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StoP

„Hätten Sie etwas Zucker?“

Mit teils ungewöhnlichen Methoden hilft die Anti-Gewalt-Kampagne StoP, häusliche Gewalt in der Nachbarschaft früh zu erkennen und zu unterbrechen.

Von Claudia Unterweger

Wie reagieren wir, wenn wir in der Nachbarwohnung immer wieder Geschrei und Weinen mitbekommen? Oder die Nachbarin mit einem blauen Auge auf der Straße sehen? Die meisten von uns schauen weg. Oder drehen den Fernseher lauter.

Nur 15 Prozent von uns versuchen Betroffenen zu helfen, wenn wir Augen- und Ohrenzeug*innen von Partnergewalt werden. Das zeigt eine Untersuchung der Uni Innsbruck aus dem Jahr 2015. Wir haben Angst, uns einzumischen. Schließlich will man ja im eigenen Haus weiterhin wohnen und nicht selbst in Schwierigkeiten geraten. Und Männergewalt gegen Frauen und Kinder daheim gilt immer noch als Tabuthema.

Aktuell läuft die weltweite Kampagne „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“. Sie macht auch in Österreich darauf aufmerksam, dass jede Frau das Recht auf ein gewaltfreies Leben hat.

„Privatsache“ häusliche Gewalt

Dabei könnten gerade wir als Nachbarinnen und Nachbarn häusliche Gewalt erkennen und unterbrechen - schon vor Ort, da wo sie entsteht, sagt Maria Rösslhumer, Verantwortliche der Autonomen Frauenhäuser und Projektleiterin von StoP - Stadtteile ohne Partnergewalt in Österreich: „Wenn in der Wohnung nebenan herumgebrüllt wird, Möbel umgeworfen werden, Kinder immer schreien, dann muss man da ansetzen.“

Die Nachbarschaft weiß oft sehr, sehr viel. Sie kann Femizid und schwere Gewalt verhindern.

Gerade jetzt vor den Feiertagen und seit Beginn der Corona-Lockdowns ist das Thema häusliche Gewalt besonders virulent. Jede fünfte Frau in Österreich ist Opfer von körperlicher oder sexuell ausgeübter Männergewalt. Allein dieses Jahr sind bereits 30 Frauen getötet worden – durch ihren Partner, ihren Ex-Mann oder andere männliche Familienangehörige. Immer wieder berichten Bewohnerinnen von Frauenhäusern, dass nur die Unterstützung der Nachbarschaft sie gerettet habe.

Maria Rösslhumer

Petra Paul

Maria Rösslhumer ist Chefin der Autonomen Frauenhäuser Österreichs und StoP Projektleiterin

Beim Nachbarschaftsprojekt StoP will man präventiv ansetzen, bevor die Situation eskaliert. Alle 2 Wochen wird bei Infotreffen in Städten und Gemeinden von Bregenz bis Oberwart gezeigt, wie sich Bewohner*innen im Haus zusammenschließen und konkret Zivilcourage zeigen können, sagt Maria Rösslhumer. „Zivilcourage haben wir nicht in der Schule gelernt. Aber das lässt sich üben.“

„Haben Sie Zucker?“

Oft lässt sich eine Gewaltsituation nebenan schon durch eine paradoxe Intervention unterbrechen. Man läutet bei der Nachbarwohnung an und fragt ganz banal nach Zucker oder Milch. „Dadurch lässt sich den Betroffenen signalisieren, dass sie nicht alleine sind. Und wir zeigen dem Gewaltausübenden, dass die Nachbarschaft sein Verhalten nicht akzeptiert.“

Akute Hilfe bei Partnergewalt bieten die Frauenhelpline unter der Nummer 0800 222 555 (kostenlos aus ganz Österreich) und der Verein Autonome Frauenhäuser in Österreich

Zivilcourage zu zeigen kann auch bedeuten, sich im Stiegenhaus an die betroffene Frau persönlich zu wenden und Unterstützung anzubieten, wenn sie das möchte. Helfen und Bewusstsein schaffen kann aber ebenso ein Aushang mit Notfall-Telefonnummern und Tipps zur Zivilcourage am schwarzen Brett im Stiegenhaus. Entsprechende Aushänge gibt es zum Runterladen auf der Website der StoP-Initiative. Schlussendlich besteht immer noch die Möglichkeit, direkt bei der Polizei anzurufen und anonym eine Meldung zu machen.

Es brauche einen grundlegenden Klimawandel gegen häusliche Gewalt, sagt StoP-Projektleiterin Maria Rösslhumer. Besonders wichtig sei es dabei, Männer zu motivieren und einzubinden. „Gewalt an Frauen ist ein Männerproblem. Erst wenn die Männer mitwirken, kann sich in der Gesellschaft etwas ändern.“

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