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Drei Teilnehmer:innen aus Squid Game

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Leben und Sterben in der Sensations-Serie „Squid Game“

In kürzester Zeit hat sich die südkoreanische Serie „Squid Game“ zu einer der erfolgreichsten Netflix-Shows aller Zeiten gemausert. Kuriose Geschichten rund um die Serie häufen sich seitdem. Eine Betrachtung zahlt sich aus.

Von Jan Hestmann

Plötzlich war sie da, in aller Munde und an der Spitze der Streaming-Charts. Mitte September veröffentlichte Netflix die südkoreanische Serie „Squid Game“. Keine zwei Wochen später war schon die Rede davon, dass „Squid Game“ am besten Weg ist, die erfolgreichste Netflix-Show aller Zeiten zu werden. Die Streamingzahlen explodierten, die Memes sprossen nur so im Internet. Unglaublich schnell hat sich eine riesige Fanbase um die Serie gebildet. Da wusste das Feuilleton noch gar nicht, was los ist. Eine Sensation war geboren. Deren bisher kurioser Höhepunkt: Ein südkoreanischer Internetdienstleister hat Netflix zuletzt aufgrund der hohen Streamingzahlen für „Squid Game“ und dem damit einhergehenden hohen Datenverbrauch verklagt. Neben Google ist Netflix nämlich der einzige Großkonzern, der bislang noch keine Nutzungsgebühren für das Datenvolumen in Südkorea zahlt. Das könnten Riesenerfolge wie „Squid Game“ möglicherweise bald ändern.

Aber noch einmal von Anfang an: Was ist „Squid Game“ (übersetzt: „Tintenfischspiel“) eigentlich? Die südkoreanische Dramaserie handelt von einer geheimen Organisation, die Menschen in prekären Verhältnissen von der Straße aufliest, um sie auf einem quietschbunten High-Tech-Gelände mit tödlichen Aufgaben zu konfrontieren. Besonders perfide daran ist, dass diese auf bekannten koreanischen Kinderspielen basieren und auf den ersten Blick harmlos scheinen. Die Teilnehmer*innen haben, einmal angekommen, statt Namen bloß noch Nummern. Wer überlebt, gewinnt ein saftiges Preisgeld, genauer gesagt 45,6 Milliarden Won (umgerechnet knapp über 33 Mio. Euro). Drehbuch und Regie stammen von Hwang Dong-hyuk. Die Idee zur Serie dürfte schon länger in der Schublade gelegen sein, der Streamingriese Netflix hat nun dafür gesorgt, dass sie weltweit in allen Wohnzimmern landet. Das ist schon allein deshalb spektakulär, weil „Squid Game“ von einer im Mainstream selten dagewesenen heftigen Brutalität lebt.

Bewaffnete Personen in rosa Overalls

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So lernen wir den glücksspielsüchtigen und hochverschuldeten Gi-hun (Lee Jung-jae) kennen, der bei seiner Mutter lebt und seine Tochter nur zum Geburtstag sehen darf. Der typische Versagertyp also, der uns im Lauf der Geschichte noch ans Herz wachsen soll. Als er mit der Organisation in Kontakt kommt, lockt ihn das Geld, und er willigt ein, an den Spielen teilzunehmen. Gi-hun wird eines Nachts abgeholt, betäubt und an einen geheimen Ort gebracht. Dort wacht er als einer von 456 Teilnehmer*innen auf. Alle tragen grüne Trainingsanzüge mit ihrer Nummer darauf. Gi-hun ist nunmehr Nummer 456. Dann erscheinen die Mitarbeiter*innen der Organisation, bewaffnet, mit schwarzen Masken und rosa Overalls. Die Spiele können beginnen - doch noch wissen die Teilnehmer*innen gar nicht, dass es um Leben und Tod geht.

„Squid Game“ ist eine visuell perfekt durchgestylte Serie, was wohl auch zu ihrem Erfolg und ihrer Memeability beiträgt. Symmetrische Figuren, knallige Farben (die grünen Trainingsanzüge und die rosa Overalls bilden einen konstanten farblichen Kontrast) und kuriose Mordwaffen im kindlich-unheimlichen Look (die überdimensionale Puppe aus Folge 1 zum Beispiel bereitet wohl noch einigen etliche schlaflose Nächte).

Eine überdimensionale Puppe, dahinter eine Menschenmenge

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Das erste Spiel „Rotes Licht, grünes Licht“ hat für die 456 Teilnehmer*innen üblere Konsequenzen als zunächst gedacht.

Takeshi’s Castle lässt grüßen

Schon im Laufe der ersten beiden Folgen lernen wir neben Gi-hun noch eine Handvoll weiterer Protagonist*innen und deren Hintergrundgeschichten kennen. Gauner, Spekulanten oder einfach nur Menschen, denen die gierige Gesellschaft übel mitgespielt hat. Ist „Squid Game“ an der Oberfläche alberner Gewaltporno, so steckt doch etwas mehr dahinter. Da im Zusammenhang mit dem Oscargewinner „Parasite“ vor einigen Jahren in den Kulturspalten von der gelungenen und drastischen Darstellung der Arm-Reich-Schere innerhalb der südkoreanischen Gesellschaft die Rede war, muss das auch an dieser Stelle erwähnt werden. Der gesellschaftspolitische Kontext schwingt immer mit. Man muss „Squid Game“ hoch anrechnen, dass es sich neben der skurrilen Grundidee und der visuell poppigen Aufmachung auch viel Zeit nimmt, um seine Protagonist*innen und deren Hintergrund und individuelles Leid begreifbar zu machen. Erst in diesem Kontext bekommt die Serie dann auch ihre volle Schlagkraft.

Und dann sind da natürlich eben die große Portion Albernheit und die kompromisslose Inszenierung von Gewalt, die wohl ein wesentlicher Grund für die hohen Streamingzahlen sind. Dieser schräge Cocktail erinnert mitunter an den genreprägenden japanischen Klassiker „Battle Royale“ von Kinji Fukasaku aus dem Jahr 2000, in dem eine Schulklasse auf einer Insel ausgesetzt und mit unterschiedlichen Waffen ausgestattet aufeinander gehetzt wird. Die kultige Fernsehshow „Takeshi’s Castle“ kommt uns ebenso in den Sinn, bei der Teilnehmer*innen Aufgaben bewältigen müssen und dabei ins Wasser fallen, gegen Mauern laufen oder von großen Kugeln überrollt werden; aber auch Assoziationen mit der 2012 gestarteten US-amerikanischen Filmreihe „The Hunger Games“ oder den „Escape Room“-Filmen, letztere haben aber im Gegensatz zu „Squid Game“ kein sonderliches Interesse an Charakterentwicklung. Was die Darstellung von Gewalt betrifft, toppt „Squid Game“ alles bisherige, auch weil sie so direkt und ungeschönt inszeniert wird. Darüber hinaus schafft es „Squid Game“ sogar, humorvoll zu sein. Lacher, die im Hals stecken bleiben, sind dabei keine Seltenheit.

Bewaffnete Personen vor kindlicher Tapete

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Reale Telefonnummer sorgt für Wirbel

Am Ende noch eine kuriose Geschichte rund um die Serie: Gerade wird „Squid Game“ von Netfix umgeschnitten. Nicht etwa aufgrund gewisser Gewaltsequenzen, sondern wegen einer Telefonnummer. Diese ist in der Serie auf einer Visitenkarte der Geheimorganisation zu sehen. Wie sich herausgestellt hat, handelte es sich dabei um eine reale Privatnummer. Der unglückliche Besitzer erhielt seit Veröffentlichung der Serie tausende Anrufe. Nun soll die Nummer aus „Squid Game“ verschwinden.

Bleibt die Frage, ob es eine zweite Staffel geben wird. Da die Serie erst seit kurzer Zeit online ist, hat Netflix bislang keine Fortsetzung angekündigt. Ursprünglich hatte Serienmacher Hwang Dong-hyuk auch behauptet, dass die Geschichte nicht für eine zweite Staffel konzipiert sei. Aufgrund des enormen Erfolgs könnte sich das aber noch ändern, wie in der jüngeren Streaminggeschichte öfter geschehen (nicht immer zum Vorteil der Serie), und an einem neuen Spin getüftelt werden. Jetzt muss aber sowieso erst einmal diese Staffel gründlich verdaut werden.

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