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„World Wide Worries“ von Sluff: I Will Get Lost In That Sound

„Wir wollten weg von diesem Slacker-Ding“: Sluff veröffentlichen mit „World Wide Worries“ ein bestes Album im österreichischen Gitarrenjahr.

Von Lisa Schneider

Lieder von Sluff sind wie alte Freund*innen, die man nach langer Zeit wiedertrifft. Einiges hat sich verändert, aber die besten Eigenschaften, wegen derer man diese Menschen mal mochte, sind gleichgeblieben. Ein mögliches Credo einer guten Band: Klinge wie du selbst.

„On Debris“ haben Sluff, damals noch als Trio, ihr erstes Album genannt. Es ist 2018 erschienen, die Band war damit unser FM4 Soundpark Act des Monats. Wörter wie Slacker- oder Dreampop standen in den damaligen Reviews, und das hat schon so gestimmt: naturalistisch geprägtes Songwriting („Deep Blue“) zum verträumten Dahintorkeln, und dabei gleichzeitig emotional nie ganz so schwer, als dass eine/n die halligen Gitarrenschichten zu Boden gedrückt hätten („Vile“).

Jetzt haben Sluff - mittlerweile ein Quartett, bestehend aus Martin Zenker, Konstantin Heidler, Markus Hirczi und Bernhard Hussek - ihr zweites Album namens „World Wide Worries“ fertiggestellt. Der Name ist durchaus Programm.

Eine Einladung

„Wenn man durchs Leben geht, mit Leuten redet, kommt man immer wieder drauf, dass man dieselben Sorgen hat“, so Martin Zenker im FM4-Interview, „wir sitzen alle im selben Boot. Es geht vielleicht auch deshalb darum, einen neuen Solidaritätsbegriff zu formen.“

„World Wide Worries“ klingt zuerst nach einem lustig gemeinten Wortspiel im Post-Internet-Zeitalter, wo es um alles und dabei gleichzeitig um nichts mehr geht. Der Titel ist aber weder als Schenkelklopfer noch als moralischer Fingerzeig gemeint. Und da sind wir, wenn auch nur der Einstellung nach, wieder beim angenehm zurückhaltenden Slacker-Charme der Band Sluff: Hier drängt sich niemand auf. Wenn ihr wollt, sind wir da, und wenn nicht, ist das auch in Ordnung.

Allein für diese Unaufdringlichkeit muss man sie schätzen, aber auch dieses zweite Album ist ein guter Moment, damit anzufangen. Das Lied „Machine“ eröffnet die Platte mit dronigen Sounds, das ist ernst, düster und ein bisschen aus der Interpol-Phase um den sehr guten „Song 7“ geborgt. Natürlich könnte das auch schon wieder Ian Curtis gefallen haben, vermutlich vor allem Zeilen wie diese: „Cause you can’t find a shelter / anywhere you go“. Da kreischt dann auch die Gitarre, am Rest des Albums geht es sanfter zu. Aber: erstmal wach werden.

Genretypisch starrt Martin Zenker beim Singen manchmal noch entrückt auf seine Schuhe, aber all das ist eben nicht nur als Musik der Introspektive zu verstehen. Auf dem hauseigenen Twin-Peaks-Moment „Weight“ oder dem herrlich schön getexteten „Regain“ („Here’s where the lightning strikes“) mag es noch um das Einzelschicksal gehen - und die kaputte Liebe, worum sonst -, auf Liedern wie „Off Stream“ aber wird gegen die Leistungsgesellschaft gewettert („Seems the goal is to succeed / seems that goal ain’t meant for me“), die dann im Lob- und gleichzeitig Abgesang aufs Unangepasstsein auf „Off Stream“ ad absurdum geführt wird. Featuregast am letztgenannten Lied ist Performancekünstlerin, Moderatorin, Autorin und überhaupt Allroundtalent Denice Bourbon.

Immer nach vorne

Mit dem Wort Nostalgie können Sluff wenig anfangen. Eher mit dem oft gleichgesetzten schwelgerischen Moment, der der Hauptaufgabe einer Wall Of Sound schon ziemlich nahe kommt. Das Album sitzt im Referenzdschungel irgendwo zwischen Shoegaze, Postpunk und Indierock - alles Genres, in denen es nicht darum geht, das Rad neu zu erfinden. Der persönliche Twist, der Charakter der Band muss hinein in die Regeln, die sie nicht selbst geschrieben haben.

Sluff Albumcover "World Wide Worries"

Numavi Records

„World Wide Worries“ von Sluff erscheint via Numavi Records.

Macht man es gut, wie Sluff, schreibt man so ein Album und wählt die Genrebezeichnung „Postgaze“: „Ich deute das so, dass man aus der Starre dieses Starrens rauskommen will“, sagt Bernhard Hussek. Der Blick geht nicht mehr nur nach unten, zu den vielen Kabeln und den vielen Effektpedalen, er geht vielmehr nach vorne. „Der Anspruch auf Authentizität einer frischen Idee entsteht durch den persönlichen Blick, den man auf die Welt hat, und den setzt man um durch das Instrument, durchs Musikmachen.“ Martin Zenker schmunzelt und fügt hinzu: „Man dreht es durch den eigenen Fleischwolf.“

Das beste Fleischwolfdrehen findet am vorletzten Lied statt: „The Artist (DumDum)“ ist der Moment des Loslassens auf „World Wide Worries“, ein Happy-Song nach Sluff-Maßstäben, falls es das überhaupt gibt. Da werden Daniel Johnston, Talking Heads und Joni Mitchell zitiert, aber all das muss man eigentlich gar nicht wissen. Das ist gekonntes Spielen mit den eigenen Vorstellungen („I tell a story about an artist growing old“) und Oldschool-Schmäh, sich selbst nicht zu ernst nehmen, und die titelgebenden Worries auch mal kurz beiseitelassen. Es ist fantastisch.

Nie ohne meine Popmelodie

„World Wide Worries“ ist ein Album, das zwischen all dem Hall und Nebel die Eingängigkeit nie vergisst. Im Kern steckt da immer auch der kleine Popsong. So ähnlich haben Sluff ihre Lieder zwar auch schon früher gern geschrieben, aber das hier ist die Essenz mit Knack und Biss.

Es ist auch ein Album über die Probleme unserer Zeit, und wir sprechen hier nicht von Corona, Klimakrise oder dem Verrücktwerden dank Social Media. Wie in der Musik gilt: Wo Sluff draufsteht, ist Zeitlosigkeit drin.

Wie wird die/meine Zukunft aussehen? Was ist Glück? Wird der kapitalistische Arbeitseifer mich in den Wahnsinn treiben? Statt Antworten gibt es das Angebot zur gemeinsamen Reise und die nicht zu unterschätzende Erinnerung daran, kein Zombie zu sein („Deceiver“ als beste Erkenntnis, dass Irren menschlich ist). Wie das eben bei guten, alten Freund*innen so ist, sind Ratschläge oft viel weniger wichtig als ein offenes Ohr.

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