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Buch

Luna Al-Mousli: „Klatschen reicht nicht!“

Pfleger*innen, Paketzusteller*innen, Lagerarbeiter*innen, Supermarktverkäufer*innen: Die Liste an Menschen, die auch in der Pandemie unter Hochdruck arbeiten, ist lang. Ein paar von ihnen hat die Autorin Luna Al-Mousli zusammen mit der Illustratorin Clara Berlinski in ihrem neuen Buch porträtiert – und damit auf dringende politische Baustellen aufmerksam gemacht.

Von Melissa Erhardt

Ahmad ist 29 und pendelt jeden Tag etwa zwei Stunden mit den Öffis in die Arbeit. Er arbeitet als Staplerfahrer in einer Lagerhalle, etwas außerhalb von Wien. Seine Schichten dauern oft bis zu zwölf Stunden, abends fällt er erschöpft ins Bett. Auch Ani ist abends ausgelaugt, sie arbeitet seit etwa 30 Jahren als Pflegeassistentin in Wien. Auf der Arbeit muss sie nicht nur mit der körperlichen und psychischen Belastung ihres Jobs fertigwerden, sondern auch mit rassistischen Anfeindungen: Immer wieder gab und gibt es Patient*innen, die sich von ihr nicht behandeln lassen wollen: „Ich bleibe ruhig, auch wenn sie mich beschimpfen, es ist aber nicht leicht. Es bedrückt mich und tut sehr weh“, zitiert Luna Al-Mousli die Pflegeassistentin aus ihrem Gespräch, bevor die Autorin aus ihren Erinnerungen daran hinzufügt „Sie formt ihre Hand zur Faust, bringt sie zu ihrem Herzen und drückt sie fest“.

Buchcover

Leykam

„Klatschen reicht nicht“ ist am 20. September 2021 im Leykam-Verlag erschienen.

Ahmad und Ani sind nur zwei von vielen Persönlichkeiten, denen sich die 31-jährige Luna Al-Mousli in ihrem Buch „Klatschen reicht nicht“ zusammen mit Illustratorin Clara Berlinski widmet. In kurzen Texten porträtiert sie die unterschiedlichsten Personen, von einer Ergotherapeutin über einen Eisenbieger bis hin zur Leiterin der Telefonseelsorge. Sie alle arbeiten seit Monaten unter Hochdruck und konnten während der Pandemie keine Verschnaufpause einlegen, um neue Hobbies zu erlernen oder, Gott behüte, Bananenbrot zu backen.

Die Inspiration für das Buch ist der Autorin durch ihre eigene Schwester gekommen, die als Kindergartenpädagogin arbeitet und der vor allem die ersten Monate der Pandemie zu schaffen machten: „Die Panik, aber auch sich nicht angesprochen fühlen von den Bestimmungen der Regierung und dann noch der Druck, der von den Eltern kommt...", das sei alles nicht einfach.

In Lunas Familie arbeiten sehr viele in systemrelevanten Berufen - und das ist vor allem in den ersten Monaten der Pandemie nicht einfach so an ihr vorbeigegangen: "Unsere Kommunikation hat sich verändert, zum Beispiel in der WhatsApp-Gruppe. Da geht es dann darum, wann wer in Quarantäne ist, weil sich gerade wieder ein Patient oder eine Patientin angesteckt hat oder es wieder einen Verdachtsfall gibt. Das war so der Moment, wo ich gesagt habe: Okay, eigentlich möchte ich dieses Buch jetzt schreiben“.

Weiblich und migrantisch

Laut Sora-Institut arbeiten rund eine Million Österreicher*innen in den sogenannten systemrelevanten Berufen, also etwa jede*r achte von uns. Ein Großteil von ihnen hat Migrationsgeschichte, in acht von elf als „systemrelevant“ eingestuften Berufen arbeiten überwiegend Frauen. Trotz der großen Unterschiede in den einzelnen Jobs gibt es viele traurige Gemeinsamkeiten: Die Beschäftigten verdienen meist unter dem österreichischen Durchschnitt, arbeiten oft unter prekären Arbeitsbedingungen und es fehlt an Personal.

Trotzdem denkt kaum jemand über einen Jobwechsel nach – zumindest bei den von Luna Al-Mousli interviewten Personen: „Die meisten von ihnen sind in den Jobs, weil sie es lieben. Es gibt viele, die dankbar sind, weil sie das Gefühl haben: Der Job gibt ihnen viel zurück, weil sie ja mit Menschen zusammenarbeiten. Und wenn dann etwas gelingt, ein Fortschritt bei einem Patienten oder einer Patientin passiert oder wenn ein Kind plötzlich allein essen kann – dann ist das ja ein Erfolgserlebnis. Es ist halt nur die Frage: Auf welche Kosten? Also wenn man dann überhaupt keine Energie mehr hat, nur mehr ins Bett fällt, um am nächsten Tag wieder zu arbeiten, dann ist das finde ich viel zu wenig. “

Keine neuen Themen

In den einzelnen Gesprächen bringt Luna Al-Mousli auch ihre eigenen Gedanken und Wahrnehmungen ein – wie müde viele ihrer Interviewpartner*innen aussehen, wie erschöpft sie sind, wie ihre Augen aber dann doch immer wieder funkeln, wenn es um bestimmte Aspekte ihres Jobs geht. In den Gesprächen, die über Telefon, Zoom oder bei Spaziergängen durch das mal windige, mal sonnige Wien stattfinden, dreht sich aber nicht alles um Arbeit. Al-Mousli spricht mit ihren Interview-Partner*innen genauso über ihre Ängste, Sorgen und Hoffnungen: „Viele hatten das Gefühl: Endlich hört ihnen jemand zu, endlich können sie erzählen, wie es ihnen wirklich geht. Das war schon spannend.“

Luna Al-Mousli

Radio FM4

Luna Al-Mousli ist in Damaskus aufgewachsen. Heute lebt und arbeitet sie als Autorin, Grafik Designerin und Impulsgeberin mehrerer Initiativen mit Schwerpunkt Bildung und Integration in Wien.

Zusammen mit den eingestreuten Expert*innenbeiträgen werden in „Klatschen reicht nicht!“ sehr schnell große politische Baustellen sichtbar – und zwar nicht nur in der Pandemiepolitik, sondern auch, was die generellen Arbeitsbedingungen vieler Menschen betrifft: „Es wurde auf jene Wunden Salz gestreut, die schon immer wehgetan haben. Das sind ja keine neuen Themen, die wir da diskutieren, die ich im Buch diskutiere. Das sind alles Themen, die wir schon seit 20 Jahren durchkauen, wo aber dann nachher eigentlich nichts passiert. Was die Pandemie gemacht hat, ist da tatsächlich hinzuschauen und die Probleme aufzuzeigen. Und jetzt ist die Frage: Was passiert dann damit?“

Was es jetzt von politischer Seite braucht, ist klar: Mehr Personal, höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen. Aber dass einem Lieferdienst-Fahrer die Tür vor der Nase zugeschlagen wird, wenn dieser gerade einen „Guten Appetit“ wünscht, oder dass eine AMS-Bedienstete am Telefon den ganzen Grant und die Wut ihrer Mitmenschen abbekommt – daran kann auch die beste Politik nichts ändern.

Gerade hier ist jede*r Einzelne von uns gefordert, und das macht Luna Al-Mousli in ihrem Buch sehr deutlich: „Ich glaube, es ist unsere Aufgabe, diese Berufe wieder neu aufzuwerten. Diese Empathie, dass man jemanden, wenn man ihm oder ihr gegenübersteht, vielleicht fragt: „Ich hoffe, es geht Ihnen heute gut?" oder einfach „Danke“ sagt – dafür nehmen wir uns halt nicht so viel Zeit. Und vielleicht muss man da anfangen. Es geht ja nicht ständig nur um mich, es gibt ja auch noch andere. Und eigentlich geht es mir nur dann gut, wenn es den anderen genauso gut geht.“

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