FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

The Vaccines, fürs Pressefoto in verschiedene Farben getaucht

Frank Fieber

„Back In Love City“: The Vaccines zwischen Utopie und Dystopie

Die Londoner Band The Vaccines nennt ihr bereits fünftes Album „Back In Love City“. Dabei wusste Justin Hayward-Young von den Vaccines erst selbst nicht genau, was dieser Titel bedeuten könnte. Es handelt sich bei dieser „Love City“ letztlich um einen teils fiktiven und teils realen Ort irgendwo zwischen Utopie und Dystopie.

Von Eva Umbauer

Justin Hayward-Young hatte diesen Sommer Tränen in den Augen, versteckt hinter einer schwarzen Sonnenbrille, als er mit seiner Band zum ersten Mal seit 18 Monaten wieder auf einer Bühne stand und ein Konzert spielte. Er vermisste, wie so viele Musiker*innen, das Live-Spielen, es war, so sagt Justin im Interview, als ob ihm ein Körperteil fehlen würde, ein Arm oder ein Bein. Gleichzeitig wusste er nicht mehr wirklich, ob denn seine Band überhaupt noch ein Konzertpublikum haben würde. Die Pandemie hat einfach alles auf den Kopf gestellt.

Schon vor zweieinhalb Jahren begannen die Vaccines, an einem neuen Album zu arbeiten. Im Tonstudio von Arni Arnason, dem aus Island stammenden Bassisten und einem der Gründungsmitglieder der Vaccines, traf man sich, um Dinge auszuprobieren. Außerdem verbrachte Sänger und Songschreiber Justin Hayward-Young Zeit in Los Angeles, wo er Songs schrieb. Justin hatte für ein Monat mit jemandem Haus getauscht.

Der Sänger der Vaccines lebte nicht nur im kalifornischen Haus jenes Mannes, mit dem er getauscht hatte, er fuhr auch dessen Auto und benutzte dessen Karte für das Fitnessstudio. Persönlich getroffen haben sich die beiden „House Swapper“ - auch pandemiebedingt - bis heute nicht, aber der Tausch funktionierte wunderbar. Justin würde es wieder machen.

Komplexer, ambitionierter, amerikanischer

Vielleicht klingen die neuen Songs der Vaccines auch deshalb amerikanischer als zuvor. Die Band aus London hat nun einen größeren Sound, auch einen cinematischen, klingt euphorisch auf „Back In Love City“, weniger nach britischem Indie-Rock mit einem Schuss Garage-Pop, mit dem sie sich vor zehn Jahren, mit ihrem Debütalbum „What Did You Expect Of The Vaccines?“, direkt in die Herzen der Gitarrenpop-Liebhaber*innen gespielt hatten. Es handelte sich um einen Mix aus, wenn so möchte, den Ramones, den Strokes und The Jesus & Mary Chain. Diese „alten“ Vaccines blitzen am neuen Longplayer schon noch durch, etwa bei „Headphones Baby“, „XCT“ oder „Jump Off The Top“: herrlich einfache Melodien und die gewitzen Texte von Justin Hayward-Young. Aber ansonsten sind die Dinge dieser Tage etwas komplexer und ambitionierter bei den Vaccines.

So klingen manche Sound-Effekte wie direkt aus Video-Games, die Gitarre von Freddie Cowan hört sich nun manchmal wie aus einem Spaghetti-Western an und das Schlagzeug von Yoann Intonti - Gründungsmitglied Pete Robertson verließ die Band während der Entstehung des letzten Albums „Combat Rock“ - donnert, als ob die Band mitten in einem Gewitter wäre.

Justin Hayward-Young: „‚Love City‘ is a place in the far-flung future where love and other emotions have run dry and the only way to feel them surge through your body again is to plug into them, as if they are batteries in need of re-charging.“

Das Plattencover von "Back In Love City" von The Vaccines zeigt eine Pillenkapsel, aus der ein Herz kommt

AWAL/Sony

„Back In Love City“ von The Vaccines ist bei AWAL/Sony erschienen.

Aber nicht alles kommt groß und voller Euphorie daher auf diesem Konzeptalbum namens „Back In Love City“, diesem utopischen wie auch dsytopischen, auch etwa vom Film „Blade Runner“ inspirierten, imaginativen Ort namens „Love City“. Ein Song wie „Heart Land“ etwa, ein sensibler Liebesbrief an die US-amerikanische Popkultur, die Justin Hayward-Young als Teenager so sehr liebte. Er singt diesen Song bewusst aus einer naiven, unschuldigen Perspektive. Justin möchte nicht aufhören, die Vereinigten Staaten, sein „Herzensland“, zu mögen, auch wenn sie, wie er sagt, mehr denn je in viel Düsteres involviert sind.

„Man on the moon, milk shake and fries, dogs that can surf, warm apple pies...“
(The Vaccines, „Heart Land“)

Neue Songs wie „Alone Star“, „Wanderlust“ oder „Paranormal Romance“ sind in Country-Rock getaucht - Americana im flackernden Neonlicht, und ein Song, nämlich einer der weniger bombastischen, heißt „El Paso“, benannt nach der texanisch-mexikanischen Grenzstadt. Justin Hayward-Young hatte den Song in Los Angeles geschrieben, da wusste er noch nicht, dass seine Band dann später tatsächlich in einem Aufnahmestudio in El Paso einchecken würde, zusammen mit dem Producer Daniel Ledinsky.

Daniel Ledinsky ist ein schwedischer Musiker, der seit rund einem Jahrzehnt in Los Angeles lebt und arbeitet. Er hat bisher Musik von Künstler*innen wie etwa TV On The Radio, Rivers Cuomo, Carly Rae Jepsen oder Tove Lo produziert. Daniel besitzt eine Gitarre, die einmal dem tragischen US-Songschreiber Elliott Smith gehörte. Auf eben dieser Gitarre schrieb Justin Hayward-Young dann den Song „El Paso“.

„You’ll see me in the morning on a nylon string guitar, trying to pick a sad song in the corner of the bar.“
(The Vaccines, „El Paso“)

Es war ein bisschen wie im Punk-Rock-Camp, lacht Justin in Interviews zum neuen Album, wenn er über die Zeit der Aufnahmen in El Paso spricht. Jeden Abend wurde ein Lagerfeuer gemacht und man hat den Kojoten gelauscht, wie sie in unmittelbarer Nähe geheult haben.

Aber Justin Hayward-Young weiß auch, dass El Paso ein Ort ist, an dem es viel Leid gibt, wo die Träume von Migrant*innen aus dem benachbarten Mexiko zerplatzen können. Die USA, (s)ein Lieblingsland, das ist ein Dilemma. „Back In Love City“ handelt zum Teil eben auch davon.

Justin Hayward-Young und The Vaccines strotzen auch bei ihrem bereits fünften Album noch vor Ideen und zeigen Erfindungsgeist. Den Dreh, wie ein guter Song einfach klingen kann, haben The Vaccines noch immer heraußen.

mehr Musik:

Aktuell: