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Verbot vieler Tattoofarben: Hat es sich bald ausgestochen?

Die Zukunft bunter Tattoos ist ungewiss. Ab 4. Jänner 2022 tritt eine neue EU-Regelung in Kraft, die die Verwendung vieler Inhaltsstoffe in Tattoofarben beschränkt. Dadurch schrumpft die Farbpalette um gut zwei Drittel. Was bedeutet das für die Arbeit von Tätowierer*innen?

Von René Froschmayer

Schrille, konstant surrende Nadeln, kurz darauf das Einsetzen eines stechenden Schmerzes. So oder so ähnlich fühlt es sich an unter der Tattoonadel zu liegen. Der Schmerz ist temporär. Was bleibt ist ein lebensüberdauerndes Schmuckstück unter der Haut.

So divers wie unsere Gesellschaft ist auch das Spektrum an verschiedenen Tattoostilen. Old School, New School, Dotwork, Aquarell, Hyperrealisitc, um nur einige wenige zu nennen. Stilistisch sind der Tattooszene kaum Grenzen gesetzt. Und: der Hype klingt nicht ab. Jede zehnte Person in der EU trägt mindestens ein Tattoo mit sich herum.

Doch Fans von bunten Tattoos müssen derzeit zittern. Denn wie es ausschaut, wird die Farbpalette im Jahr 2022 stark schrumpfen. Ab dann werden auf europäischer Ebene die zugelassenen Inhaltsstoffe in Tattoofarben einheitlich geregelt: Um die Sicherheit zu erhöhen werden Höchstwerte für tausende Substanzen eingeführt. Die Inhalte der Farben müssen ab 4. Jänner 2022 der EU-REACH-Verordnung entsprechen (REACH steht für Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals).

Ungewissheit über Alternativen

Farben, die der neuen Regelung nicht entsprechen, werden aus den Studios verbannt. Man geht davon aus, dass dadurch über zwei Drittel aller gängigen Tattoofarben wegfallen. Damit die Nadeln nicht stillstehen, müssen also Alternativen her.

Werden ab Jänner alle Inhaltsstoffe verboten? Nein, es gibt zwei Ausnahmen. Die eigentlich auch nicht erlaubten Pigmente Blue 15:3 und Green 7 haben eine Schonfrist bis Jänner 2023. Sie sind nämlich in fast allen Farben enthalten, eine adäquate Alternative für sie gibt es aber noch nicht.

Bei den jetzt geregelten Inhaltsstoffen handelt es sich zum Beispiel um Konservierungs- und Bindemittel. Aber auch metallische Komponenten sind in Tattoofarben nachweisbar. Es ist bekannt, dass sie allergische Reaktionen im menschlichen Körper hervorrufen können.

Obwohl die neue Regelung durch die REACH-Verordnung fortschrittlich erscheint, wird sie von der Tattooszene und deren Interessensvertreter*innen heftig kritisiert. Oft liest und hört man von der Harmlosigkeit der aktuell verwendeten Farben. Gesundheitliche Probleme sollen nur äußerst selten aufgetreten sein. Wenn das so ist, wieso wird die Verwendung dieser Farben nun verboten?

Buntes Tattoo

Lucie Nováková

Wie schädlich waren Tattoofarben bisher?

„Die Dosis macht hier tatsächlich das Gift“, erklärt Hautärztin Petra Hirtler. In Tattoofarben befinden sich hunderte verschiedene Substanzen. Einige davon besitzen in der Theorie gesundheitsschädliche Eigenschaften, langjährige Studien zur Gesundheitsschädlichkeit von Tattoos gibt es aber keine. Im Zusammenhang mit Tattoos wurden bisher keine gesundheitsschädlichen Entwicklungen festgestellt.

Europaweit waren die Höchstgrenzen von Tattoofarbinhaltsstoffen bisher nicht einheitlich geregelt. Dennoch wurden in der EU die Farben strengen Kontrollen von akkreditierten Instituten unterzogen. Durch ein europaweites Meldesystem konnten entdeckte Verunreinigungen an die betroffenen Tattoostudios und Konsumten*innen rasch weitergegeben werden.

Für das jetzige Verbot wären also keine negativen Gesundheitsbewertungen ausschlaggebend, sondern einfach "fehlende Daten zu vielen Stoffen von Seiten der Industrie“, erklärt Dr. Petra Hirtler. Aufgrund der mangelhaften Datenlage und den nicht vorhandenen Langzeitstudien kann eine abschließende Risikobewertung nicht durchgeführt werden. Es kann also weder die Gesundheitsschädlichkeit noch die Harmlosigkeit der Tattoofarben bestätigt werden kann. Und damit sind sie künftig nicht mehr erlaubt.

„Dann kann ich nur mehr schwarze Tattoos stechen“

Die Dezimierung der Farbpalette ist ein harter Schlag für die europäische Tattookunst. Vor allem Tätowierer*innen, die sich langjährig auf den Einsatz von Tattoofarben spezialisiert haben, trifft diese Entwicklung hart. Eine davon ist die Tätowiererin Lucie Nováková.

Buntes Tattoo

Lucie Nováková

Seit drei Jahren lebt und tätowiert Lucie in Wien. Ein paar Monate vor dem Ausbruch der Coronapandemie eröffnete sie zusammen mit Kolleg*innen ein eigenes Studio in Wien. Old School und Traditional Tattoos sind Lucies Schwerpunkt.

Durch den Einsatz zum Teil auch schriller Farben erschafft sie somit ihre eigene Richtung. Das Wegfallen vieler Tattoofarben schränkt Lucies Handwerk stark ein. „Wenn die Regelung in Kraft tritt, dann kann ich nur mehr schwarze Tattoos stechen.“.

„Eine Tätowierung kommt für mich nur mit Farbe zum Leben.“

Auch der Tattookünstlerin Bianca Melchior bereitet das bevorstehende Verbot der gängigen Farben Sorgen. „Eine Tätowierung kommt für mich nur mit Farbe zum Leben, das macht für mich einen extra Flair aus“, erklärt sie.

Obwohl Bianca auch regelmäßig schwarze Tattoos sticht, würde durch ein Verbot der herkömmlichen Tattoofarben mehr als die Hälfte ihrer Arbeiten wegbrechen. „Ich habe einige Kund*innen, die großflächige Tattoos von mir haben. Davon sind, auch wegen des Lockdowns, noch nicht alle fertig. Ohne die Farben kann ich die Pieces nicht vervollständigen. Das ist für die Kund*innen natürlich nicht leiwand.“

Buntes Tattoo

Bianca Melchior

Praxistauglich, evidenzbasiert und umsetzbar?

„Grundsätzlich ist eine einheitliche europäische Tätowiermittelregelung sehr zu begrüßen, sofern es sich nachweislich um gefährliche Inhaltsstoffe handelt“, meint auch Dr. Petra Hirtler. Dass die Verordnung nicht nur praxistauglich, evidenzbasiert und vor allem umsetzbar sein muss, ist ihr aber auch wichtig. Und genau hier sehen Tätowierer*innen ein großes Problem. Die Verordnung in ihrer derzeitigen Form führt ihrer Meinung nach zu einer Wettbewerbsschädigung: „Die Kund*innen wollen bunte Tattoos und sie werden sie sich auch stechen lassen. Dafür werden sie dann wahrscheinlich einfach woandershin außerhalb der EU fahren oder sich von Freund*innen und Bekannten in der Küche tätowieren lassen“, befürchtet Lucie Nováková.

Sowohl für sie als auch für Bianca Melchior steht die Gesundheit ihrer Klient*innen an oberster Stelle. Das breite Angebot an nicht zugelassenen Tattoofarben bereitet Bianca Melchior schon jetzt Sorgen. Diese können meist sehr einfach und von jeder Person im Internet bestellt werden. Überprüft werden die Inhaltsstoffe jedoch nicht. „Meiner Meinung nach verursacht die Verordnung mehr Schaden, als sie den Kund*innen schlussendlich hilft“, fügt Lucie Nováková an.

Andere Farben, andere Probleme

Ist damit das Ende von bunten Tattoos eingeläutet? Nicht unbedingt. Wie erwähnt muss von den herkömmlichen zu neuen, alternativen Farben umgeschwenkt werden. Noch ist nicht für jede Farbe ein Ersatz gefunden. Doch auch die „neuen“ Farben bergen Tücken, wie Lucie Nováková schildert. „Ich bin zwar neugierig auf die Farben, aber gleichzeitig fühle ich mich auch unsicher. Wir alle wissen nicht wie die Farben unter der Haut schlussendlich aussehen werden. Und wie und ob sie sich im Laufe der Jahre verändern, weiß niemand.“

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