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Wie öko ist die ökosoziale Steuerreform?

Zum Nachlesen: Das Studiogespräch mit Jakob Schwarz, dem stellvertretenden Klubobmann und Sprecher für Budget und Steuern von den Grünen, und Philipp Steininger von Fridays For Future.

Die ökosoziale Steuerreform gilt als eines der größten Vorhaben der türkis-grünen Regierung. Künftig soll eine CO2-Steuer eingehoben und ein Klimabonus verteilt werden.

Alexandra Augustin und Ali Cem Deniz diskutieren mit Jakob Schwarz, dem stellvertretenden Klubobmann und Sprecher für Budget und Steuern von den Grünen und Philipp Steininger von Fridays For Future.

Wir bieten das Gespräch als Audio, als Video und zum Nachlesen an:

Alexandra Augustin: Ich hab zum Anfang eine einfache Frage: Alle reden immer von einer Tonne CO2. Aber was kann man sich da drunter vorstellen? Wie lang kann ich denn z.B. mit dem Auto fahren für eine Tonne CO2? Oder wieviel Strom muss ich da verbrauchen? Wie kann man sich das vorstellen?

Jakob Schwarz: Da gibt es zwei Möglichkeiten, sich dem anzunähern. Das eine ist: Im Schnitt stößt man als Österreicher*in im Jahr zehn bis zwölf Tonnen CO2 aus. Das sind Autofahrten, Heizung, das sind die Nahrungsmittel, die man konsumiert oder was man versteckt sonst in verschiedenen Produkten drinnen hat. Umgekehrt kann man bei einem Liter Benzin anfangen und sagen, der produziert - mit Beimischungen und so weiter, das ist im Detail dann recht kompliziert - ungefähr 2,5 Kilogramm CO2.

Alexandra Augustin: Also ungefähr zehn bis zwölf Tonnen CO2 verbraucht oder produziert jede*r im Jahr?

Jakob Schwarz: Ja, also in den westlichen Ländern. Das ist die produktionsorientierte Betrachtungsweise. Wenn man berücksichtigt, was wir aus dem Ausland importieren - und das machen wir ja relativ stark in den westlichen Ländern - dann liegt das noch ein bisschen höher.

Alexandra Augustin: Jetzt haben wir eine Ahnung, was ungefähr eine Tonne CO2 ist, jetzt können wir kurz rechnen. Ab Juli 2022 müssen wir 30 Euro pro Tonne CO2 zahlen, Autofahren und Heizen wird dann entsprechend teurer. Fridays For Future, aber auch viele Wissenschafter*innen sagen, dass das zu wenig ist. Wieso ist denn das zu wenig?

Philipp Steininger: Das Thema CO2-Bepreisung verfolgt die Klimapolitik schon sehr lange und wird heiß diskutiert. Da gibt es zwei wichtige Faktoren. Einerseits, damit wirklich Lenkungseffekte entstehen, sollte der Preis hoch genug sein, dass Verhaltensänderungen und Investitionsveränderungen wirklich spürbar sind. Dann die Kostenwahrheit. Wir haben jetzt auch schon Kosten, die anfallen, durch jede Tonne, durch jedes Gramm CO2, das ausgestoßen wird. Diese Kosten trägt - trotz ökosozialer Steuerreform - eigentlich immer noch großteils die Allgemeinheit. Die Folgen der Klimakrise, die Hitzetoten... Der Preis ist ganz klar zu niedrig, weil - wie Wissenschafter*innen wie Verena Winiwarter oder Gottfried Kirchengast gesagt haben - der Preis einfach zu niedrig ist, um spürbare Veränderungen zu bewirken. Weil wir auf der anderen Seite auch von der Kostenwahrheit meilenweit entfernt sind. Das Deutsche Umweltbundesamt hat berechnet, dass für dieses Jahr die Kosten, die durch eine Tonne CO2 entstehen, bei 200 Euro liegen. Und wir sind bei 30 Euro! Da kann man sich vorstellen, dass wir - also die Allgemeinheit - vor allem aber auch die zukünftigen Generationen immer noch die übrigen 170 Euro draufzahlen. Das ist eine riesige Hypothek für die zukünftige Generation.

Alexandra Augustin: Jakob Schwarz, die Grünen haben die Steuerreform ja mitverhandelt. Warum ist der Preis dann am Ende so niedrig ausgefallen, obwohl so viele einen höheren Preis fordern?

Jakob Schwarz: Ich komme selber aus der Klimaforschung. Der eben erwähnte Gottfried Kirchengast ist mein Doktorvater. Entsprechend ist es mir immer ein großes Anliegen gewesen, diese externen Kosten zu internalisieren. Das betrifft ja nicht nur das Klimaproblem, aber das halt sehr massiv. Das gibt es auch bei Antibiotikaresistenzen und so weiter, und das treibt mich auch politisch an. Ich glaube, das Entscheidende ist, dass wir das jetzt einmal hergekriegt haben. Dass es erstmals einen Preis für die Emissionen gibt, den diejenigen zu leisten haben, die auch für den Schaden verantwortlich sind. Die Schwierigkeit ist, und das hat sich auch in den Verhandlungen so dargestellt, dass viele von diesen Abschätzungen keine sehr harte Grenze haben. Wo beginnt die Lenkungswirkung? Wann ist es genug, wann ist es nicht genug? Man kann sich da nur an anderen bereits bestehenden Preisgrößen orientieren. Typischerweise spielt der Preis beim europäischen Emissionshandel eine Rolle, oder beim deutschen Emissionshandelssystem. An solchen Anhaltspunkten orientieren sich dann auch die Ergebnisse von Verhandlungen. Die Frage der Kostenwahrheit ist noch viel schwieriger zu beantworten als die über die Lenkungswirkung. Weil da steckt auch noch die Frage drin: Wie stark diskontiere ich die Zukunft? Also wie wichtig ist mir Zukunft? Das ist eine sehr philosophische Frage. Die nach der Lenkungswirkung ist ein bisschen einfacher, und da stimme ich dem Philipp durchaus zu.

Philipp Steininger: Zur sicher schwierigeren Frage nach der Kostenwahrheit muss man auch klarstellen, in welche Richtung das geht. Da geht es nicht darum, dass der Preis eventuell bei 50 Euro liegen könnte, sondern das könnte auch bei 800 Euro liegen. Das sind immer Ranges. Du kannst das nicht auf einen genauen Wert ausrechnen. So genau ist die Wissenschaft nicht, so genau sind die Daten nicht. Aber in diesen Ranges gibt es auch Zahlen, die sagen, in Wirklichkeit müsste das auch jetzt schon bei 800 Euro liegen, um für die künftigen Generationen Kostenwahrheit zu garantieren. Also nur um ein Gefühl für die Dimension zu bekommen und dafür, wie weit weg wir von dieser Kostenwahrheit sind.

Alexandra Augustin: Zwischen 30 und 800 Euro ist ja ein großer Spielraum. Ist da ein Preis von 30 Euro mit der grünen Umweltpolitik vereinbar?

Jakob Schwarz: Für mich war entscheidend, dass wir in ein neues Zeitalter gehen, also dass das Klimasystem ein Teil der Rechnung wird und das Steuersystem dieses neue Zahnrad bekommt, das diesen Aspekt berücksichtigt. Man kann dann immer noch - und muss wahrscheinlich auch - an dieser Schraube drehen, wie an vielen anderen auch. Aber es ist ein wichtiges Instrument in diesem ganzen Instrumentenkoffer, das damit jetzt einmal zu spielen beginnt. Die Töne müssen dann noch richtig rauskommen, aber es ist da. Das ist gelungen, und zwar auch innerhalb des Zeitraums. Ich war im letzten Jahr immer mit Fragen konfrontiert zur Task Force, weil die tagt ja nicht und ob es überhaupt jemals eine Steuerreform gibt. Der große Erfolg war, dass wir geschafft haben, das mit nächstem Jahr in Kraft zu setzen und auch ökonomisch wirken zu lassen.

Alexandra Augustin: Über einen sogenannten Klimabonus soll das Geld, das für den CO2-Verbrauch eingenommen wird, wieder neu verteilt werden. Wieviel man bekommt, hängt dann aber vom Wohnort ab. In Wien bekommt man 100 Euro, weil es da gut ausgebaute Öffis gibt. Wer am Land lebt, kann bis zu 200 Euro bekommen. Ist das gerecht? Eine alleinerziehende Person in Wien bekommt dann also weniger als ein Zahnarzt, der am Land lebt und sozial ja vielleicht eigentlich besser gestellt ist. Ist das dann auch eine soziale Maßnahme?

Jakob Schwarz: Typischerweise, wenn es CO2-Bepreisungen gibt, in unterschiedlichen Ländern, erfolgt die Rückerstattung durch verschiedene, oft komplexe Maßnahmen. Das führt dann dazu, dass es passieren kann, dass Menschen mit geringerem Einkommen eigentlich draufzahlen. Einfach weil für Menschen mit geringerem Einkommen Dinge wie Heizung oder Autofahrten einen größeren Teil des Haushaltsbudgets ausmachen. Deshalb muss man bei der Rückverteilung schauen, dass das Geld erstens nicht einfach ins Budget geht, und zweitens, dass das insbesondere jenen zugutekommt, die weniger Einkommen haben. Das sichert dieser Ökobonus, weil den alle gleich bekommen und weil in absoluten Zahlen Reiche mehr CO2 ausstoßen als Arme. Das heißt, es bleibt Menschen mit geringerem Einkommen relativ mehr von diesem Klimabonus übrig. Damit ist dann sozusagen diese ökosoziale Komponente garantiert.

Alexandra Augustin: Fridays For Future hat schon vor der Steuerreform einen Klimabonus gefordert. Jetzt zeigt ihr euch mit diesem Bonus nicht zufrieden. Warum nicht?

Philipp Steininger: Ja, das ist eine gute Frage. Also ich glaube, Klimabonus an sich ist ja ein wichtiger Baustein, einfach um diese breite Akzeptanz zu schaffen. Er ist natürlich immer etwas Spannendes, wenn die Leute Geld bekommen und sie sind wahrscheinlich so eher gewillt, das mitzutragen. Aber was uns ganz klar fehlt, ist einfach die soziale Komponente. Was ist eigentlich der Faktor, der entscheidet, ob man 100 Euro oder 200 Euro bekommt? Der Wohnort. Leute, die zum Beispiel in Wien wohnen, ich gehöre selber dazu, die können nicht darüber entscheiden, was für ein Heizsystem in ihrer Wohnung angewendet wird. Da bleibst du mehr oder weniger auf den Kosten sitzen. Den Vermieter interessiert das normalerweise nicht und du kannst aber nichts dran ändern. Das ist also für mich ein klarer asozialer Aspekt in der ganzen Sache. Was natürlich auch ganz wichtig für uns gewesen wäre, ist, dass man diesen Bonus zum Beispiel mit dem Haushaltseinkommen oder so in Verbindung setzt. Eben dieser erwähnte Zahnarzt, der eh schon gut behütet auf dem Land wohnt, der braucht nicht noch einmal die 200 Euro Bonus. Das ist einfach nicht wirklich notwendig. Aus Klimaschutz-Sicht ist es ein Versäumnis, dass dieser Klimabonus nicht an irgendwelche Maßnahmen zur CO2-Reduktion gekoppelt ist. Sprich, jeder kriegt den, egal wie du dich verhältst. Das sind im nächsten Jahr 1,2 Milliarden Euro, das ist die Hälfte vom Budget für Klimaschutzmaßnahmen, die aber nicht dafür sorgen, dass Emissionen direkt reduziert werden. Das ist für uns im Endeffekt auch ein bisschen zu kurz gedacht.

Alexandra Augustin: Jetzt ist vorhin schon gefallen, diese 30 Euro, das ist mal ein Anfang. Ist das beim Klimabonus auch ein Anfang? Könnte man sich das vorstellen, das auszubauen, in Zukunft zu staffeln? Was fordert ihr zum Beispiel? Wie könnte sich das entwickeln? Gibt es da Modelle?

Philipp Steininger: Also wir haben ein Positionspapier erstellt. Wir haben Gespräche mit Politiker*innen, mit Wirtschaftsvertretern, mit Wissenschafter*innen geführt und haben uns dazu entschieden, einen Preis von 80 Euro zu fordern. Es gibt zum Beispiel auch die CEOs For Future. Da ist WienEnergie dabei, da ist der Verbund dabei, und die haben einen Preis von 60 Euro gefordert. Die sagen wirklich klipp und klar: Ein hoher Preis ist extrem wichtig für die Wirtschaft, um wirklich diese Investitionen anzuheizen. Wir sagen 80 Euro, Wissenschafter*innen sagen sogar 100 Euro. Ja, das ist unsere Meinung. Ob es dann ein Einstieg ist, kommt darauf an, woran man sich orientiert. Orientiert man sich an den 30 Jahren, die hinter uns liegen, die vor allem von einer Blockade in Sachen Klimapolitik bestimmt wurden, dann ist es vielleicht ein Fortschritt. Wenn man sich aber an den geophysikalischen Fakten der Klimakrise orientiert, dann ist es im Endeffekt ein halbgarer Prozess.

Ali Cem Deniz: Wenn man das jetzt hört und wir wissen ja auch immer, die Zeit läuft davon, wenn es um die Klimakrise geht. Welche Rolle hat dieser Faktor Zeit bei der Steuerreform, die jetzt vorgestellt wurde, gespielt?

Jakob Schwarz: Eine ganz große Rolle. Für mich war das einer der entscheidenden Punkte, dass wir das nächstes Jahr auf den Boden kriegen. Ich kann mich vielem anschließen, was Philipp eben gemeint hat, aber wenn man bedenkt, wie schwierig zum Beispiel das Klimaticket umzusetzen war und das ist über 15 Jahre in Regierungsprogrammen gestanden. Da gab es grundsätzlich einen Willen bei allen Parteien, so etwas einzuführen, und trotzdem hat es so lange gedauert. Bei der Steuerreform ist es anders. Wir sind die einzige Partei, die das fordert. Die anderen wollen das nicht. Es gibt bei den NEOS den Wunsch nach einem CO2-Preis, aber da fehlt der soziale Teil komplett und die anderen wollen das nicht. Die SPÖ will aus verschiedensten Gründen überhaupt keine CO2-Bepreisung als Steuerungsinstrument, weil sie meinen, das steuert nicht. Insofern ist es sehr schwierig, in diesem politischen Setting als 14-Prozent-Partei Erfolge zu erzielen. Umso wichtiger, dass wir da einmal reingekommen sind, weil der Druck von der Straße auch relativ schnell dazu führen kann - und darum ist der auch wichtig -, dass wir diese Schraube, dieses Rad, das jetzt mal drinnen ist, auch noch anziehen. Zum Klimabonus wollte ich kurz etwas sagen. Das ist, was in den Regierungsprogrammen sozusagen als Kompromiss herausgekommen ist. Wir wollten immer diesen Bonus. Wenn man zu differenzieren beginnt, wird es sehr schnell sehr kompliziert mit der Frage: Wonach differenziert man? Man kann nach dem Einkommen unterscheiden, danach, wie abhängig jemand von fossiler Energie ist, danach, wieviel Energie ich aktuell verbrauche, also wie stark ich von der Bepreisung betroffen sein werde... Letztlich haben wir uns dazu entschieden, eine Pauschale zu machen, weil das sehr einfach ist, und man sieht da schon bei dieser kleinen Differenzierung (die ich übrigens sehr gerechtfertigt finde, vielleicht kann ich später dann noch kurz darauf eingehen) nach der Urbanität des Raumes, in dem man lebt, dass es da extrem viele gibt, die sich über die Abgrenzungen und so weiter Sorgen machen und beschweren. Das wäre umso komplizierter, je komplizierter das Verteilungsmechanismus ist. Deshalb ist es, finde ich, einer der ganz großen Erfolge dieser Steuerreform, dass dieser Bonus so kommt.

Ali Cem Deniz: Das Institut für Wirtschaftsforschung, kurz WIFO, hat ausgerechnet, wie viel Österreich jährlich für umweltschädliche Subventionen im Energie- und Verkehrsbereich ausgibt. Dazu zählen zum Beispiel das Dieselprivileg oder Kerosin, das steuerfrei ist. Das alles kostet jährlich zwischen 3,8 und 4,7 Milliarden Euro. Das sind enorme Summen, die in dieser ökosozialen Steuerreform, die eigentlich auch die Folgen der Klimakrise dämpfen soll, kein Thema sind. Das ist etwas, was Fridays For Future vor allem kritisiert haben. Philipp Steininger, was bedeutet das für die Klimapolitik, wenn diese Subventionen weiterhin bestehen bleiben?

Philipp Steininger: Das ist eine sehr wichtige Frage, die man auf jeden Fall in die gesellschaftliche Mitte bringen muss. Der Präsident der Wirtschaftskammer, Harald Mahrer, hat sich zum Beispiel, nachdem das geplante Paket vorgestellt wurde, damit gerühmt, die Abschaffung des Dieselprivilegs rausverhandelt zu haben. Da sieht man, dass die österreichische Klimapolitik immer noch von einem fossilen, verkrusteten Denken geprägt wird, das die Dringlichkeit der Lage und die Notwendigkeit der Maßnahmen einfach nicht verstanden hat. Das ist einfach extrem. Das ist einfach eine riesige Tragik und das geht natürlich auf Kosten aller zukünftigen und auch der jungen Generation wie mir. Wenn man diese 4,7 Milliarden hernimmt, das sind in der Stunde von unserem Gespräch hier 580.000 Euro. Damit könnte man sechs Altbauwohnungen, die 100 Meter groß sind, komplett neu sanieren. Jede Stunde. Ich habe vorhin kurz erwähnt, das Klimabudget wurde jetzt, glaube ich, um 250 Prozent aufgestockt. Das ist ein großer Schritt prozentuell, aber es sind insgesamt immer noch nur 2,5 Milliarden Euro, sprich die Hälfte, von diesen klimaschädlichen Subventionen. Da kann man schon eins und eins zusammenzählen und sich fragen, wie ökosozial dieses Steuersystem ist. Was mich sehr gestört hat, natürlich auch unsere Bewegung, war einfach, dass auch die Grünen trotzdem diese ökosoziale Steuerreform als großen Wurf verkaufen. Dass sie zum Beispiel sagen, dass dieses Steuersystem jetzt die Leute, die sich klimafreundlich verhalten, nicht mehr als die Dummen aussteigen lässt. Aber das stimmt überhaupt nicht und das ist in weiterer Folge auch extrem tragisch, weil es hat nicht jeder Zeit, sich so intensiv mit dieser Thematik auseinanderzusetzen. Das kommt dann bei den Leuten in der breiten Bevölkerung an: Die Grünen finden das gut, dann muss es schon halbwegs klimapolitisch passen. Dass es nicht so ist, kommt leider nicht an.

Alexandra Augustin: Ich glaube, wir müssen kurz erklären, was ist denn dieses Dieselprivileg? Diesel ist billiger als zum Beispiel Superbenzin. Die Mineralölsteuer auf Diesel ist um 8,5 Cent pro Liter niedriger als zum Beispiel auf Super - und auf der Brennerachse fahren dann deshalb zum Beispiel jährlich 300.000 zusätzliche Transit-LKWs umher. Die sind dann auch für ein Viertel aller Treibhausgasemissionen verantwortlich. Man fährt dann irgendwohin, wo man billiger tanken kann. Jakob Schwarz, die Grünen haben immer ein Ende der klimaschädlichen Subventionen gefordert. Auch im Regierungsprogramm wird dieser Punkt erwähnt. Warum hat es dieser Punkt nicht in die ökosoziale Steuerreform geschafft?

Jakob Schwarz: Die klimaschädlichen Subventionen sind ein zentraler Teil dieser ökosozialen Steuerreform, die ja grundsätzlich aus zwei Phasen besteht. Die erste Phase, wo verschiedene Maßnahmen im Regierungsprogramm verankert sind, wie die Deckelung der NoVA (Normverbrauchsabgabe, abhängig vom CO2-Ausstoß, zu bezahlen bei der Anschaffung eines Kraftfahrzeugs, Anm.) aufzuheben, den Sachbezug zu ökologisieren und so weiter, die orientiert sich genau an dieser gerade vorhin erwähnten WIFO-Studie. Viele dieser Privilegien sind keine echten Förderungen, sondern es sind Steuerprivilegien. Man muss Steuer zahlen, aber halt weniger, als man für vergleichbare andere Produkte oder Dienstleistungen zahlt. Und viele davon sind auf europäischer Ebene geregelt, wie zum Beispiel die Besteuerung von Kerosin. Das könnte Österreich so nicht machen. Wir haben uns deshalb für die Erhöhung der Abgabe auf Flugtickets entschieden, um trotzdem irgendwie einen ähnlichen Effekt zu erzielen. Auch die NoVA-Erhöhung und die Entfernung des Deckels bei der NoVA ist genau in diese Richtung gegangen. Wir haben auch beim Sachbezug etwas gemacht, wir haben diese klimaschädlichen Subventionen Schritt für Schritt abgearbeitet. Was jetzt noch offen ist, ist ein zweiter Schritt, bei der Ökologisierung des Dienstwagenprivilegs und auch ein Schritt beim Dieselprivileg. Wobei ich sagen muss, gerade beim Dieselprivileg ist auch die CO2-Bepreisung schon ein erster Schritt. Weil der Diesel CO2-intensiver ist als Benzin, sinkt das Dieselprivileg mit jedem Schritt, die die CO2-Bepreisung steigt. Also es wird auf jeden Fall über die CO2-Bepreisung dazu kommen, dass Diesel im Endeffekt höher besteuert ist als Benzin, einfach weil er CO2-intensiver ist. Wir werden aber trotzdem bei diesen zwei, drei Maßnahmen, die von dieser Liste noch übrig sind, weitermachen und versuchen, das auch zu realisieren.

Alexandra Augustin: Es gibt da viel Kritik am Projekt, vor allem von Klimaschutzaktivist*innen, aber auch von der Wissenschaft, die umfangreichere Reformen fordert. Jetzt sind diese Was-wäre-wenn-Fragen natürlich immer sehr fies, aber: Wenn es jetzt die Möglichkeit gäbe, noch einmal neu zu verhandeln, was würden die Grünen anders machen?

Jakob Schwarz: Ich glaube, wir würden nicht viel anders machen. Die politische Gemengelage ist in Österreich, wie sie ist, und ich habe versucht, mit meinem wissenschaftlichen Anspruch verhandlungsstrategisch und -taktisch alles zu machen, um eine möglichst ökologische, also klimafreundliche und sozial gerechte Variante von einer Steuerreform zustande zu bringen. Und unter den gegebenen Machtverhältnissen ist das eben das, was rauskommen kann. Fast wäre es ja überhaupt noch komplett gescheitert. Weil eben viele andere Parteien im österreichischen Parlament diese Reformen nicht unterstützen, wäre es möglicherweise für immer, oder für sehr lange Zeit, zu keiner Lösung gekommen.

Alexandra Augustin: Philipp Steininger, letzte Woche hat Fridays For Future am Heldenplatz gegen diese Steuerreform protestiert und eine Neuverhandlung gefordert. Heißt das für euch, dass die komplette Reform verändert werden soll oder gibt es Vorschläge, die bleiben können? Was ist gut, was ist nicht gut?

Philipp Steininger: Also im Großen und Ganzen sollte sich im Idealfall eigentlich sehr viel verändern. Natürlich hat die Steuerreform sehr viele Komponenten und wir haben heute über die sozialen Komponenten noch nicht so sehr geredet, über die Steuersenkungen bei den Tarifstufen. Da ist heute leider auch nicht die Zeit dafür, obwohl das ein extrem wichtiges Thema ist und wir das auch ganz klar kritisieren, weil das unserer Meinung nach nicht wirklich sozial fair ausgestaltet worden ist, was sicher auch mit der Machtkonstellation zu tun hat. Was würden wir anders machen, wenn man jetzt einfach einmal das Herzstück anschaut? Der CO2-Preis sollte eigentlich dazu führen, dass die Emissionen sich reduzieren. Aber es gibt keine erfolgsorientierten Faktoren. Man hat auch nicht wirklich gehört, wie viel CO2-Emissionen die Bundesregierung damit jährlich einsparen will. Das haben wir in unseren Forderungen ganz klar eingearbeitet, weil das mehr oder weniger das Wichtigste ist. Du kannst nicht genau sagen: Mit einem so oder so hohen Preis wird sich so viel reduzieren. Aber dass man diese 80 Millionen Tonnen pro Jahr, die wir noch übrig haben, dass man versucht, die konsequent zu senken, da ist in Österreichs Klimapolitik vieles im Argen, weil ein Klimaschutzgesetz, das so eine Reduktion vorgibt, fehlt. Was würden wir anders machen? Auf jeden Fall einen höheren CO2-Preis, einen viel ambitionierten Preis. Der aktuelle Preis lässt uns nicht einmal am Ende des Jahrzehnts Kosten weiterreichen. Wir hätten auch einen sozial treffsicheren Klimabonus gefordert, eine Abschaffung der fossilen Subventionen. Was mir persönlich ganz wichtig ist, und wo ich auch hier dem Jakob widersprechen muss, ist die Bereitschaft der Bevölkerung. Man sagt natürlich, okay, die aktuelle Machtkonstellation hat nicht mehr zugelassen, das verstehe ich. Also ich bin mir sicher, dass die ÖVP und auch die Wirtschaftskammer und die Industriellenvereinigung - hat man ja gesehen mit den Presseaussendungen - super zufrieden sind. Das ist ein Klimaschutz mit Hausverstand, wie man so schön vernimmt. Aber wenn man sich die breite Bevölkerung anschaut, dann glaube ich, dass da sehr viel mehr Potenzial liegt. Schauen wir uns die Coronakrise an. Hätte vor zwei Jahren eine Person zu mir gesagt: Philipp, in paar Monaten gibt es nur noch fünf Gründe, wieso du dein Haus verlassen darfst, dann hätte ich gesagt, nein, das lässt sich gesamtgesellschaftlich doch nicht durchsetzen. Aber es ließ sich durchsetzen. Wieso? Weil die Menschen wussten, wieso das notwendig ist. Die Klimakrise ist eine viel umfangreichere, fundamentalere Krise als die Coronakrise es je sein kann. Für die Coronakrise haben wir eine Impfung entwickelt, für die Klimakrise wird es keine Impfung geben, niemals. Dieses Bewusstsein haben viele, hoffe ich zumindest. Die grüne Partei hat das, aber sie trägt es nicht aktiv in den Diskurs rein, und wenn man das nicht aktiv in den Diskurs reinträgt, in die Gesellschaft, und es nicht wie eine Krise behandelt, dann ist natürlich auch diese Bereitschaft nicht dazu da. Wieso sollte ich mir dann selber so viel Stress machen, wenn sogar die Grünen sagen, es ist okay? Bei der Pressekonferenz wurde von einem sanften Einstieg gesprochen, seitens Kogler und so weiter, und auch davon, dass es ein historischer Wurf ist. Ich habe dann auch auf seiner Facebook-Seite oder zum Beispiel auf der von Lukas Hammer, vom Umweltsprecher, gesehen: Persönlich hätten Sie einen höheren CO2-Preis gefordert. Wieso sagt man das persönlich? Das auf Twitter oder Facebook kriegt die Normalbürger*in nicht mit. Das muss auch auf dieser Pressekonferenz passieren, dass die Leute wirklich merken: Hey, das ist eigentlich nicht genug. Das ist alles, was aktuell möglich war, aber das ist eigentlich nicht genug. Dann kann man auch den Ball ein bisschen von sich wegschieben. Das Problem ist ja jetzt auch wieder: Wer diskutiert denn jetzt hier? Ein Grüner und ein Aktivist. Aber Klimapolitik sollte sich nicht zwischen uns abspielen, das ist ein gesellschaftliches Thema, das jeden betrifft, aber so wird es leider nicht verstanden, und das ist ein großes Problem.

Alexandra Augustin: Das stimmt natürlich. Es geht uns alle an, uns vier hier in diesem Raum, die ganze Welt, die uns jetzt auch zuhört da draußen. Wir müssen aber auch gleich aufhören zu diskutieren. Ich meine, da muss man bei sich selber auch ein bisschen anfangen. Habt ihr zum Abschluss noch einen Lieblingstipp, den ihr weitergeben könnt?

Philipp Steininger: Politisch werden. Also bevor ihr dreimal überlegt, was ihr euch für ein Shampoo kaufen sollt, geht auf die Straße, das ist das Wichtigste. Also wir von Fridays For Future sagen ganz klar, und das ist auch Konsens in der Klimabewegung: Es geht nicht darum, das Richtige einzukaufen, auf Fleisch zu verzichten und so weiter. Das ist alles schön und gut. Aber erstmal muss der systematische Rahmen geschaffen werden und das geht nur, wenn wir politischen Druck erzeugen. Wenn ihr mit anderen Leuten, mit eurer Familie diskutiert, an eure Gemeinderäte schreibt, Leserbriefe schreibt, wenn ihr euch engagiert, politisch mit anderen zusammenschweißt. Das ist extrem wichtig, um einfach Druck von der Straße zu bringen.


Jakob Schwarz: Auf jeden Fall 100 Prozent das gleiche. Ich glaube, es ist schön, wenn Leute auch individuell versuchen, Emissionen einzusparen, aber das Wichtigste ist politisches Engagement. Das kann auch rein durch Wahlen sein. Das kann man, indem man sich selbst engagiert in der Politik oder eben auf der Straße ist oder Petitionen unterschreibt. Da gibt es viele, viele Möglichkeiten. Aber worauf ich noch eingehen wollte: Wir haben uns vor 25 Jahren als Grüne einmal getraut, eine Erhöhung des Benzinpreises zu fordern, das hat die Beliebtheit in der Bevölkerung über 20 Jahre beeinträchtigt. Insofern hat sich schon viel geändert in der Gesellschaft. Wir haben uns getraut, in einem Wahlkampf zu sagen, wir brauchen eine ökosoziale Steuerreform und wollen das auch durchzusetzen gegen einen türkisen Koalitionspartner. Insofern hat sich das schon bezahlt gemacht, dass Leute wie ich, aber auch Leute wie Philipp, Demonstrationen auf der Straße organisiert haben und damit auch das Meinungsbild geändert haben. Klarerweise gibt es - und das muss man ja auch berücksichtigen - gerade bei Menschen mit geringerem Einkommen schon oft eine starke Abhängigkeit (aus der wir die Leute auch befreien sollten) vom Auto, vom fossilen Heizen und so weiter. Deshalb glaube ich, ist das ein Schritt-für-Schritt-Einstieg. Das hat nicht nur Nachteile, weil wir müssen die Leute alle mitnehmen, damit eben genau auch dieser Druck auf die Politik aufrechterhalten bleiben kann. Ein letztes Wort zur Steuerreform: Ich glaube nicht, dass die sozial ungerecht ist. Das ist einer der Punkte, wo ich glaube, dass wir uns tatsächlich durchgesetzt haben. Ich habe das auch gestern in meiner Parlamentsrede versucht zu erläutern. Wir haben von 23 Milliarden Euro Entlastungsvolumen, drei Milliarden für Unternehmen, 20 Milliarden für die Haushalte, also die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Und zehn Milliarden davon für Menschen, die gar keine Steuern zahlen. Das ist sehr untypisch für eine Steuerreform, dass ein so großer Teil an Entlastung zur Verfügung steht für Menschen, die weniger verdienen, als dass sie damit Steuern zahlen müssten. Insofern wäre dies das Argument, wo ich am überzeugtesten bin, dass diese Steuerreform wirklich gelungen ist.

Alexandra Augustin: Ich muss euch leider an dieser Stelle unterbrechen, und man merkt, wir sind noch lange nicht durch mit diesem Thema. Wir werden aber weiter diskutieren. Jakob Schwarz von den Grünen, Philipp Steininger von Fridays For Future, danke für eure Zeit heute.

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