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Acts beim Donaufestival 2021: donnarumma

David Višnjić

Menschen und Maschinen am Donaufestival

Rosa Anschütz, Marco Donnarumma und Margherita Pervere, Lost Girls: Natur und Technik beim Auftakt zum zweiten Wochenende des Donaufestivals.

Von Katharina Seidler

Es hat zehn Grad weniger als letzte Woche, aber die Sonne ist rechtzeitig zum zweiten Donaufestivalwochenende wieder hervorgekommen. In der Kremser Innenstadt treffen Trachten-Poltergruppen auf schwarzgekleidete Menschen in klobigen Schuhen, im Stadtpark wurde das Kunstwerk „Singing Garden“ von Emanuel Mooner bereits in der ersten Festivalnacht randaliert, durch die Pflastersteingassen weht der Duft von Herbst, Kaffee und Schnitzel: Wir sind wieder da.

Acts beim Donaufestival 2021 - vor der Minoritenkirche

David Višnjić

donaufestival.at

„In the Year of the Metal Ox“

1. bis 3. und 8. bis 10. Oktober 2021

Hier gibt es einen Überblick über das gesamte Line-up.

Der Auftakt des Freitagabends führt wie so oft in die Minoritenkirche, seit jeher eine der Hauptbühnen für die Kremser Festivals von Donaufestival bis Glatt & Verkehrt, und an diesem Abend kann man besonders gut beobachten, wie gut oder auch nicht gut der säkularisierte Klangraum einer Performance tut. Rosa Anschütz etwa, die in Wien lebende, deutsche Musikerin und bildende Künstlerin mit ihrem großartigen Debütalbum „Votive“ und so einigem neuen Material im Gepäck, scheint in den kunstvoll gesetzten Lichtkegeln auf der Kirchenbühne geradezu angekommen zu sein.

Rosa Anschütz beim Donaufestival am Mikro und mit Querflöte

David Višnjić

Rosa Anschütz

Ihr atemberaubendes, roten Lack beinhaltendes David-Bowie-Gedenkoutfit unterstreicht den kühlen Glamour ihrer Kunst, die sich punktgenau zwischen düster pumpender Clubmusik von Techno bis Darkwave und melancholischem Pop aufspannt. Ihr Set beim Donaufestival wirkt selbst wie ein einziger gespannter Bogen; in den kurzen Pausen zwischen Querflöten-Loops, krachigen Beats, Gitarrenschleifen und glasklarem Gesang wagt kaum jemand im Raum, sich zu rühren.

Ihre beinahe entrückten, distanziert gesprochenen Vocals, die die Künstlerin in Sachen Dynamik, Ausdruck, Intensität in allen Momenten perfekt im Griff hat, erinnern auf eine Art an die Norwegerin Jenny Hval, die später in der Nacht noch mit Lost Girls die Halle 1 bespielen wird. Auch Rosa Anschütz erzählt von Atem und Körpern, von Bewegungen und vom Bewegt-Werden; im Unterschied zu Hval, die ihre Gedanken meist recht konkret formuliert, geht es bei Anschütz assoziativer zu: Connecting your thoughts, connecting the dots.

Rosa Anschütz beim Donaufestival am Mikro und mit Querflöte

David Višnjić

Die folgende Band mit dem sehr guten Namen Die Orangen wird daraufhin leider zum Paradebeispiel eines Auftritts, der an den akustischen und inszenatorischen Gegebenheiten der Minoritenkirche scheitert. Der breitwandige Gitarrensound der Australier, der Krautrock als trashigen Wüsten-Rock’n’Roll mit Verneigungen in Richtung Industrial und Robert Smith neu denkt, verschwimmt im hohen Raum zum halligen Brei; die zehnfachen Filter und Verzerrungen auf der Stimme des Orangen-Frontmans (und scheinbar einzigem Mitglied aus dem Pressefoto des ursprünglichen Männer-Trios) Kris Baha, seinerseits als DJ und Labelbetreiber für Grenzüberschreitungen zwischen Genres und Musikprojekten bekannt, tun der Intonation keinen Gefallen, die rockigen Showgesten machen das Konzert eher zu einer Art Kunstperformance und zur ersten echten Enttäuschung des Festivals.

Acts beim Donaufestival 2021: Orangen

David Višnjić

Die Orangen

Zutiefst berührend, gleichwohl verstörend, auf alle Fälle intensiv und markerschütternd ist jedenfalls die Performance „Eingeweide“ von Marco Donnarumma und Margherita Pervere, die die Vermählung aus Mensch und Maschine als nackten Tanz auf die Bühne des Stadtsaals bringen. Sehnige Körper ringen mit- oder kosen einander, ihre Muskelbewegungen werden in Echtzeit als Klangimpulse in einen alles durchdringenden Soundtrack verwandelt. Nach kürzester Zeit trägt Marco Donnarumma für den Rest der Show einen elektronischen Rüssel über das ganze Gesicht geschnallt, der sich wie eine riesige Kralle von Zauberhand (sprich durch Künstliche Intelligenz) selbst bewegt und die dargestellte Intimität zwischen Natur und Technik als realistisches Zukunftsszenario greifbar macht.

Acts beim Donaufestival 2021: donnarumma

David Višnjić

„Eingeweide“ von Marco Donnarumma und Margherita Pervere

Noch lange unterhalten sich die Zuseher*innen darüber in der kalten Abendluft, weswegen die Konzentration auf die hochkomplexe Computer-Performance von Robert Henke mitunter schwerfällt. Seine aufwändigen Programmierungsschritte von fünf geradezu antiken Commodore-Rechnern aus dem Jahr 1980 hat der Elektronikpionier zu Beginn des Auftritts offenbar erläutert, wer diese Einführung verpasst hat, steht ein wenig ratlos, aber nicht minder staunend vor der Symbiose aus bleependen Rhythmusskeletten aus Original-Commodore-Sounds und knallgrünen Lichtbildern direkt aus der Matrix. Wenn man will, kann man auch hier das Bild des Metall-Büffels aus dem diesjährigen Festivalmotto In the year of the metal ox, einem Symbolbild für die technische Bewältigung und Erweiterung von natürlichen Systemen, bemühen.

Acts beim Donaufestival 2021: Robert Henke

David Višnjić

Robert Henke: CBM 8032 AV

Die folgenden zwei Konzerte dieses Freitagabends zielen dann eher auf die instinktive Wahrnehmung des Publikums ab. Die in New York aufgewachsene Sängerin, Produzentin und Tänzerin Devi Mambouka alias Masma Dream World inszeniert in der Halle 2 eine Art schamanistisches Ritual, in dem im Dampf der Räucherstäbchen tribalistische Rhythmen und Gesänge, eine große Trommel, Masken, Tänze, Schreie und eine mit dem Bogen gestrichene Gitarre aufeinandertreffen. Eine spacige Klangtherapie für jene, die sich darauf einlassen.

Acts beim Donaufestival 2021: Masma Dream

David Višnjić

Masma Dream World

Auch über der Österreich-Premiere des Paars und Duos aus Jenny Hval und Håvard Volden unter dem Namen Lost Girls liegt eine gedämpfte Trippigkeit. Live unterstützt durch einen Percussionisten an Bongos, anderen Trommeln und einem winzigen Xylophon, bringen Lost Girls die fünf Songs ihres Anfang dieses Jahres erschienenen Debütalbums „Menneskekollektivet“ überraschend originalgetreu auf die Bühne. Das steht im Kontrast zu der scheinbar traumwandlerischen Erzählerinnenstimme von Jenny Hval, die in den Tracks so, als ob es ihr in diesem Moment einfiele, über Kunst und Leben, aber auch über’s Burgeressen und Sich-Selbst-in-Burger-Verwandeln sprechsingt. Je konkreter die Lyrics, umso grotesker wird die Umsetzung zwischen seelenerwärmendem Krautrock, krautrockigen Gitarren, Sequencer-Eskapaden für den Club-Dancefloor: „Eggs, bacon, Cheddar Cheese, I want to initiate your gut bacteria to break me down“.

Acts beim Donaufestival 2021: Lost Girls

David Višnjić

Jenny Hval / Lost Girls

An anderer Stelle geht es aber um nicht weniger als um die Essenz des Menschseins und der Begriffe Ich, Du und Wir. Die Euphorie nimmt sich in der zurückgenommenen Performance von Lost Girls Zeit, kommt dann aber umso weltumarmender um die Ecke, wenn etwa der Album-Höhepunkt „Love, Lovers“ als 15-minütige Klangdecke aus Daunen und Gefühlen den Saal einhüllt:

Now untangle, now untangle thе word from the mind
Oscillating
In the mouth
Dividing
Language from rеpetition
Untangle the word from the mind
Language where everything is dying
Where everything is dying
Words just don’t hold things like love, lovers
They just don’t hold things like opposition

Acts beim Donaufestival 2021: Lost Girls

David Višnjić

Lost Girls

Wenn die Grenzen des Sagbaren erreicht sind, und dadurch vielleicht durch einen winzigen Spalt eine Wahrheit über das Menschsein spürbar wurde, übernimmt die kluge, konkrete, vertrackte Clubmusik von Loraine James einen Dancefloor voll offener Herzen. Ein abwechslungsreicher und fordernder Abend beim Donaufestival, aber es folgt mit etwa Conny Frischauf, Ghostpoet oder den Headlinern Black Country, New Road, die am Freitag schon zu siebent über das Festivalgelände spazierten, noch so einiges.

Acts beim Donaufestival 2021: Lorraine James

David Višnjić

Loraine James

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