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Drei Mädchen im Turnsaal, sie schauen zu einem Seil hinauf. Szene aus der Serie "Voltaire High"

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Koedukation als Voraussetzung für Gleichberechtigung

Die neue französische Serie „High Voltaire“ hat es durch die Synchronisation auch auf den deutschsprachigen Markt geschafft. Niedlich und mit tollem Cast erzählt „High Voltaire“ dann auch von nichts weniger als dem Ringen um Gleichberechtigung der Geschlechter und Bildung als größter Chance.

Von Maria Motter

Das große Filmland Frankreich ist am internationalen Serienmarkt noch kein besonders auffälliger Player. Doch jetzt hat es wieder eine französische Streamingserie durch die Synchronisation auch auf eine große Streamingplattform auf den deutschsprachigen Markt geschafft: „Voltaire High“ will uns in die Anfänge der 60er Jahre beamen.

Und zwar in eine Zeit, in der die 68er Bewegung mit ihrem Protest gegen starre Gesellschaftskonventionen und gegen rigide Sexualmoral, gegen den Vietnamkrieg und mit der Forderung nach freier Meinungsäußerung noch nicht begründet war. Als sich Pariser Arbeiter*innen noch nicht dem Protest der Studierenden im Mai 1968 angeschlossen hatten, sondern als Schicht und Geschlecht noch weit trennendere Kategorien waren und Sittsamkeit vor allem von Mädchen eingefordert wurde: Die Drehbuchautorin und Produzentin Marie Roussin will mit „Voltaire High“ zeigen, aus welchem gesellschaftlichen Klima genau diese aufbegehrende Generation kam.

Pierre Deladonchamps und Nina Meurisse als Vizrektor eines Gymnasiums und Englischlehrerin in der Serie "Voltaire High".

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Pierre Deladonchamps und Nina Meurisse in „Voltaire High“. Der eine führt eine Scheinehe, die andere will endlich die Scheidung.

Die ersten Mädchen am Gymnasium

1963 in einer kleinen französischen Gemeinde: Das Burschengymnasium öffnet seinen Unterricht erstmals für Mädchen. Das ist der Startpunkt in der französischen Serie "Voltaire High“ und neben den Schülerinnen kommt noch eine neue Englischlehrerin mit breit gezogenem Lidstrich an die Schule. Der französische Schauspielstar Pierre Deladonchamps spielt den Konrektor, eine Art Aufseher und Vizerektor, der sein konservatives Erscheinungsbild kultiviert, aber eine Scheinehe mit der Krankenschwester des Gymnasiums führt. Bei aller Niedlichkeit überrascht „Voltaire High“ mit großer Ernsthaftigkeit in der Erzählung.

Es geht in den ersten acht Episoden um den Kampf homosexueller Menschen um ein freies Leben, um Klassenunterschiede und die Hoffnung auf sozialen Aufstieg durch Bildung, ja auch um die Vorurteile gegenüber Algerienfranzosen. Aber freilich gibt es auch in „Voltaire High“ Frösche, die aus dem Biologiesaal gerettet werden müssen.

Ein Bursche und ein sehr schönes Mädchen (Lula Cotton-Frapier) gehen über den Schulhof. Szene aus der Serie "Voltaire High".

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„High Voltaire“ ist auch niedliche Unterhaltung

„Ich hoffe, dass sie die Mädchen angemessen willkommen heißen. Naja, so lange sie sie nicht schwängern!“, spricht die neue Kollegin aus, was sie sich denkt, als sie vom Fenster aus die ersten Mädchen über den Schulhof kommen sieht. Unter den neuen Schülerinnen ist auch die Nichte des Konrektors. Léonie Souchad erinnert als Michele Magnan an die junge Michelle Williams, sie ist so wunderbar besetzt wie der gesamte Cast. Dass ihr Seriencharakter jetzt nur noch nachmittags in der Metzgerei der Eltern aushelfen kann, erzeugt Unverständnis.

Zum Fleisch verkaufen bräuchte sie keine Matura, keift sie der schöne Bruder an, der sich bald in ihre neue beste Freundin verlieben wird. Dass die stets so viel Fröhlichkeit ausstrahlende Simone aus Algerien kommt und jetzt allein in Frankreich bei ihrer Tante ihr Glück versucht, kapiert er lang nicht, und wie viele Vorurteile Algerienfranzös*innen treffen, schon gar nicht. So stolpern, schlendern und stöckeln die Mädchen hinein in die gemischten Klassen und müssen sich die Anerkennung und Aufmerksamkeit der Lehrenden noch härter erarbeiten als den Respekt der Mitschüler. Besonders ist die Figur der Schulkrankenschwester, die den jungen Leuten auch die peinlichen, doch drängenden Fragen beantwortet und als lesbische Frau privat einen ständigen Drahtseilakt hinlegt.

Junger Mann in Hemd und Weste beugt sich zu einer jungen Frau mit Spange im Bob. Szene aus "Voltaire High".

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Ziemlich perfekt gecastet

Geschlechtergetrennter Unterricht war lang die Norm

In Frankreich begann der gemeinsame Unterricht von Buben und Mädchen in den 50er Jahren. Der Philosoph und Revolutionär Antoine de Condorcet hatte schon 1792 den gemeinsamen Unterricht der Geschlechter – als eines der zentralen Kriterien für Chancengleichheit - empfohlen. Der Mann war also auch ein Zeitgenosse Voltaires. Aber auch in Frankreich war geschlechtergetrennter Unterricht lang die Norm und Vorschrift.

Im Rückblick wirkt es bizarr: Bis Mädchen und Buben gemeinsam in einer Klasse zum Unterricht durften, hat es in Österreich lang gedauert. 1975 ist es so weit: Da beginnt die Koedukation in den öffentlichen Schulen.

Marie Roussin hatte die Idee zu „Voltaire High“ und sie sagt in Interviews, dass sie zeigen wollten, wie sehr Sexismus überall gegenwärtig war. In „Voltaire High“ wird einer ein Auge verlieren, ein anderer die Ehefrau. Ein Mädchen wird die Brutalität eines weißen männlichen Mediziners aushalten und den Zusammenhalt von Frauen erfahren.

„Voltaire High“ ist bei all dem sehr schön anzuschauen: Die Charaktere sind liebenswert und die Ausstattung und Kostüm feiern die 60er Jahre. Die ersten acht Folgen „Voltaire High“, jeweils um die vierzig Minuten, sind gerade ein Schuljahr kurz.

Drei Schülerinnen sitzen mit angezogenen Knien im Turnsaal. Szene aus der Serie "Voltaire High".

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