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APA/Hans Punz

Cop26 - ein Ende mit Schrecken

Die Karawane zieht weiter, das Klima dreht durch - das war die COP26 in Glasgow.

Von Albert Farkas

Puh, gut, dass es jetzt so gut wie vorbei ist, denn die Spannung war bis zum Schluss wirklich nervenaufreibend! Jetzt gilt es, den Gewinnern, die auch wirklich hart für ihren Erfolg gearbeitet haben, herzliche Gratulationen auszusprechen; wir Beobachter*Innen können dazu übergehen, das Geschehene vor unserem geistigen Auge Revue passieren zu lassen, die nächsten 12 Monate davon zu zehren, und uns generell anderen Dingen zuzuwenden, bis die nächste Saison wieder in ihre entscheidende Phase eintritt.

Adieu also dem Formel 1-Zirkus und…Moment, was war das? Wie bitte? Was? Ach, verdammt.

Ende mit Schrecken

Es gehört zum Frustrierendsten, über Klimapolitik zu schreiben, weil es sich so anfühlt, als würde eins über Jahre hinweg versuchen, einem trotzigen Kind in 10.000m Höhe das Flugzeug-Fliegen beizubringen, während eins an einen Passagiersitz gefesselt ist (wobei das Kind hat eine reflexhafte Vorliebe für’s seitlich Fliegen hat, weil es Rechtshänder ist).

Alok Sharma, der Präsident der zu Ende gegangenen Weltklimakonferenz COP26 in Glasgow, ist vor die Kameras getreten, und er hat seinen Schatten gesehen.

Die Folge sind mindestens weitere 12 Monate Selbstbeweihräucherung und weitestgehender Stillstand in den politischen Bemühungen um ein Umpolen unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems in Richtung lebensfähiger Zukunft. Praktisch bedeutet das aber, wie die Verkündigungen von Punxsutawney Phil, nichts.

„Planet Blablabla“

Der Paris-Prozess war schon immer ungeeignet für ein rechtzeitiges Abwenden der Klimadestabilisierungsspirale, und bleibt es weiterhin. Die Teilnehmerstaaten sind nicht daran gebunden, Klimaziele vorzulegen. Die, die Klimaziele vorlegen, sind nicht daran gebunden, mit dem 1,5°-Richtwert vereinbare Ziele vorzulegen. Die, die mit dem 1,5°-Richtwert vereinbare Ziele vorlegen, sind nicht verpflichtet, Maßnahmen zu formulieren, die dazu angetan wären, ihre Emissionen in einem entsprechenden Ausmaß zu verringern. Die, die ausreichende Maßnahmen vorstellen, sind nicht daran gebunden, diese auch wirklich zu implementieren. Es gibt nichts, keinen Handel, keine ehrenamtliche Transaktion, keine karitative Leistung auf der ganzen Welt, die auf so viel Kulanz und (nicht vorhandenem) gutem Willen aufbauen würde wie der Paris-Vertrag. Niemand haftet für irgendetwas.

Dass es ein symbolischer Erfolg wäre, dass in der Abschlusserklärung zum ersten Mal in der Geschichte der Klimadiplomatie ein namentliches Bekenntnis zur Nicht-so-Leiwandheit von Kohle drinsteht, wo in einer vorherigen Fassung noch von Ausstieg die Rede war, könnte eins anerkennen, wenn es noch den Luxus des Zeitpolsters gäbe, der 1991 noch vorhanden gewesen wäre. Oder 2001. Oder 2011. Diese Zeit gibt es aber nicht mehr. Dieses Jahrhundert wird vorbestimmen, ob und wie sich das Leben auf dem Planeten für die nächsten Millionen Jahre weiterentwickelt, und innerhalb dieses Jahrhunderts dieses gegenwärtige Jahrzehnt, und in welche Richtung dieses Jahrzehnt geht, dafür hätte diese Klimakonferenz eine Vision liefern sollen. Was sie auch gemacht hat: Es ist die Vision eines Jahrzehnts, in dem über kaum wahrnehmbare Alibihandlungen hinaus nichts vom notwendigen Systemumschwung passieren wird, weil alle großen Player einander gegenseitig Rückendeckung darin geben, die Deadlines für ihre Ziele in eine etliche Jahrzehnte entrückte Ferne jenseits jeder (gefühlten) persönlichen Verantwortung hinauszuschieben. Die größte Verhöhnung des Prinzips politischer Verantwortung aller Zeiten zu betreiben.

Für’s Jahrbuch

Was ist tatsächlich neu? Die Teilnehmerstaaten sollen ab nun jedes Jahr verbesserte Klimaziele vorlegen, anstatt wie bisher vorgesehen alle fünf Jahre. Was von diesem Beschluss hängenbleibt, ist aber eben nicht, was für ein ach so toller Fortschritt das wäre, sondern war für eine Farce es ist, dass in den Pariser Verträgen 2015 5-Jahresintervalle im gegenwärtigen Stadium jemals als ausreichend angesehen worden sind - als ob eins versuchen würde, einen Großbrand mit Spritzpistolen auszumachen.

China und die USA wollen ihre bilaterale Kooperation im Klimaschutz ausbauen.
Im gleichen Monat, in dem die chinesische Regierung angekündigt hat, weitere Kohlekraftwerke für den heimischen Verbrauch zu errichten.
Im gleichen Monat, in dem die amerikanische Regierung Lizenzen für die Ölförderung auf mehr als 30 Millionen Hektar Seegebiet vergeben möchte.

Von den mörderischen Kängurus wollen wir besser gar nicht reden.

Was neu angefallen wäre, aber nicht angerührt wurde: Die Erderwärmung verursacht ärmeren Ländern bereits jetzt schon vielfach größere Schäden, als vorausgesehen worden war. Hoppla. Für die dadurch akut anfallenden Not-Ernährungs-, Wiederaufbau- und Gesundheitsprogramme haben diese Staaten zu den vereinbarten Mitteln für den Energiewende-Fonds zusätzliche Katastrophenhilfe erbeten. Die reichen Länder haben das gemacht, was sie schon im Kontext von Corona gemacht haben: ihre Brieftaschen fest umkrallt und schnell weiter gegangen.

Boris Johnson wartet

APA/AFP/POOL/Christopher Furlong

Jenseits der Selbsthypnose

Die bei dieser Weltklimakonferenz vereinbarten Ziele werden laut wissenschaftlichen Ermittlungen, je nach Maßnahmen-Hochrechnungszeitraum, bis zum Ende des Jahrhunderts einen weltweiten durchschnittlichen Temperaturanstieg von zwischen 1,8 und 2,4° nach sich ziehen.

Aus einer Position eines noch irgendwie haltbaren Status Quo heraus ist die menschliche Psyche darauf trainiert, Bedrohungsszenarien abzuwiegeln. Das beginnt bei der sprachlichen Dekodierung: Ein Konjunktiv erlaubt eine Lesart, die weniger besorgniserregend ist als ein Indikativ. Millionen mögliche Opfer scheinen eine noch irgendwie akzeptable Größenordnung zu sein, wenn eins bedenkt, dass eine Milliarde aus 1.000 solcher Einheiten besteht. Übermorgen ist weiter weg als morgen, und morgen zumindest noch nicht heute.

Was sich nun aber mit mathematischer Sicherheit sagen lässt: Schon die Aussicht auf die +1,8 – 2,4° (in Paris anvisiert waren tunlichst 1,5°) ist im Sinne einer leichteren medienöffentlichen Verdaulichkeit verzerrt, erstens, weil sie die tatsächliche Umsetzung wirksamer Maßnahmen schon voraussetzt, und zweitens, weil irgendwo innerhalb dieser Spanne (oder gut möglicherweise auch schon davor) ein Punkt überschritten wird, ab dem Klima- und Ökosysteme nacheinander zusammenbrechen. Dann bleibt es auch bei keinen 2,4° oder einer sonstwie planbaren Erwärmung, dann liegen die größten Umwälzungen im Jahr 2100 nicht hinter, sondern vor uns, und das Leben, wie die Menschheit es kennt, ist vorbei (für Millionen von Menschen ist es das schon heute). Inklusive allem gesellschaftlichem Fortschritt, den wir gewohnt sind. Gier, Ressourcenknappheit, Menschrechte: Wenn die Geschichte eines lehrt, dann ist es, dass jeweils immer nur zwei davon gleichzeitig möglich sind.

Vielleicht könnte sich einmal eine Person melden, und sich offiziell dazu bekennen, dass all dieses absehbare, beispiellose Leid bis hin zur Auslöschung in ihrem Sinne ist? Dann gäbe es zumindest jemanden, auf die*der sich die Wut fokussieren könnte, anstatt dass die Verantwortung in einem fort in den Ritzen der kollektiven Tatenlosigkeit und Überforderung versickert.

Wenn das alles auch beklemmend ist, ist es doch nützlich, sich es immer wieder vor Augen zu führen. Die Cop war im Wesentlichen eine Beschwichtigungsshow. Was hätte eins auch anderes erwarten können von einem Ereignis, das unter der Schirmherrschaft von jemandem stattgefunden hat, der die Demokratie offenkundig verachtet, und im Zusammenhang mit Covid zwischenzeitlich gesagt hat, von ihm aus sollen sich die Leichen bis obenhin stapeln. Von dem her ist es vielleicht tatsächlich gut, dass sie vorbei ist. Heute beginnt die Gelegenheit, die Welt daran zu erinnern, dass das Klima ein permanenter Notfall ist und kein saisonales Affentheater.

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