteinander verbunden sind: die vierspurige Stadtstraße am Ortsgebiet, der Lobau Tunnel und die Lobau Autobahn.

Zwischen den zumeist jungen Menschen auf der besetzten Baustelle mit dem Namen „Wüste“ sitzt im einzigen Schattenplatz, unter einem Zelt, eine ältere Dame und isst mit den jungen Aktivist*innen gemeinsam Pasta: „Ich bin mit der U-Bahn hergekommen, denn Straßenbau betrifft die ganze Stadt Wien, deshalb finde ich es wichtig, dass ich auch hier bin“, sagt sie. Sie komme immer wieder tagsüber zur Besetzung vorbei und hat die großflächige Veränderung beobachtet: „Das erste Mal war ich da, da war alles noch Feld. Es war schockierend zu sehen, wie fruchtbares Ackerland in Wüste verwandelt wird und große Flächen zu Hitzeinseln werden.“

Besetzung Baustelle

System Change, Not Climate Change

Noah, ein junger Klimaaktivist, der seit einer Woche auf der kargen Baustelle zeltet, schätzt die Chancen eines Baustopps gut ein, denn „gerade das Zeichen von der Politik, dass sie auf einmal mobilisieren und sagen, wir wollen, dass Menschen für die Stadtstraße sind; dass mit absurden Websites geworben wird, wie der stadtstrasse.at, ist ein Zeichen, dass sie sich ernsthaft Gedanken darüber machen, dass dieses Projekt gekippt werden kann, und wir wollen den Menschen zeigen, dass es hier keine Stadtstraße ist, sondern eine Stadt-Autobahn: Und das hat im 21.Jahrhundert einfach nichts mehr zu suchen.“

Wir unterhalten uns vor einem frisch gepflanzten Walnussbaum, der mitten aus der Baustellenwüste ragt und den Namen „Hoffnung“ trägt. Noah zeigt auf einen kleinen Waldstreifen gegenüber der Baustelle, der auch gerodet werden soll, direkt neben einem Wohnblock.

Besetzte Baustelle, Baum der gepflanzt wurde namens "Hoffnung"

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Mit Schimpf, Charme und Kuchen

Zurück zum Anfang. Die Anfanggasse entlang gibt es noch eine Kurve hoch zur Autobahn, in der links und rechts weitere Baustellenbesetzungen stattfinden. Inmitten von Smog, Hitze, Autolärm und Abgasen, besetzen Klimaaktivist*innen zwei Baustellen, durch die eine Straße führt. Sie sind mit vielen Transparenten und Bannern und Sprüchen sichtbar und im ständigen Austausch mit Autofahrer*innen.

Bestetzung

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„Die Stimmung ist eigentlich ganz entspannt. Und ja, es gibt Reaktionen von Anrainer*innen, hauptsächlich positiv, viele fühlen sich machtlos und es ist für sie schön, zu sehen, dass jemand was dagegen tut. Viele beschimpfen uns aber aus dem Auto raus mit ‚Arschloch!‘, darauf kontern wir immer mit Höflichkeit, schicken Bussis und Herzen. Dann sind sie nicht mehr böse aber rufen uns zu, ‚dass wir es eh nicht schaffen!‘“, so Gloria, eine neunzehnjährige Studentin, die sich gerade im Camp die Zähne putzt.

Im Camp herrscht Alltag mit viel politischer Spannung und aktivistischer Energie. Die treibt auch die 19-jährige Annika an, die dabei ist, „weil ich es wichtig finde, dass die Politik merkt, dass sie nicht willkürlich Entscheidungen treffen darf. Und wenn wir klar sagen, dass wir diese Autobahn nicht wollen, können wir das in diesem Camp zeigen und ein Zeichen setzen, natürlich unter dem Thema des Klimaschutzes und der Klimagerechtigkeit“.

Zurück im Protestcamp, im Park ohne Namen, riecht es nach Schokokuchen. Jemand aus der Nachbarschaft hat Kuchen vorbeigebracht. Eine süße Stärkung, die dem Camp-Plenum am Abend bestimmt gut tut, wo es auch darum gehen wird, ob die Klimaaktvist*innen einen Namen für den Park/die Wiese einreichen werden. Welcher Name als Idee rumschwirrt? „Camp der guten Hoffnung“.

FM4 Auf Laut: Live vom Protestcamp gegen Straßenbau in Wien

Wir senden heute live vom „Camp der guten Hoffnung“, ab 21 Uhr.

Seit zwei Wochen besetzen Klimaaktivist*innen Baustellen zur Stadtstraße in Wien Donaustadt. Auffallend junge Protestierende und ein breites Klimabündnis finden sich vor Ort ein – vom Jugendrat, System Change, not Climate Change!, Fridays for Future oder Extinction Rebellion. Manche waren erst „dreizehn, vierzehn Jahre alt, weil sie nicht weiter zuschauen wollen“, berichtet Lena Schilling vom Jugendrat über den Beginn der Blockade.

Die Stadt Wien sieht den Straßenbau als Verkehrsentlastung und als Notwendigkeit für die wirtschaftliche Entwicklung der Ost-Region. Die Aktivist*innen sehen keine Entlastung, sondern noch mehr Verkehr und die Unvereinbarkeit mit Klimaschutz.

FM4 Auf Laut berichtet live vom Protestcamp in Wien Donaustadt. Claus Pirschner spricht mit Lena Schilling vom Jugendrat, Mirjam Hohl von Fridays For Future, Florian Mayr von Extinction Rebellion und anderen Klimaaktivist*innen vor Ort.

Was bewegt sie? Welche Chance geben sie der Blockade und was ist die Perspektive dieses Zusammenschlusses von Klimaorganisationen?

Wie ist deine Meinung dazu? Anrufen und mitdiskutieren kannst du am Dienstag, 14.9.2021, ab 21 Uhr unter der Telefonnummer 0800 226 996. Die ganze Sendung gibt’s danach auch 7 Tage lang im FM4 Player.

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