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Screenshot aus dem Computerspiel "JETT: The Far Shore"

Superbrothers / Pine Scented Software

Das spirituelle Sci-Fi-Game „JETT“ scheitert am eigenen Anspruch

Rund acht Jahre lang hat ein kleines Team aus Quebec an einer unkonventionellen Mischung aus Schwebegleiter-Spiel und epischer Science-Fiction-Erzählung gebastelt. Viele haben gehofft, dass „JETT“ ein großer Wurf wird, doch in der Praxis ist das Indiegame leider eine Enttäuschung.

Von Robert Glashüttner

Die alte Welt ist dem Untergang geweiht, doch eine kleine Gruppe an Astronaut*innen hat das Privileg, in eine neue Welt aufzubrechen, auf der es – vielleicht – weitergeht. Diese ferne Küste, also die titelgebende „far shore“ ist sehr, sehr, sehr weit entfernt. So weit, dass unsere Crew 1.000 Jahre lang tiefgefroren und erst dann wiederbelebt wird, wenn das Raumschiff sein Ziel, einen mysteriösen Ozeanplaneten, erreicht hat.

Die 1.000 Jahre vergehen im Intro des Spiels, bei der die Protagonistin Mei zuerst in einer Art Tempel steht und danach durch eine andachtsvolle Menschenmenge in Richtung Raumschiff schreitet. Unsere Eltern sind auch gekommen, unsere Freunde, das ganze Volk quasi. Es ist ein großer, schicksalhafter Tag. Ein Abschied und gleichzeitig ein Anfang - vorausgesetzt, dass technisch bei diesem immensen Unterfangen auch alles glattgeht.

Angekommen in der neuen Welt

Tatsächlich geht alles gut: Zehn, 20, 200, 500 und schließlich 1.000 Jahre vergehen in wenigen Sekunden, bis das Mutterschiff endlich bei der Destination angekommen ist: einem sagenumworbenen Planeten, der in der religiösen Vorhersagung dieses Volkes der Ort seiner Rettung sein soll. Auch unsere sechs Kolleg*innen sind gesund aus dem Kryoschlaf erwacht und machen sich nun als Kundschafter*innen in ihren Schwebegleitern - den Jetts - auf, diese seltsame Alienwelt zu erkunden.

„JETT: The Far Shore“, entwickelt und vertrieben von Superbrothers und Pine Scented Software, ist für PS4, PS5 und Windows erschienen.

Mit unserem Gleiter sausen, wir gemeinsam mit unserem sehr (manchmal: zu) gesprächigen Copiloten; über die Planetenoberfläche und entdecken die lokale Fauna und vor allem Flora: kurios geformte Pflanzen mit explodierenden Samen beispielsweise. Obwohl manche Tiere uns attackieren, bleibt „JETT: The Far Shore“ stets pazifistisch: Kämpfen können wir nicht, Feinde werden etwa durch Geräusche oder Pollen abgelenkt. Wichtig ist vor allem die Recherche: Mit unserem Scanner können wir sowohl lebende Wesen als auch geologische Phänomene analysieren und auf Besonderheiten abklopfen. Dies dient später wiederum der nicht-invasiven Nutzung der Umgebung, wenn wir uns etwa verstecken oder eben Aggressoren ablenken müssen.

Screenshot aus dem Computerspiel "JETT: The Far Shore"

Superbrothers / Pine Scented Software

Die Entdeckungsreisen am Schwebegleiter sind ganz okay, werden aber immer wieder durch äußerst träge Passagen unterbrochen, in denen wir aus dem Schiff klettern und mit unseren Teamkolleg*innen plaudern müssen. Diese Dialoge drehen sich meist um die religiös geprägte Vorhersage der fernen Küste und auch eine Art heiliger Schwingung, und dass diese alle retten und erlösen würden. Die Mischung aus religiöser Weltsicht und wissenschaftlichen Errungenschaften ist per se kein Problem, doch sind die Gespräche darüber ebenso steif und austauschbar wie die Charaktere, die sie sprechen.

Übrigens werden die Figuren äußerst unklug eingeführt: Wir lernen sie alle sechs gleichzeitig in einer Introszene kennen, wo sie wie aufgefädelt nebeneinander stehen und wenig interessante Sätze von sich geben. Wer nun etwa Schiffsarzt und wer Kapitän ist, erfährt man nur am Rande. Von Anfang an haben diese Figuren keinerlei Persönlichkeit, dennoch zwingt uns das Spiel immer wieder dazu, mit ihnen in aller Ausführlichkeit zu verkehren. In Sprachausgabe gesprochen wird eine Kunstsprache, die allerdings nicht sonderlich inspirierend klingt: Es wirkt so, als ob man existierende Sprachen in einen Mixer geworfen und anschließend von einer KI neu zusammensetzen hätte lassen. Wir selbst, also die Figur Mei, bleiben hingegen immer stumm.

Erstaunlich enttäuschend

Das Game ist so schlecht inszeniert, dass man sich fragt, ob das Entwicklerteam Superbrothers sich jemals über Dinge wie Dramaturgie oder Spannungsbogen den Kopf zerbrochen hat. Meine Theorie ist: „JETT“ ist durch zu viele Überlegungen, Versuche und Iterationen über viele Jahre hinweg so stark durchdacht und immer wieder überarbeitet worden, dass sich das Ganze am Schluss ins Gegenteil von dem verkehrt hat, was es hätte sein sollen.

Selbst audiovisuell verkauft sich das Spiel unter seinem Wert: Obwohl viele Grafiker*innen und Illustrator*innen an diesem Projekt beteiligt waren, die mitunter fantastisches Artwork gestaltet haben, ist der gesamte Look des Spiels erstaunlich unaufregend. In Standbildern sieht „JETT“ mitunter hübsch aus, doch in Aktion sind die Schwebegleiter-Passagen visuell bloß durchschnittlich, und auch unsere Kolleg*innen haben die Ausstrahlung von gut gekleideten Playmobil-Figuren.

Screenshot aus dem Computerspiel "JETT: The Far Shore"

Superbrothers / Pine Scented Software

„JETT: The Far Shore“ versucht ein antikapitalistisches, gewaltfreies und spirituelles Science-Fiction-Epos in Szene zu setzen, und das klingt in der Theorie natürlich toll. Doch die unausgegorene (oder eher: erzwungene) Mischung aus Schwebefahrzeug-Erkundung und lähmender Erzählung schafft es nicht mal ansatzweise, diesem Anspruch gerecht zu werden. Das Ergebnis: Dieses Game ist leider sowohl spielerisch als auch erzählerisch belanglos und langweilig ausgefallen.

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