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Diana Köhler

Wenn Frauen sterben, weil sie Frauen sind

Am Wiener Yppenplatz zwischen den bunten Graffitis gibt es einen Abschnitt, der tiefschwarz angemalt ist. Darauf steht in rot eine Zahl: Es ist die Anzahl von Femiziden, also Frauenmorden, in Österreich seit Anfang des Jahres 2021. Aber warum braucht es dafür unbedingt einen speziellen Begriff?

Von Diana Köhler

Ana von der feministischen Gruppe Viva La Vulva und Marietta von Kollektiv Kimäre sind gerade dabei, aus einer 8 eine 9 zu machen. 29 Frauenmorde hat es zu diesem Zeitpunkt, dem 30. November im Jahr 2021 schon gegeben.

Edit (1.12.): Später an diesem Tag wurde bereits ein neuer mutmaßlicher Femizid bekannt. Die Leiche einer 60-Jährigen Frau wurde in einem Kellerabteil in der Brigittenau gefunden. Mordverdächtiger ist ihr Lebensgefährte. Nach ihm wird gefahndet. Ana und Marietta werden die Zahl also schon wieder übermalen müssen.

Wand als Mahnmal

„Ich habe es damals einfach nur wahnsinnig ungerecht gefunden, dass nicht mehr darüber geredet wird. Wo bleibt der Skandal, wo bleibt der Aufruhr? Es wird einfach totgeschwiegen“, sagt Ana. „Die Zahl müsste ganz groß irgendwo stehen! Eigentlich haben die ermordeten Frauen ein Denkmal verdient“, findet sie. Also haben sich die beiden Kollektive Anfang 2021 zusammengetan, um diesen Wandabschnitt am Wiener Yppenplatz in eine Gedenkwand zu verwandeln. Sie sind es auch, die die Zahl immer aktuell halten.

Der Begriff Femizid taucht in den meisten Berichten zu ermordeten Frauen auf. Aber was bedeutet er genau? Und warum braucht es einen eigenen Begriff, wenn Frauen speziell durch Männer getötet werden?

Genau benennen

Ursprünglich kommt er vom englischen „femicide“ (Frauenmord) als eine Abwandlung des „homicide“ (Tötung). Schon 1976 wird „femicide“ erstmals von der feministischen Soziologin Diana E.H. Russell eingeführt, da „homicide“ als neutraler Begriff einen wichtigen Fakt nicht sichtbar machte: Viele Frauen werden getötet, weil sie Frauen sind.

Diana E. H. Russell drückt es so aus: „Femicide, which I now define most simply as “the killing of females by males because they are female,” wasn’t simply a new word. It did not only mean the killing of women, or any killing of women by men. It is a conceptual tool, a term that specifically points to and politicizes the sexist, patriarchal, misogynistic killing of women and girls by men.”

Das Zitat von Diana Russel bedeutet also: Auch die im deutschen oft verwendete Bezeichnung „Frauenmord“ ist nicht ausreichend. Sie beschreibt einfach nicht genau genug worum es sich bei der Tat handelt. „Femizid“ (manchmal auch „Feminizid“) schließt die patriarchale, misogyne und sexistische Komponente von so einem Mord mit ein.

Über die mexikanische Anthropologin und Politikerin Marcella La Garde gelangte der Begriff Femizid Anfang der Nullerjahre schließlich nach Südamerika. Sie sagt sogar, dass diese genaue Bezeichnung, dieser spezielle Begriff ihr Verständnis über die Tötung von Frauen und Mädchen grundlegend verändert hat.

Sie war es auch, die maßgeblich daran beteiligt war, dass Gesetze gegen Femizide in Mexiko beschlossen und offizielle, staatliche Statistiken erhoben wurden. Inzwischen gibt es in mehr als 15 lateinamerikanischen Ländern den Strafbestand des Femizids, das Strafmaß wird in einem solchen Fall nochmals angehoben. In Österreich gibt es kein solches Gesetz.

Die Verwendung des Begriffs Femizid bzw. auf spanisch „Femicidio“ in Südamerika hat schließlich auch dazu geführt, dass er sich weiter erfolgreich verbreiten konnte.

Die Spitze der Gewalt

Aber auch im täglichen Umgang mit Femiziden ist es wichtig die Dinge beim Namen zu nennen, ist Natalia Hurst überzeugt: „Ein Femizid ist die schlimmste Form von vielen Arten von Gewalt an Frauen.“ Natalia ist eigentlich aus Argentinien und wohnt seit 18 Jahren in Wien. Sie ist Gründungsmitglied von „Ni Una Menos Austria“.

Ni Una Menos („Nicht eine weniger“) ist eine feministische Bewegung, die 2015 in Argentinien ihren Anfang nahm. Aktivist*innen führen Kampagnen gegen Femizide und verschiedene Formen von Gewalt gegen Frauen durch, organisieren Streiks und Demonstrationen. Inzwischen gibt es in den meisten Ländern Südamerikas bzw. Weltweit Ni Una Menos Gruppen. So auch seit 2017 in Österreich. Bei Ni Una Menos vernetzen sich Frauen aus Süd- bzw. Lateinamerika.

Die Weltgesundheitsorganisation definiert es wie Natalia: Der Femizid ist die Spitze einer weiten Reihe von Gewalt an Frauen. Diese Beginnt bei verbaler Belästigung (auf der Straße aber auch zu Hause), geht weiter zu emotionalem, physischem und psychischem Missbrauch.

Femizide zum Thema machen

Nicht zuletzt findet Natalia, dass der Begriff zwar für viele noch unbekannt ist, aber gerade deshalb die Aufmerksamkeit erneut darauf lenkt. Auch Ana und Marietta sehen das so. „Oft wenn wir am Yppenplatz gestanden sind um die Zahl zu übermalen, sind Leute auf uns zugekommen und haben gefragt, was das ist, ein Femizid“, sagt Marietta. So kommt man ins Gespräch über das Thema. Die Verwendung des Begriff Femizids statt dem deutschen Wort Frauenmord stellt Gewalt gegen Frauen außerdem nochmals als globales Problem in den Vordergrund.

Statistiken und Analysen zu Femiziden fehlen

Während in vielen Ländern Südamerikas und Europas staatliche Statistiken zu Femiziden erhoben werden, muss das in Österreich vor allem der Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) erledigen. Zwar gibt es ein einjähriges Screening zu Frauenmorden, in Auftrag gegeben vom Bundeskriminalamt, doch auch in diesem wird festgestellt, dass eine „Beachtung von Genderaspekten in Kriminalstatistik und –analyse“ unzureichend ist. Das heißt: Morde bzw. Mordversuche nach Geschlecht werden zwar erfasst, nicht aber speziell die Femizide analysiert und herausgearbeitet. Das wäre aber auch laut den Autor*innen des Screenings unbedingt notwendig.

Auf der Website des AÖF können die Femizide mit Datum, Tathergang und Beziehung von Täter-Opfer genau nachgelesen werden.

Diese Liste wird von Ana und Marietta auch nach jedem neuen Fall neben die große rote Zahl auf dem Yppenplatz gehängt. Inzwischen ist sie schon so lang, dass auf der Wand schon fast kein Platz mehr ist.

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