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Nina Hochrainer und Gernot Wagner

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„Für Pessimismus ist es einfach zu spät“

Gernot Wagner ist Klimaökonom an der New York University. Der gebürtige Amstettner hat außerdem in Harvard und an der Columbia University unterrichtet, am Emissionshandelsbuch der Weltbank mitgeschrieben und dieses Jahr das Buch „Stadt Land Klima“ veröffentlicht. Darin bezeichnet er die Speckgürtel der Städte als die wahren Klimakiller und erklärt, warum wir nur mit einem urbanen Leben die Erde retten können.

Nina Hochrainer hat Gernot Wagner zum Gespräch getroffen und über zukünftige Lebensstile, Kompromisse fürs Klima, CO2-Bepreisung und die Sinnhaftigkeit der Weltklimakonferenz gesprochen.

Radio FM4: Womit genau beschäftigst du dich als Klimaökonom?

Gernot Wagner: Klimaökonomie ist natürlich ein Oxymoron. Entweder Klima oder Wirtschaft! Das stimmt natürlich nicht. Es geht einerseits um die Bepreisung von Klimaschmutz und dann natürlich darum, was machen wir in Sachen Klimaschutz. Es geht also um CO2-Bepreisung, die Risiken, die Ungewissheiten und wie man es politisch schafft, diese Bepreisung durchzubringen.

Radio FM4: Dein aktuelles Buch heißt „Stadt, Land, Klima“ mit dem interessanten Untertitel „Warum wir nur mit einem urbanen Leben die Erde retten“. Du bezeichnest die Speckgürtel, also die städtischen Vororte, als die wahren Klimakiller. Diese Vororte sind aber für ganz viele attraktiv, weil ich bin schnell in der Stadt, mitten im Geschehen, bin auch schnell in der Natur, brauch dafür natürlich ein Auto. Habe auch mehr Platz, vielleicht sogar einen Garten. Ist das der große, böse Wohntraum?

FM4 Podcast Interview Podcast (Interviewpodcast)

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Das Gespräch mit Gernot Wagner gibt es auch als Podcast zum Hören:

FM4 Interview Podcast

Pop, Politik, Gesellschaft: Wir können über alles reden! Und das in der Gesamtlänge, also (fast) ungeschnitten. Hier kann es schon mal zur Sache gehen: schwitzende Reporter*innen, um keine Ausrede verlegene Interviewpartner*innen, aber auch entspannte, oder lustige Situationen, in denen Interessantes und Überraschendes besprochen wird.

Gernot Wagner: Ja, „am Land vom Land leben“, fantastisch! Würde ich auch gerne. In der Stadt: genauso wenig - relativ gesehen - CO2-Emissionen wie am Land vom Land. Speckgürtel, Vororte, Vorstädte, Tullnerfeld: doppelt bis dreimal so viel CO2-Emissionen. Das ist so das, unter Anführungszeichen, kompromisslose Leben. Der Kompromiss ist die Umwelt. Ich verstehe schon, warum das Haus im Grünen der Traum ist. Seit Jahrzehnten wird uns eingetrichtert, dass Autofahren Freiheit bedeutet und dass eine Jungfamilie in der Stadt sowieso nichts zu suchen hat, weil wie lebt man da auf weniger als 120 Quadratmeter? Der Traum führt dazu, dass in Österreich alle zehn Jahre die Fläche Wiens versiegelt wird, während Wien in den letzten 30 Jahren 400.000 Menschen hinzugefügt hat, ohne bisher eine einzige zusätzliche Straße gebaut zu haben. In Österreich geht der Trend in Sachen Autofahren hinauf - es gibt mehr als 600 Autos pro 1.000 Einwohner und die Zahl steigt. In Wien geht der Trend hinunter. Es braucht keinen Experten mehr, um zu sagen, dass das irgendwann einmal aufhören müsste. Jeder Bürgermeister einer noch so kleinen Gemeinde weiß, dass die Siedlung da draußen neben dem neuen Sparmarkt nichts mit Ortserneuerung zu tun hat, aber leider gibt es die derzeitige Struktur, die das im Prinzip sicherstellt. Agrarfläche in Bauland umzuwidmen, bringt Geld, bringt neue Steuereinnahmen und füttert diesen Traum. Ich würde ihn Albtraum nennen.

Radio FM4: Du selbst gehst mit gutem Beispiel voran. Du wohnst in New York, zu viert auf 70 Quadratmetern, und hast kein Auto. Ist das also die Handlungsanweisung, deiner Meinung nach, dass ich in der Stadt, ohne Auto, auf kleinem Raum lebe?

Gernot Wagner: Kurz gesagt, ja. Andererseits, soll sich jetzt jeder zu viert, mit zwei Kindern und einem Hund, in eine 70-Quadratmeter-Wohnung pferchen und dort wohnen? Nein. Ich verstehe schon, dass unsere Situation nicht für jeden das Ideal ist, aber es geht darum, eine alternative Vision zumindest zu zeigen.

Radio FM4: Blicken wir auf die Klimakonferenz, die gerade in Glasgow stattfindet. Da gab es schon im Vorfeld wie bei jeder anderen Klimakonferenz große Kritik seitens Klima-Aktivist*innen, dass von der Politik nur leere Versprechungen kommen. Greta Thunberg hat die Konferenz als das „Greenwashing Festival des globalen Nordens“ bezeichnet. Die ugandische Klima-Aktivistin Vanessa Nakate sagt, man müsse überhaupt aufhören, sinnlose Gipfel abzuhalten, und stattdessen sinnvolle Maßnahmen ergreifen. Was sind deine größten Kritikpunkte an der derzeitigen Klimakonferenz bisher?

Gernot Wagner: Ja zu beidem, also zu Greta Thunbergs „bla, bla, bla“ und, natürlich, Handeln anstatt Floskeln. Andererseits: Narendra Modi, Indiens Premierminister, hat im Zusammenhang mit dieser Konferenz Klimaneutralität für Indien bis 2070 ausgerufen. Ist das alleine genug? Nein, nichts alleine ist genug. Die richtigen Gesetze müssen erst einmal verabschiedet werden, aber es geht um diese Ansagen, es geht um die Versprechen. Ist es das wert, dass da 25.000 Menschen nach Glasgow fliegen und 50 Tonnen CO2 ausgeben? Nein. Aber gibt es Dinge, für die es das wert ist? Ja. Wenn Modi sagt, klimaneutral bis 2070, da geht es um Billionen von Tonnen. Also der Flieger macht da keinen Unterschied.

Radio FM4: Mehr als 50 Staaten und die EU haben angekündigt, klimaneutral werden zu wollen in den nächsten Jahrzehnten. Jetzt haben aber die G20-Staaten, die immerhin für 80 Prozent der Emissionen verantwortlich sind, noch nicht einmal die bisherigen Reduktionsvorhaben erreicht, und auch UN-Generalsekretär Antonio Guterres hat am Anfang der Konferenz gesagt, die bisherigen Anstrengungen reichen nicht, um eine Katastrophe abzuwenden. Wie radikal muss denn dieser Wandel noch werden?

Buchcover mit dem Blatt einer Grünpflanze

Brandstätter Verlag

Gernot Wagner: Der radikalste Wandel ist der Klimawandel. Nichtstun ist die radikalste Variante. Müssen wir viel mehr tun, als wir derzeit machen? Ja. Im lieben Österreich sind die Emissionen seit 1990 leicht gestiegen anstatt doppelprozentig gefallen. Gibt es Lösungen? Muss es die geben? Seit kurzem gibt es eine ökosoziale Steuerreform und das Klimaticket...

Radio FM4: Wie siehst du die jetzt angekündigte CO2-Bepreisung in Österreich mit 30 Euro pro Tonne?

Gernot Wagner: Ist es genug? Aus wissenschaftlicher Sicht natürlich nicht, aber der Schritt von 0 auf 30 ist um einiges schwieriger als der Schritt von 30 auf 130. Schweden zum Beispiel hat eine CO2-Steuer, die ist über 115 Euro. Die haben 1990 begonnen. Am Anfang lag diese Zahl auch nicht bei über 100 Euro, natürlich nicht, und wenn die heute beginnen würden, läge sie vielleicht auch weit unter 30. Andererseits, ich weiß nicht, worüber der Durchschnittsschwede oder die Durchschnittsschwedin am Mittagstisch spricht, ich bin mir aber 1.000-prozentig sicher, dass die nicht über die CO2-Steuer sprechen. Das Leben geht weiter. Es ist um einiges entkarbonisierter, um einiges CO2-effizienter, als es sonst gewesen wäre, und es ist vielleicht sogar um einiges besser. Genau dasselbe wird hier in diesem lieben Land stattfinden. Jetzt gibt es einige Debatten und am Ende werden wir das auch überleben. Natürlich ist es sinnvoller, Dinge, die wir nicht wollen, zu besteuern, zum Beispiel CO2, anstatt Dinge, die wir eigentlich möchten, zum Beispiel Arbeit.

Radio FM4: Du bezeichnest das Klimaproblem auch als quasi unlösbar, weil es so unüberschaubar ist...

Gernot Wagner: Unlösbar ist sehr pessimistisch ausgedrückt. Es ist in vielerlei Hinsicht das perfekte Problem. Es ist ein langfristiger, globaler, unsicherer, ungewisser als im Prinzip jedes andere Problem der Weltgeschichte. Aber ich glaube, in unserer Generation schaffen wir es tatsächlich, dass wir auf null CO2 kommen. Die Frage ist: Werden wir, bevor wir das Ziel schaffen, den Klimawandel noch so in die Höhe treiben, dass es zu exponentiell größeren Problemen kommt? Also die Frage ist nicht, ob, die Frage ist, wann.

Radio FM4: Du hast auch gesagt, dass Donald Trump und seine Klimapolitik letztendlich positiv fürs Klima gewesen sein könnten, weil es ohne ihn nicht so eine weltweite Bewegung wie Fridays for Future gegeben hätte. Als Negativbeispiel, das dann auch wieder einen positiven Backlash haben kann.

Gernot Wagner: Um das jetzt zu relativieren, habe ich für Trump gestimmt? Nein, natürlich nicht. Aber wie viele Twitter-Follower hat Greta heute? Fünf Millionen? Vor vier, fünf Jahren hat sie bei null begonnen. Hätte sie auch ohne Trump ihren Protest gemacht? Vielleicht, ich weiß es nicht. Ist es ein richtiger Schritt in die richtige Richtung, dass diese Bewegung jetzt so stark ist und dass sie um einiges stärker ist, im Endeffekt, als Gegenbewegung zu den Idioten in Washington in den letzten vier Jahren? Es geht um den Pendelschwung gegen diese Ausartung in die andere Richtung. Wie bei jeder anderen Revolution auch geht es, während man mittendrin ist, immer zu langsam, ist es immer zu wenig, sind es immer zwei Schritte nach vorne, einer zurück. Wir müssen noch viel, viel mehr machen. Für Pessimismus ist es einfach zu spät. Es geht tatsächlich um Optimismus.

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Inside COP26

FM4 Auf Laut am Dienstag, 9. November 2022, 21-22 Uhr

Die Versprechen der Staatengemeinschaft im Kampf gegen den Klimawandel scheinen das Ziel einer Erderwärmung von unter 2 Grad in erreichbare Nähe zu rücken. Doch Klimaschützer*innen wie Greta Thunberg kritisieren die Absichtserklärungen der Regierungschefs und bleiben skeptisch im Hinblick auf konkrete Taten.

Was lässt sich bis zum Abschluss der Weltklimakonferenz am 12. November konkret zur Rettung unseres Planeten erreichen? Wie geht es hinter den Kulissen der COP26 zu, worauf kommt es jetzt am meisten an? In FM4 Auf Laut sprechen wir mit Jugenddelegierten und NGO-Klimaaktivist*innen live aus Glasgow von der Weltklimakonferenz.

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