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„Seinfeld“, die Mutter aller Sitcoms

„Seinfeld“ war in den USA in den Neunzigerjahren die einflussreichste Sitcom. Seit Kurzem kann man alle Staffeln streamen. Was taugt die Serie heute?

Von Christian Lehner

„A show about nothing!“ – eine Serie, in der es um nichts geht. George ist außer sich vor Freude, als er diesen genialen Einfall hat. Wie so oft hat sich die Idee situativ aus dem Gespräch mit seinem besten Freund Jerry ergeben. Die beiden sitzen an einem Tisch im Lieblings-Diner „Monk’s Cafe“. Wir befinden uns mitten in der Episode „The Pitch“ (Staffel 4, Folge 3). Die zwei Freunde versuchen daraufhin das Konzept für die Show dem Sender NBC zu verkaufen. Das klingt ziemlich meta und konfus. Das ist es auch, wie so vieles in der von Jerry Seinfeld und Larry David konzipierten Sitcom „Seinfeld“.

Jerry Seinfeld spielt sich selbst, einen ledigen Stand-up Comedian, der in der Upper West Side von New York lebt. Seine Freunde sind George, Kramer und Elaine (die wunderbare Julia Louis-Dreyfus), eine Ex-Freundin, zu der Jerry ein nicht immer ganz platonisches Verhältnis pflegt. Bis auf den gutmütigen, aber etwas doofen Kramer sind unsere Freunde allesamt leicht verdorben - keine bösen Menschen, aber auch keine besonders guten. Jerry, George und Elaine sind eitel, manipulativ und immer auf den eigenen Vorteil bedacht. Sie kämpfen gegen die Tücken des New Yorker Alltags und dieser Alltag ist einer der Stars der Show.

Vollversagt wird auch in der Liebe. Jerry ist ein pedantischer Beziehungsneurotiker. Die kleinste Kleinigkeit reicht für den Laufpass. Elaine gerät stets an den Falschen und bei George werden sämtliche Liebespfeile umsonst verschossen, weil er immer darauf herumtrampeln muss.

„Seinfeld“ bricht mit gleich mehreren, bis dahin gültigen Regeln des Genres. Erzählstränge werden verknotet, anstatt sie aufzulösen. Geschichten werden manchmal erst einige Staffeln später und dann völlig überraschend fertig erzählt. Bis auf Kramer möchte man keinen der Charaktere zum Freund haben. Die Figuren treten auf der Stelle und am Ende der Episoden gibt es keine moralische Erleuchtung. „No hugging, no learning“, hat Larry David einmal eine „Seinfeld“-Regel umschrieben, die er später in seiner Solo-Serie Curb Your Enthusiasm weiterspinnen sollte (eine Staffel davon widmet sich einer fiktiven „Seinfeld“-Reunion).

Klingt eigentlich wie eine Horror-Show, doch im Gegenteil: „Seinfeld“ ist wahnsinnig witzige Situationskomik. Es ist bester Jew Yorker Humor – also jüdisch/New Yorker Humor, dessen Wurzeln man ja in good old (and very grumpy) Vienna vermutet. Allein die Eltern von George und Jerry, dargestellt unter anderen von Ben Stillers Vater Jerry Stiller, hätten mit ihren Ticks und Neurosen eine eigene Serie verdient. Es gibt viele tolle Nebenfiguren (Newman, Peterman), Storylines (Kramer in Hollywood) und aberwitzige Themen („The Puffy Shirt“).

No hugging, no learning

„Seinfeld“ läuft von 1989 bis 1998 in neun Staffeln im US-Netzwerk NBC. Die Einschaltquoten sind zunächst mau. Ab der vierten Staffel stellt sich der große Erfolg ein und die Sitcom wird in den USA zu einem DER kulturellen Phänomene der Neunzigerjahre. Bis heute ist die Serie eine beliebte Referenz im Pop und da vor allem im Hip-Hop (zum Beispiel bei Drake, Red Man oder Kendrick Lamar). Mit The Album About Nothing erklomm der Rapper Wale featuring Jerry Seinfeld 2015 sogar die Spitze der US-Albumcharts. Es gibt zahlreiche philosophische Abhandlungen über die „Nothingness“ der Serie.

26.11.21 Sitcom Seinfeld im Stream

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Alle Staffeln von Seinfeld sind seit Oktober auf Netfilx streambar.

Viele Sager von „Seinfeld“ haben es in den Alltag der Amerikaner geschafft wie etwa: „No Soup For You!“ (Folge „The Soup Nazi“, Staffel 7), „Yada, Yada“ (Folge „The Yada Yada”, Staffel 9) und “Not that there is something wrong with that!” (Folge “The Outing”, Staffel 4). Das große Nothing hat sich für Jerry Seinfeld auch finanziell ausgezahlt. Über Lizensierungen hat die Serie bereits mehrere Milliarden Dollar eingespielt. Allein der aktuelle Streaming-Deal mit Netflix ist kolportierte 500 Millionen Dollar schwer.

Doch wie ist die Show gealtert? Zugegeben, durch New-Woke-istan kann man damit nicht spazieren. Das Frauenbild von Jerry und George ist vorgestrig und der Umgang mit Minderheiten nicht immer koscher. Jerry Seinfeld selbst nutzt heute jede sich bietende Gelegenheit, öffentlich gegen die sogenannte Cancel Culture und die Political Correctness zu wettern. Bei Kritik zieht sich der Comedian auf den einfachen, aber auch sehr bequemen Standpunkt „A joke is a joke“ zurück.

Doch glücklicherweise ist der Autor Seinfeld weiter als der Privatmann Jerry. Eine Qualität der Serie ist, dass hier nicht versucht wurde, sich den Chauvinismus und die Spießigkeit der Figuren zurechtzuwitzeln oder ihre Marotten über ein bestimmtes soziales Milieu zu rechtfertigen. Die Charaktere verstricken sich in ihren Verfehlungen und Konventionen und büßen in der Regel auch dafür.

Eine moralische Läuterung, wie wir sie von Family und Group Sitcoms kennen, bleibt aus. „Seinfeld“ bezieht einen Großteil seines Charmes aus dieser Uneindeutigkeit. Man lacht, wenn man Jerry und Co. beim Scheitern zusieht, möchte die Figuren aber irgendwie auch in den Arm nehmen und natürlich hat man nach einer Weile die Truppe doch liebgewonnen – inklusive Newman.

Und eines ist auch klar: Ohne „Seinfeld“ kein „Friends“, kein „Two And A Half Men“ und kein „The Big Bang Theory“. „Seinfeld“ ist nebenbei einer der besten Reiseführer in Sachen New Yorker Stammesriten. Eigentlich eine ganz gute Bilanz für eine „Show about nothing“.

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