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Aids Hilfe Wien / Flickr

HIV - die vergessene Pandemie

Covid hat den Kampf gegen Aids an vielen Orten beeinträchtigt. In Österreich testen sich immer weniger Menschen auf das HI-Virus. Bedeutet das auch weniger Neuinfektionen? Wie hat sich die Situation von HIV seit der Covid Pandemie verändert? Wir fragen bei der Aids Hilfe Wien und bei Betroffenen nach.

Von Gersin Livia Paya

„Ja natürlich ist es so, dass aufgrund der Covid-Pandemie HIV oft untergeht und wir uns oft schwer tun, das Thema zum Thema zu machen“ so Andrea Brunner, die Geschäftsführerin der Aids Hilfe Wien. Es ist der 1. Dezember, der Weltaids Tag: Zum Thema wird berichtet, aber das ist seit CoVid-19 eine Seltenheit. Das merkt nicht nur die Geschäftsführerin der Aids Hilfe Wien, sondern es zeigt sich auch in den HIV-Testungen. „Es hat einen relativ eklatanten Rückgang von Neudiagnosen 2020 in Österreich gegeben“, sagt Brunner. 332 Neudiagnosen seien um über 100 weniger im Vergleich zum Vorjahr.

Andrea Brunner von der Aids Hilfe Wien

Aids Hilfe Wien

Andrea Brunner

Viele medizinische Einrichtungen wurden nicht besucht, Vorsorgeuntersuchungen, zu denen auch der HIV-Test gehört, wurden teilweise aus Angst vor einer Covid Infektion nicht gemacht. Heute sieht die Situation anders aus, der Umstieg auf digitale Anmeldesysteme für Besucher*innen der Aids Hilfe und die telefonische Beratung führen wieder zu einem Zuwachs an HIV-Testungen. Ob weniger HIV-Tests auch gleich weniger Infektionen bedeutet oder mit einer hohen Dunkelziffer zu rechnen ist, „werden wir wahrscheinlich erst in 1-2 Jahren besser wissen“, so Andrea Brunner.

Etwas weniger Neuinfektionen

Die meisten der 332 Neudiagnosen wurden in Wien (158), in Oberösterreich (38), gefolgt von der Steiermark (33) und Niederösterreich (28) gestellt. Burgenland bildet mit 4 neudiagnostizierten Fällen das Schlusslicht. Die Österreichische AIDS Gesellschaft schätzt, dass knapp 10% der HIV-Infizierten nicht über ihre Infektion Bescheid wissen, weil sie noch nicht getestet wurden und somit noch keine Behandlung erhalten. Laut Berichten des Zentrums für Virologie wurden insbesondere während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 signifikant weniger HIV-Tests eingeschickt. Ob das geringe Testaufkommen auch auf geringere Neu-Infektionen zurückzuführen ist, bleibt noch offen.

Testen können sich Personen kostenlos und anonym bei den Aids Hilfen Österreichs. Aber auch bei praktischen Ärzt*innen ist eine Testung möglich.

Bei der Aids Hilfe Wien ist ein HIV-Antikörpertest kostenlos, für einen HIV-Schnelltest (Testergebnis innerhalb von 20 Minuten) ist ein Unkostenbeitrag von € 26,00 und für einen PCR-Test, anonym, einer von € 69,00 zu zahlen.

Mit einem PCR-Test sind nicht nur Antikörper nachweisbar, sondern auch die Virenlast. Zudem gibt es auch die Möglichkeit der HIV-Selbsttests, welche rezeptfrei in der Apotheke (ab € 22,00) besorgt werden können.

Dies macht eine Testung von zu Hause aus möglich und soll dazu beitragen, den eigenen HIV-Status feststellen zu können. Ein positives Ergebnis mit dem Selbsttest bedeutet aber nicht zwingend eine positive HIV-Diagnose – hier ist eine Verifizierung mittels Labortest notwendig.

„Ich habe das schon von HIV gelernt“

Jede Neuinfektion ist auch eine Lebensgeschichte. So auch die von Christoph Klettermayer. Der Autor und Fotograf hat von seiner HIV Infektion 2014 erfahren, ein Jahr nachdem er sich infiziert hat. Was früher einem Todesurteil gleichkam, ist heute gut behandelbar und hat viel von seinem Schrecken verloren. Christopher hat ein erfülltes Leben, mit einem Blutwert unter der Nachweisgrenze kann er das Virus nicht übertragen, er ist ein „U=U“ - Undetectable = Untransmittable. Bei nicht nachweisbarer Viruslast durch die passende Therapie wird HIV auch beim Sex nicht übertragen. „Leider wird HIV nur noch am Weltaids Tag zum Thema und das ist ein bisschen traurig. Ich sehe es immer wieder beim Thema der Nachweisgrenze. Wie soll es jemanden gehen, der diese Nachricht nur einmal im Jahr hört? Da muss mehr gemacht werden“, so Christopher.

Medizinisch gut im Griff

Andrea Brunner von der Aids Hilfe Wien ruft zu den regelmäßigen Checks und HIV-Testungen auf. Denn das frühe Erkennen der Infektion und die passende medizinische Versorgung führt zu einer guten Lebensqualität. „Der Virenstatus wird dann unter die Nachweisgrenze gedrückt, dann kann der Virus auch nicht weitergegeben werden, nicht einmal wenn man kein Kondom benutzt.“

Christopher kann durch seine Erfahrungen mit HIV besser mit den Auswirkungen der Covid Pandemie umgehen. „Ich habe schon einmal erlebt, wie ein Virus mein Leben auf den Kopf gestellt hat. Ich habe das schon durch HIV gelernt.“ Christopher lebt zwischen Barcelona und Wien: „Seitdem die Omikron Variante für viel mehr Einschränkungen sorgt, habe ich schlaflose Nächte, muss überlegen und abwiegen, wie ich an meine Medikamente für die nächsten Monate komme.“ Er hat innerhalb von 48 Stunden all seine Pläne geändert, um seinen Arzt in Wien zu besuchen, seine regelmäßigen Blutwerte-Checks durchzuführen und den Medikamentenvorrat aufzustocken. „Generell läuft alles sehr gut, besonders in Österreich, Medikamente dürfen aber nicht verschickt werden. Daher muss ich umplanen.“

Das Problem sind die Reaktionen aus der Gesellschaft

Problematisch ist aber immer noch die gesellschaftliche Wahrnehmung der HIV Erkrankung. Diskussionen zu neuen Mutationen, „wegen struktureller Ungleichheiten, die den Zugang zu HIV-Prävention und -Behandlung erschweren“ so Andrea Brunner, schüren ganz ungerechtfertigt Stigmen immer wieder.

Impressionen vom Aids Hilfe Wien Haus und Straßenfest 2021

Aids Hilfe Wien / Flickr

Finanziell gut, Kontakt fehlt

Wegen der Corona-Pandemie ist die Aufklärung über HIV stark in den Hintergrund gerückt. „Wir konnten nicht mehr zu den Menschen, nicht mehr in die Sauna, zu den Szene-Lokalen, zu Veranstaltungen oder in die Schulklassen. Alles ist geschlossen“, so Brunner von der Aids Hilfe Wien. Erst in diesem Jahr laufen die Programme alternativ, also digital, ab und die Bekämpfung und die Aufklärung im westlichen Europa funktioniert wieder besser.

Finanziell steht die Aids Hilfe Wien durch Untersützungs-Fonds gut da, „die Direkthilfe für Klientinnen und Klienten geht gut weiter. Es ist aber besonders wichtig, weiter regelmäßig Untersuchungen zu machen.“

In der Vergangenheit hat sich glücklicherweise enorm viel getan in den Therapieformen mit dem HIV Virus, sodass Betroffene weitgehend ein normales Leben führen können. „Wir können in Lockdowns sehr schwer sexualpädgogische Workshops in Schulen durchführen, mittlerweile können wir das Online anbieten.“ Aufklärung hilft gegen das, was sich hartnäckig hält, Diskriminierung und Stigmatisierung. Das sagt auch Christopher: „Ich nehme eine Pille pro Tag. Dadurch ist man nicht ansteckend und man kann Kinder bekommen. Aber das ist der Luxus des Westens, sogar Westeuropas. Das sieht in Ungarn schon anders aus. Wir können uns glücklich schätzen, aber das sozial Stigma ist hierzulande ein großes.“

Statistik Österreich von der Aids Hilfe Wien

Aids Hilfe Wien

38 Millionen Menschen betroffen

Blicken wir über das westliche Europa hinaus, sehen wir dramatische Unterschiede in Präventionsmaßnahmen, Bekämpfung und medizinischer Versorgung. Weltweit betrachtet leben etwa 38 Millionen Menschen (etwa 0,5% der Weltbevölkerung) mit einer HIV-Infektionen – der Großteil davon in afrikanischen Ländern. Das Ende der HIV Epidemie ist weit entfernt. Denn trotz Verbesserungen in den letzten Jahren, wirft die Coronavirus-Pandemie die schwer betroffenen Regionen zurück.

Die Menschen in manchen Regionen kommen normalerweise alle drei Monate, wie Christopher, zum Gesundheitscheck und bekommen Medikamente - jetzt können sie teilweise keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr benutzen. „Ich kann mich sehr glücklich schätzen. Ich wurde sehr früh diagnostiziert, mein Immunsystem ist im grünen Bereich, ich bin medizinisch bestens versorgt. Die Menschen in der Subsahara haben nichts.“

Das und auch die Angst, sich mit Covid zu infizieren, habe Menschen davon abgehalten, zu den Einrichtungen zu fahren. Im südlichen Afrika haben bisher auch nur drei Prozent der Bevölkerung mindestens eine Covid Impfung erhalten. Für die Entwicklung der Corona-Impfstoffe wurden riesige Summen bereitgestellt. Der Aids-Forschung stehen diese Mittel nicht zur Verfügung. Andererseits wurde selten so viel über Gesundheit und Prävention diskutiert, davon könnte auch der Kampf gegen AIDS profitieren.

End inequalities. End AIDS. End Pandemics.
(Motto des World Aids Day 2021)

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