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Erich Moechel

EU-Auftakt für kommende Nachschlüssel-Verordnung

Zur Aussprache der EU-Innenminister über Verschlüsselung am Freitag, die neunzig Minuten dauerte, herrscht absolute Funkstille in Brüssel. FM4 präsentiert deshalb die Briefing-Vorlage für die Minister.

Von Erich Moechel

Beim Treffen der Innen- und Justizminister in Luxemburg, das am Freitag zu Ende ging, wurde still und heimlich der Auftakt für eine EU-Verordnung gegen sichere Verschlüsselung in Sozialen Netzwerken gesetzt. Eine solche Verordnung hatte Kommissarin Ylva Johansson (Innenressort) bereits im Frühjahr angekündigt.

Diskutiert wurde da, wie WhatsApp und Co verpflichtet werden sollen, ihre Ende-zu-Ende-Verschlüsselung (E2E) durch Generalschlüssel zu kompromittieren und Chats im Klartext an die Strafverfolger zu überspielen. Laut Johansson sei das notwendig, um Kindesmissbrauch im Netz zu verfolgen. In der Presseinformation nach dem Ministertreffen wurde das Thema mit keinem Wort erwähnt.

Screenshot aus Dokument

EU Ministerrat

Das Ganze nennt sich „Die digitale Dimension in der Strafverfolgung von Kindesmissbrauch“. Den Minister:innen wird aus den Arbeitsgruppen des Ministerrats damit eine Argumentationshilfe vorgelegt, inklusive der offenen Fragen (siehe Screenshot ganz unten). Die Dokumentengrundlage dafür wurde - wie so oft - von der britischen Bürgerrechtsorganisation Statewatch zur Verfügung gestellt.

„Stärkung der Kinderrechte in der Union“

Wie Johansson Kindesmissbrauch als Hebel benutzen will, um E2E-Verschlüsselung von WhatsApp, Signal und Co auszuhebeln.

Eröffnet wurde das Ministertreffen am Donnerstag mit Aussprachen der Justizminister zum Thema „Stärkung der Kinderrechte in der Union“ samt Verabschiedung der von der Kommission dafür entwickelten Strategie. Das war bereits im Vorfeld groß angekündigt worden, zum selben Thema „Kinderschutz“ gab es jedoch ein weiteres Meeting am Freitag. Mit 90 Minuten Dauer war diese Aussprache die zweitlängste Sitzung des gesamten Treffens überhaupt, auf der Tagesordnung des Treffens findet sich dazu nur dieser Satz: „Die digitale Dimension in der Strafverfolgung von Kindesmissbrauch“.

Welche Schlussfolgerungen von den Innenminister:innen da gezogen wurden und worauf man sich geeinigt hatte, ist derzeit noch nicht bekannt. In der Zusammenfassung des Treffens durch Beamte des Ministerrats vom Freitag wird diese Aussprache jedenfalls nicht einmal erwähnt. Zwar ist eine neue EU-Verordnung zu diesem Thema kurz vor ihrer Finalisierung als Kommissionsentwurf, aber es gibt gute Gründe (siehe unten), dieses Vorhaben derzeit nicht breit zu kommunizieren. Kinderschutz ist in diesem Fall ja nur der Vorwand, um sichere E2E-Verschlüsselung zu illegalisieren, wenn sie - wie auf Chatplattformen - für alle im Netz frei zugänglich ist.

Screenshot aus Dokument

EU Ministerrat

Über diese Fragen diskutierten die Innenminister der Mitgliedsstaaten 90 Minuten lang zum Abschluss ihres Treffens. Im von Beamten des Ministerrats verfassten Bericht wird dieses brisante Thema völlig ausgespart.

„Die digitale Dimension“ von Schwerverbrechen

Der Beschluss im Ministerrat vom November zielt auf ein de facto Verbot von E2E-Verschlüsselung auf Chatplattformen ab.

Schon der erste Satz der Argumentationshilfe lautet: „Praktisch alle kriminellen Aktivitäten, von Terrorismus bis zu schweren, organisierten Verbrechen haben mittlerweile eine starke digitale Dimension.“ Auch in den Fragen, die den Ministern zur Diskussion vorgelegt wurden, taucht eine mögliche Ausweitung auf andere Delikte bereits auf: „Wie kann der Zugang zu Daten für die dazu ermächtigten Behörden garantiert werden, um den Missbrauch der digitalen Dimension für Verbrechen zu konterkarieren, besonders wenn es um dabei um Kinder geht?“ In den Jahren davor - die weltweite Kampagne gegen Verschlüsselung hatte ja bereits 2014 [!] begonnen - war inhaltlich genau dieselbe Frage gestellt worden.

Auch die dringliche Tonart war dieselbe, wobei es damals allerdings nicht um Kindesmissbrauch, sondern um Terrorismus ging. Das Dokument verweist denn auch auf die jüngsten Anstrengungen von Ministerrat und Kommission in Brüssel, diese Vorhaben in neuen Gesetzesinitiativen zu verankern. Der erste solche „Meilenstein“ war ein diesbezüglicher Beschluss des Ministerrats noch unter der deutschen Ratspräsidentschaft. und stand unter dem Motto „Sicherheit durch Verschlüsselung, Sicherheit trotz Verschlüsselung“, wobei der Titel noch das Originellste daran war. In Folge wurde das damit verbundene Überwachungsregime ausgerechnet im neuen Richtlinienentwurf zu „Maßnahmen für hochklassige Cybersicherheit in der Union“ verankert.

Screenshot aus Dokument

Global Encryption Coalition

Gegen den aktuellen Gesetzesentwurf in Belgien hat sich bereits eine Koalition gebildet, die längst nicht mehr auf Belgien beschränkt ist. Das stetig wachsende Konglomerat besteht aus Bürgerrechtsorganisationen, IT-Industrie und Sicherheitsexperten, Anwälten und Konsumentenschützern.

Wie es bis Dezember still und leise weitergeht

Im Juli 2020 hatte die Kommissarin versucht, durch verpflichtende Upload-Filter den Einsatz von E2E-Verschlüsselung unmöglich zu machen. Das Echo in der Fachwelt fiel nicht eben gnädig aus.

Diese geplanten Maßnahmen der Union sind allerdings nicht auf europäischem Mist gewachsen, die Blaupause dafür stammt nämlich vom britischen Militärgeheimdienst GCHQ aus dem Jahr 2018, nachdem sich die globale „Five Eyes“-Spіonageallianz darauf geeinigt hatte. All diese geplanten Maßnahmen hatten nach ihrem Bekanntwerden so heftige Proteste aus Industrie und Zivilgesellschaft zur Folge, dass die Überwachungspläne vorerst schubladisiert werden mussten. Das große Schweigen nach der Aussprache im Ministerrat zielt also nur darauf ab, Proteste und Kritik schon im Vorfeld zu vermeiden.

Die belgische Regierung ist auf nationaler Ebene bereits vorgeprescht und hat einen einschlägigen Gesetzesentwurf auf den Weg gebracht, der bereits eine Ahnung davon gibt, was die kommende EU-Verordnung zum Inhalt haben wird. Sie wird entweder kurz vor oder kurz nach dem nächsten Ministertreffen veröffentlicht werden, das für die erste Dezemberwoche angesetzt ist. Bis dahin will man keinen Wirbel, denn wie immer setzen die Verantwortlichen darauf, dass die Proteste durch die kurze Spanne bis zu den Feiertagen wenigstens vorerst nicht an Fahrt gewinnen werden.

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