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Cover der selbstironisch betitelten EP Propaganda der politischen Indie-Band Panenka, 1995

Brefkas Ready Records

ROBERT ROTIFER

„Love & Peace is längst im Oasch“

Zum Feiertag und dem FM4-Schwerpunkt „Songs mit Haltung“: Ein paar Blicke auf die politische Seite der österreichischen Popgeschichte. Enthält Drahdiwaberl und Chuzpe.

Eine Kolumne von Robert Rotifer

Jetzt hätte ich ihn fast übersehen, den Nationalfeiertag, den man bei uns im Exil ja vielleicht weniger intensiv feiert als ihr, die ihr heute morgen wahrscheinlich eine Fahnen-mäßige Wurst-Käse-Wurst-Kombination auf dem Frühstücksbrot hattet oder vielleicht einfach nur mit ein bisschen patriotischem Wippen in den Knien durch diesen Tag geht und euren Landsleuten gutgelaunte Blicke der gegenseitigen Wiedererkennung zuwerft: Sind wir nicht was Besonderes?

Auch irgendwie okay, wenn man solche Irrtümer auf derart harmlose Art verarbeiten kann. Das Vereinigte Königinnenreich zum Beispiel hat keinen Nationalfeiertag, und man hat in den letzten Jahren ja gesehen, wo’s hinführt, wenn man diesen Mangel kompensieren muss.

Dieses Jahr jedenfalls haben mich die Kolleg*innen in der alten Heimat gebeten, was zu ihrem guten Thema des Tages zu schreiben. „Songs mit Haltung“, das klingt doch gleich viel besser als die alte Abturn-Phrase „Pop & Politik“, ich interpretier’s aber einmal der Einfachheit halber hier als dasselbe. Ferner mach ich mir keine Illusionen darüber, warum sie mich gefragt haben. Das hat wohl was mit positiver Altersdiskriminierung zu tun.

Ich meine, als jährlicher Programmschreiber beim Popfest Wien ist mir bewusst, dass es zwischen Rap und Queer Pop heutzutage nur so wimmelt vor Menschen, die Songs mit Haltung schreiben, und das ist eine großartige Verbesserung seit der Zeit meiner Zwanziger (auch bekannt als: Die Öden Neunzigerjahre), als jede Form von Haltung sich unter mindestens drei Meta-Ebenen Ironie verstecken musste, um nicht anstrengend uncool rüberzukommen. Jenseits dieses Vergleichs brauch ich euch hier also kaum was über eure Gegenwart zu erzählen, vielleicht schon eher über die Zeit, als Songs mit Haltung in die österreichische Popkultur eindrangen, die Zeit meiner Kindheit und meiner Teenagerjahre (die Siebziger und Achtziger).

Ich werd erst gar nicht versuchen, euch hier mit irgendeinem Anspruch auf Vollständigkeit zu nerven, denn meine erste Assoziation zu diesem Thema erklärt auch schon, warum das gar nicht ginge: Da erinnere ich mich nämlich an die erste Opernballdemo in Wien 1987 als Protest gegen den Ballbesucher Franz Josef Strauß und die umstrittene Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf (ich glaub, ich hab diese Geschichte neulich in einem anderen Kontext online wo erzählt, weiß aber nicht mehr wo, auch egal).

Abgesehen von dem unvergesslichen, traumatischen Anblick von Polizisten mit Schlagstöcken, die ihre freien Hände dazu nützten, gemeinsam einen behinderten Demonstranten aus seinem Rollstuhl zu kippen, um dann auf ihn einzuschlagen, erinnere ich mich auch noch an die Kundgebung vor ihrer gewaltsamen Auflösung.

Auf der Ladefläche eines Klein-LKWs spielte die Band After Aids, von der man, soweit ich weiß, in keiner der neueren österreichischen Pop-Geschichten lesen kann. Sie waren schon eher zu metal für meinen Geschmack, und die auf dem LKW befestigte Anlage klang wie üblich ganz furchtbar, aber es war eindeutig wichtig und richtig, dass sie dort spielten. Denn obwohl sich ihr Sound nicht als Punk bezeichnen ließ, war er laut und ungeschliffen genug, um die anwesenden Veteran*innen aus dem vier Jahre zuvor brutal geräumten autonomen Wiener Kulturzentrum in der Gassergasse (kurz “GaGa“) bzw. dessen Nachfolgehäusern in der Ägidi- und Spalowskigasse zufriedenzustellen.

Zu jener Zeit war die Verbindung zwischen Sound-Ästhetik und Jugend- bzw. Gegenkultur eben noch eine wirklich zwingende. Und im Gegensatz zu Großbritannien, wo sie Punk (nicht das Wort, nicht die Musik, aber die Jugendkultur) erfunden und dann bald wieder hinter sich gebracht hatten, wurde Punk im deutschsprachigen Raum als Lebensform perpetuiert: Eine Alternative zur bürgerlichen Existenz mit ziemlich strikten Regeln. Kompromisse wie freundlicher Kontakt mit der eigenen Familie zum Beispiel kamen einem Verrat gleich und waren grundsätzlich zu verheimlichen. Nicht der einzige Grund, warum ich diese Szene immer nur in zwischenzeitlichen Berührungen wahrnahm. Einige dieser Berührungen waren die unzähligen sogenannten „Soli-Gigs“ (alle besetzten Häuser waren permanent von der Räumung bedroht, es gab also immer einen Anlass), bei denen dann eben so Bands wie After Aids zu spielen pflegten.

Jede linke politische Organisation (zu einem gewissen Grad auch die extreme Rechte, obwohl sich das eher bei Skinhead-Punk-Konzerten als auf politischen Veranstaltungen manifestierte) hatte ihre bevorzugten Bands, die kaum je die Wahrnehmung der Musikberichterstattung streiften und für die politische Inhalte im Mittelpunkt ihrer Konzerttätigkeit standen (Platten machten sie eher nicht). Diese Tradition ging letztlich wohl auf deutsche Bands wie Ton Steine Scherben zurück, und im Nachhinein ist schon auffällig, wie neben der Militanz damals auch das Provozieren durch vorsätzlich unsensible, schockierende Wortwahl – heute eine Waffe der „politisch unkorrekten“ Rechten – mit dazugehörte. In einer Zeit, da es noch keine Therapie gegen HIV-Infektionen gab, war After Aids nicht gerade der achtsamste Name, aber es gab (gibt immer noch?) ja schließlich auch die Dead Nittels, inspiriert vom Vorbild der Dead Kennedys bzw. dem Mord an SPÖ-Stadtrat Heinz Nittel, eine der damals aktivsten Bands im linksanarchistischen Spektrum.

In jenen Zeiten der repressiven Toleranz galt deren maximales Ausreizen als linke Widerstandsgeste. Das passte nicht nur besonders gut zur Grenzüberschreitung als essentielles Prinzip der Popkultur, sondern auch zur in der österreichischen Kunst besonders ausgeprägten Neigung zum demonstrativen Überwinden katholischer Repression. Insofern standen die politischen Bands der Punk- und Hausbesetzer*innen-Szene auch in einer gewissen Verwandtschaft zu den schon Ende der Sechziger gegründeten Rock-Aktionist*innen Drahdiwaberl.

Aus dem Textblatt von Drahdiwaberls McRonald's Massaker: Putzfleck Femme Fatale

Gig Records

Aus dem Textblatt von Drahdiwaberls „McRonalds Massaker“: „Putzfleck Femme Fatale“

Jene waren zumindest aus Wiener Perspektive die vielleicht effektivste politische Band ihrer Ära, schließlich verbreiteten sich ihre Texte in den Schulklassen der Stadt als verlässliches Wiedererkennungssignal für Unangepasste oder solche, die sich dafür hielten. Darin ging es um so Themen wie Polizeigewalt („Supersheriff“), Feminismus („Putzfleck Femme Fatale“), Kapitalismuskritik („Big McDonald’s Massacre“), die Veräppelung von Jungkonservativen („Der ausgeflippte Lodenfreak“) oder Neonazis („Werwolfromantik“), theatralisch verkörpert in exzessiven Bühnen-Performances, soundästhetisch umgesetzt in einer zappaesken Mischung von Jazz-Rock, Metal und semi-ironischem New Wave. Die ersteren drei erwähnten Songs stammten übrigens alle aus ihrem 1982 erschienenen Album „McRonald’s Massaker“, das auch einen Song mit dem Titel „Heavy Metal Holocaust“ enthielt. Dazu stand dann im Booklet in Texter und Sänger Stefan Webers Handschrift: „Damit ja kein Verdacht wegen des Titels aufkommt: Wir kokettieren nicht mit den Schrecken der Nazizeit. Heavy Metal Holocaust war der Titel einiger grosser (sic!) HardRockfestivals in London 1981. Diese Nummer soll als Parodie auf den Heavy Metal-Boom verstanden werden.“

Das Wort „Parodie“ spielt hier eine entscheidende Rolle, weil es die charakteristische Verbindung der österreichischen Popkultur zur Kleinkunst reflektiert: Nicht von ungefähr kam der erste wirklich große Rock’n’Roll-Hit des Landes, Gerhard Bronners „Der g’schupfte Ferdl" in der Version von Helmut Qualtinger (1962) aus der Welt des Kabaretts, parodierte eine vom Mainstream als gefährlich angesehene Jugendkultur und sprach sie gleichzeitig an. Und so wie in den Linernotes von Drahdiwaberl lieferte dieser parodistische Anspruch auch eine Art Deckung.

Dieser quasi-kabarettistische Zugang machte es möglich, dass bei einer offenbar radikalen Band wie Drahdiwaberl mit Leuten wie Peter Viehweger, den Brüdern Rabitsch oder Falco auch Musiker spielen konnten, die in ihrem Hauptberuf mainstream-tauglichen Austro-Pop produzierten. Es war eben alles nie ganz ernst gemeint, und selbst wenn es das war, gab es einen Platz dafür, diese Dinge auszuleben. Und einen Platz dafür, sich mit „unpolitischer“ Musik den Lebensunterhalt zu verdienen. Gerade aus dieser Doppelgleisigkeit erklärt sich wohl auch ein guter Teil des oben beschriebenen Purismus der Punk-Szene bzw. diverser Feindseligkeiten und Abgrenzungsbedürfnisse.

Ich erinnere mich an eine Szene im Frühling 2011 (und da ich mich erinnere, ist es möglich, dass ich mich falsch erinnere) in einem Proberaum in der Laimgrubengasse im sechsten Wiener Gemeindebezirk. Ich hatte damals den Job, als Kurator das Programm des zweiten Wiener Popfests zusammenzustellen und wollte neben jungen Künstler*innen auch die Geschichte der österreichischen bzw. Wiener Popkultur auf hörbare Art darstellen. Die Veranstalter*innen Christoph Möderndorfer und Gaby Hegedüs hatten mich ermutigt, ein sogenanntes „Legenden-Brunch“ zusammenstellen, bei dem auf der Seebühne, begleitet bzw. unterstützt von Musiker*innen der Gegenwart wie Marlene Lacherstorfer, Ernst Molden, Raphael Sas, Heinz Kittner, pauT und Der Nino aus Wien, Legenden der Pop-Vergangenheit auftreten würden. Neben Willi Resetarits, Maria Bill und dem als Romanautor bekannten, (auf persönliche Art übrigens hochpolitischen) Singer-Songwriter Peter Henisch trafen da auch der linke Liedermacher Sigi Maron und Robert Räudig aka Robert Wolf von Österreichs erster und rückblickend wohl wichtigster Punk- bzw. Post-Punk-Band Chuzpe zusammen.

Plattencover von Sigi Marons Laut und Leise

Ariola

Plattencover von Sigi Marons „Laut und Leise“

So wie mein Gedächtnis mir diese Szene präsentiert, ging gleich zu Anfang der Proben Wolf auf Sigi Maron, aber auch auf Resetarists zu und gestand ihnen, dass er sich eigentlich immer im Gegensatz zu ihren plakativen Agit-Prop-Songs gesehen habe. Die Erkenntnis, dass sie nun mit einander auskommen konnten, war eine der tatsächlich herzerwärmenden Erfahrungen dieser Geschichte und schloss zumindest für mich wieder einen Kreis in meinen Jugend- und Kindheitserinnerungen.

Von den erwähnten, politischen Soli-Fest-Musiker*innen war der bekennende Kommunist Sigi Maron wegen seiner zeitweiligen Präsenz im Radio der Prominenteste. Schon auf seinem ersten Album „schön is’ das leb’n“ (1976) hatte er mit Mitteln des sozialen Realismus („im sozialbau“) über Xenophobie gesungen („tschuschn“); seine „Ballade von ana hoatn Wochn“ aus „Laut und leise“ (1978) war ein zorniges Lied, nicht zuletzt über die Diskriminierungen des Lebens als behinderter Mensch, und „Wir sind klein und du bist groß“ aus „He Taxi“ (1979) thematisierte den realen Fall des Nazi-Kriegsverbrechers Heinrich Gross, der als Primar und Gerichtsgutachter für Psychiatrie praktizieren durfte. Dank seines Hits „Geh no ned furt“ (1985) wurde Maron auch zum Austro-Pop mitgezählt. Bei ihm war der Zorn und der politische Inhalt allerdings nie Parodie gewesen.

Und dasselbe lässt sich wohl auch von Willi Resetarits’ Band, den Schmetterlingen, behaupten, die 1977 mit der „Proletenpassion“ als Dreifach-LP eine „historische Revue“ der Geschichte der revolutionären Bewegungen veröffentlichten. Ihre Art von Folk-Rock war – zumindest in der Wahrnehmung meiner Generation – assoziiert mit der in Österreich zeitversetzt, also verspätet stattgefundenen Hippie-Kultur, die sich – 1977 war schließlich das große Jahr des Punk – somit direkt mit ihrer nachfolgenden Gegenthese, dem Punk, kreuzte.

Plattencover der Proletenpassion von den Schmetterlingen

Antagon

Plattencover der „Proletenpassion“ der Schmetterlinge

1978 veröffentlichten Chuzpe auf der Compilation „Wiener Blutrausch“ ihren Song „Beislanarchie“, der sich genau jene politische Post-Hippie-Szene und auch ihre Musik vornahm („Bei Biermann und bei Bier / Kriegen feuchte Augen wir / Befreiungskämpfe ohne Zahl / Aber leider nur verbal / ‚s is wia’s is / ’s Leben is mies / Love and Peace is längst im Oasch“). Das war ein Song mit Haltung, der auf das Engagement anderer kritisch zurückreflektierte.

Und daran musste ich auch denken, als ich beim Popfest 2017 Gustav, die 2004 mit „Rettet die Wale“ die Idee des Protestalbums wiederbelebt und neu definiert hatte, mit ihrer Proletenband ihre Bearbeitung der „Proletenpassion“ der Schmetterlinge spielen sah.

Der Drall der Dinge verändert sich mit den Jahren unter der Einwirkung des Nachfolgenden, und eine von jeder Generation von neuem getätigte Fehleinschätzung ist, dass man die Haltungen der Gegenwart immer als Neuentdeckung erfährt. Die spiegelt sich dann in der Fehleinschätzung der Vorgeborenen, die sich mit derselben Verlässlichkeit darüber beschweren, dass es bei den Jungen keine oder nur mehr eine falsche Haltung gäbe.

So gesehen also vielleicht keine schlechte Sache, dass sie diese Geschichte bei mir angefragt haben. Und jetzt, wo ich sie endlich fertig geschrieben hab, ist er ja auch schon fast vorbei, euer Tag der Fahne. Und? Habt ihr die Wurst und den Käse gegessen, oder habt ihr sie aus Haltung verschmäht?

Cover der selbstironisch betitelten EP Propaganda der politischen Indie-Band Panenka, 1995

Brefkas Ready Records

Selbstironisches Cover der EP der im Ernst-Kirchweger-Haus in Wien sozialisierten Indie-Band Panenka, 1995 mit ihrem offen politischen Zugang ziemlich allein auf weiter Flur.

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