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A man sits beside a statue of comedian Rowan Atkinson in Leicester Square in London on May 3, 2020

Glyn KIRK / AFP

ROBERT ROTIFER

Britisch bis zum Ende

„Unsere Werte und unsere einzigartige Identität quer über den Planeten zu senden“, das fordert die britische Regierung - künftig per Verordnung - von den Film- und TV-Schaffenden des Landes. Was nicht „distinktiv britisch“ ist, soll im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht mehr vorkommen.

Eine Kolumne von Robert Rotifer

Das Britische, erklärte der Medienminister (Äquivalent zu Staatssekretär) John Whittingdale in seiner Rede an die Konferenz der Royal Television Society in Cambridge, sei natürlich ein „nebulöses Konzept. Es bedeutet für jede*n von uns etwas Anderes. Und doch erkennen wir es alle, wenn wir es auf unseren Bildschirmen sehen.“

Robert Rotifer moderiert FM4 Heartbeat und lebt seit 1997 in Großbritannien, erst in London, dann in Canterbury, jetzt beides.

Nur für den Fall, dass es trotzdem noch einer Definition bedurfte, wurde Whittingdale daraufhin konkreter. Britisch seien „die Art von Dingen, mit denen wir alle aufgewachsen sind. Only Fools and Horses, Dad’s Army, Carry On.“

Nachdem erwähnte Serien und Filme alle aus den Spätsechziger- bis Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts stammen, hatte Whittingdale sein „wir alle“ schon einmal auf Zielgruppe Mitte-vierzig-aufwärts reduziert.

Aber er erwähnte auch „aktuellere“ Sendungen wie den populären Kuchen-Backwettbewerk „The Great British Bake Off“, sowie das Krimi-Drama „Line of Duty.“ „Und natürlich (die seit Jahrzehnten laufenden Working Class-Seifenopern, Anm.) Coronation Street und Eastenders.“

„Tatsächlich“, setzte Whittingdale noch einen drauf, „wurde das, was wir sind, vom Fernsehen definiert. Gleichzeitig sind Film, Fernsehen und Radio bei weitem die mächtigsten Werkzeuge, die wir haben, um dem Rest der Welt das Beste des modernen Britannien zu zeigen.“

Schwer zu glauben, aber gehalten wurde diese Rede nicht vor 30, 40 oder 50 Jahren, sondern vorgestern. Wenn ihr da drüben im deutschsprachigen Raum also das nächste Mal auf euren Volksempfängern London anwählt, um zu hören, was die BBC euch über das moderne Britannien erzählt, dann könnt ihr euch gewiss sein, dass die britische Regierung ein wachsames Auge darauf hat.

Denn demnächst wird es neue Verordnungen geben, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Großbritannien verpflichten sollen, „distinktiv britische Inhalte“ herzustellen.

So schnell werden nebulöse Konzepte zu konkreten Vorschriften. Und Whittingdale konkretisierte weiter.Er rede nicht davon, „dass in jeder Szene Union Jacks gewedelt werden und ein Bild der Queen vorkommen muss.“ Aber „Fleabag“ zum Beispiel wäre nicht „Fleabag“ ohne „britischen Sarkasmus und Selbstironie“, sagte er, allerdings ganz ohne britischen Sarkasmus und Selbstironie, sondern unfassbarerweise ganz im Ernst.

Vor den geistigen Augen der Konferenzteilnehmer*innen aus der Branche Visionen von Vorsprechterminen im Ministerium, auf dem Schreibtisch liegt die Mappe mit dem Manuskript drin. Oben drauf der Stempel: „Abgelehnt.“

„Nicht britisch genug“, sagt der Beamte.
„Nicht britisch genug? Aber da ist doch tonnenweise britische Selbstironie drin.“
„Haben wir nicht erkannt. Und wo sind die Union Jacks und die Bilder der Queen?“
„Aber das müssen wir doch nicht...“
„Nicht in
jeder Szene. Lesen sie doch den Text der Vorschrift. Nicht in jeder Szene. Was ist daran nicht zu verstehen?“

Doch dem Media Minister fielen noch andere Definitionen des Nebulösen ein. Die letzte Episode von „Blackadder Goes Forth“, sagte er, wäre „nie so ergreifend gewesen ohne diesen klassischen britischen Spritzer Zurückhaltung.“ Zur Erklärung für Nichtbrit*innen, die diese eher nur hier und nirgends sonst berühmte vierte Staffel einer Achtzigerjahre-Satire über die britische Geschichte mit Rowan Atkinson in der Hauptrolle nicht gesehen haben: In der angesprochenen letzten Folge klettert ein Geschwader britischer Soldaten auf Befehl ihrer Vorgesetzten in der Gewissheit ihres bevorstehenden Todes stoisch aus dem Schützengraben.

Das also meinte Whittingdale, wenn er in seiner Rede sagte, es gehe nicht bloß darum, „unsere Kreativität zu beweisen“, sondern „unsere Werte und unsere einzigartige Identität quer über den Planeten zu senden.“

Da war es wieder einmal, das I-Wort, so wie die britische Rechte, die mit Identitätspolitik ja angeblich gar nichts am Hut hat, es verstanden wissen will. Was in dieser Beschreibung der einzigartigen britischen Identität bezeichnenderweise gar nicht vorkam, waren die dezidiert nicht-weißen Großtaten des distinktiv britischen Fernsehens der letzten Jahre, wie etwa Michaela Coels „I May Destroy You“ oder Steve McQueens „Small Axe“.

Whittingdale hielt seine Rede an jenem Tag, da in einem Generalumbau von Boris Johnsons Kabinett die nebenher Romane schreibende Abgeordnete Nadine Dorries zur neuen Kulturministerin bestimmt wurde.

Britischen TV-Konsument*innen ist Dorries nicht zuletzt dafür bekannt, dass sie in der distinktiv britischen Version des Dschungelcamps („I’m a celebrity, get me out of here“) Straussenarsch aß.

In ihren Tweets hat die Erz-Brexiteuse unter anderem behauptet, dass „left wing snowflakes“ alle Comedy ruinierten und den Christus aus Weihnachten entfernten. Sie kommentierte die Einführung der Ehe für alle mit der Frage, ob dann eine Schwester eine Schwester heiraten könne, um Erbschaftssteuer zu vermeiden. Gar nicht erst zu reden von allerhand rassistischen und islamophoben Äußerungen, die ich hier auch nicht verbreiten möchte (wer will, kann zum Beispiel hier nachlesen.

Natürlich weiß Boris Johnson genau, was er tut, wenn er eine wie Dorries zur Kulturministerin bestellt und einen wie Whittingdale seine Order zum Britischsein verkünden lässt. Die sogenannten Culture Wars sind das Territorium, auf dem er und seine Gang sich am Wohlsten fühlen (auch die gerade neu ernannte Außenministerin Liz Truss hat letztes Jahr mit einer Rede gegen Wokeness für Aufsehen gesorgt, und die neue Handelsministerin Anne-Marie Trevelyan bezeichnete Menschen, die an globale Erhitzung glauben, als „fanatics“).

Kolumnen wie diese sind (zumindest in Großbritannien; was hier bei FM4 steht, ist ihm natürlich völlig wurscht) wiederum genau das, was diese von allem möglichen Anderem ablenkenden Kontroversen und die damit einhergehende polarisierende Lagerbildung weiter befüttert.

Aber wenn einmal inhaltliche Vorschriften und verordneter Nationalismus auf dem Programm stehen, ist wohl eindeutig der Punkt erreicht, wo Sarkasmus, Selbstironie, der klassische britische Spritzer der Zurückhaltung in Form gewitzter Tweets als Form des Widerstands nicht mehr ausreichen. Das sollte auch die britische Film- und TV-Industrie spätestens jetzt ganz dringend begreifen.

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