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Bilder von einer Corona-Maßnahmendemo im Jänner 2022

APA/FLORIAN WIESER

auf Laut

Wie radikal sind die Corona-Demos?

Die Proteste tausender Menschen gegen die Corona-Maßnahmen begleiten die Pandemie Woche für Woche - auch nach fast 2 Jahren. Doch bei den Demos fänden sich immer mehr Gewaltbereite und auch offen rechtsextremistische Gruppen, warnt der Verfassungsschutz. Wie radikal sind die Corona-Proteste?

Von Claudia Unterweger

FM4 Auf Laut vom 11.1.2022

Wie radikal sind die Corona-Demos? Warst du schon einmal auf einer Corona-Demo, und wenn ja, warum? Was bedeutet die Teilnahme von Rechtsextremen dort für dich?

Die ganze Sendung gibt es hier als Podcast zum Nachhören.

„Ich bin regelmäßig bei den Corona-Demos als Beobachter unterwegs. Nicht erkennbar als Journalist. Weil das von Anfang an zu gefährlich war", erzählt Markus Sulzbacher im FM4-Interview. Auf derstandard.at betreibt der Politik-Journalist einen wöchentlichen „Watchblog“ mit Recherchen und Analysen zu Rechtsextremismus, Antisemitismus, Rassismus, Islamismus und Hass im Netz. Immer wieder berichtet er, dass bei Corona-Demos Medienvertreter*innen attackiert und beschimpft würden. „Ich habe Pfefferspray-Attacken auf Journalist*innen erlebt. Und dass Demonstrierende einer Kollegin die Kamera zu Boden gehaut haben.“ Auch tätliche Angriffe auf Polizist*innen habe er beobachtet. Es sei nicht ungefährlich, was da passiert, so Sulzbacher.

Schon die erste Corona-Demo in Österreich, im April 2020, hat sich der Journalist vor Ort angeschaut. Er meint, dass von Gewalt damals noch nichts zu bemerken gewesen sei. Damals seien die Demonstrierenden noch bemüht gewesen, in die Medien zu kommen und ihre Botschaften zu transportieren. „Die Demos waren noch eher friedlich. Das einzige Zeichen des Protests war, dass keine Masken getragen wurden.“

Glaube an Verschwörung als gemeinsamer Nenner

Bis heute vereint der Protest gegen die Corona-Maßnahmen Menschen aus unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten und weltanschaulichen Lagern. Lässt sich da eine gemeinsame Klammer finden? Sulzbacher: „Nach meinen Beobachtungen ist es ein wilder Haufen aus Anthroposophinnen, verwirrten christlichen Eiferern, Blut- und Boden-Anhängern, dazu ein großer Teil an fanatisierten Impfgegner*innen, die die Demos prägen. Sie alle eint der Glaube an eine Corona-Verschwörung durch Mächtige im Hintergrund.“

Bilder von einer Corona-Maßnahmendemo im Jänner 2022

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Fast täglich gibt es kleinere Kundgebungen - „Corona-Spaziergänge“ - in Wien, wöchentlich größere Protestmärsche, auch in anderen Städten. Dabei ist Österreich kaum bekannt für eine ausgeprägte historische Protestkultur auf der Straße. Warum gehen so viele Menschen seit so langer Zeit regelmäßig auf die Straße? Vor allem seit die Impfpflicht im Gespräch ist, habe die Häufigkeit der Demos zugenommen, sagt Sulzbacher. Zentral für die Mobilsierung sei auch die FPÖ.

Wenn sie (die FPÖ, Anm.) ruft, kommen schon einige Tausend zusammen. In Wien, in Innsbruck, in Graz. Und in den Gemeinden in der Steiermark immerhin einige Hundert. (Markus Sulzbacher)

Möglich sei das, weil sich die Rolle der Freiheitlichen stark verändert hat. „Die FPÖ hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr zurückgehalten mit Protesten auf der Straße. Sie hat immer gefordert, dass Demos verboten oder in Wien auf die Donauinsel verbannt werden. Bei Demos haben die Freiheitlichen früher immer Augenmerk darauf gelegt, dass der Geschäftsbetrieb in der City nicht gestört wird. Das ist vorbei. Die FPÖ setzt jetzt auf Protest auf der Straße.“

Mittlerweile scheint sich das Klima bei den Corona-Demos verändert zu haben. Zuletzt wurde laut Berichten in den sozialen Medien immer öfter Krankenhauspersonal eingeschüchtert, Angehörige von Minderheiten auf der Straße bedroht. Die fortschreitende Radikalisierung der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen gehöre aktuell zu den größten Bedrohungen in der Republik, warnt der Chef des Verfassungsschutzes Omar Haijawi-Pirchner. Dazu gehörten auch offen rechtsextremistische Gruppen, die die Protestmärsche nützen, um ihre Ideologien zu verbreiten, heißt es.

Bilder von einer Corona-Maßnahmendemo im Jänner 2022

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Rechtsextreme Gruppen bei den Demos

Die Beobachtungen von Standard-Journalist Markus Sulzbacher bestätigen das. Spätestens ab Herbst 2020 hätten Identitäre auch organisatorische Aufgaben bei den Corona-Demos übernommen, wie Spenden sammeln und Transparente tragen, so Sulzbacher. Und radikale Gruppen seien wichtig für die Ideologiebildung der Protestierenden. Es sei kein Zufall, dass rechtsextreme Parolen wie „der Große Austausch“ bei den Corona-Demos auftauchten.

„Es gibt nicht nur organisierte Rechtsextreme mit dabei. Viele andere Personen, die mitmarschieren, haben ein ähnliches Weltbild wie die Identitären. Das sieht man an ihren Transparenten, auf denen etwa der Philantrop und Milliardär Soros kritisiert wird. Die gemeinsame Klammer ist, dass alle an Verschwörungen glauben.“

Ich kann nicht deswegen stillsitzen, nur weil eine rechte Minderheit mitmarschiert. (Wortmeldung aus einer FM4-Meinungsumfrage zu Corona-Demos in Wien, 8.1.2022)

Wenn also besorgte Bürger*innen mit radikalen Gewaltbereiten nebeneinander aufmarschieren, wie reagiert dann die große Mehrheit der Demonstrant*innen? Sulzbacher beobachtet, dass man sich kaum distanziert: „Auffällig ist, dass diese Neonazis toleriert werden und wurden, von Anfang an. Ebenso wie Angriffe auf die Polizei und auf Journalist*innen. Anfangs gab es zwar schon verhaltene Kritik daran in den sozialen Medien. Das hat aber über die letzten Monate abgenommen und spielt jetzt teilweise überhaupt keine Rolle mehr.“ Neben den Identitären seien auch andere rechtsextreme Gruppen dort auszumachen, Anhänger des verurteilten Neonazi Gottfried Küssel etwa, Personen aus dem Fußball-Hooligan-Milieu, die anhand ihrer Kleidung als Rechtsextreme erkennbar sind, Staatsverweigerer, Reichsbürger*innen, QAnon-Kult-Anhänger*innen, Burschenschafter.

Zur Frage, ob die Polizei genügend eingreift bei den Demos, auf denen sich immer mehr Radikale tummeln, sagt Sulzbacher: „Mir fällt auf, dass sich die Polizei teilweise vorführen lässt, nicht zuletzt, um ihre eigenen Beamt*innen zu schützen. Jedes Mal, wenn keine Masken getragen und Polizeiketten durchbrochen werden, befeuert das die Demonstrierenden. Es zeigt, dass sie sich für vermeintlich stärker und schlauer halten als der Staat und seine Repräsentanten. Die Aufnahmen, die zeigen, dass die Polizei das teilweise mit sich machen lässt – sowas kannte ich bis vor den Corona-Demonstrationen nicht. Bei antifaschistischen Demonstrationen wird sich viel mehr gewehrt. Die Polizei sollte so agieren wie sie bei linken und antifaschistischen Demonstrationen agiert.“

Auch die Verantwortung der Medien steht zur Debatte. Befeuern die Medien nicht auch durch die breite Berichterstattung den Zulauf zu den Demos? Sulzbacher gibt zu, dass das die Proteste attraktiv mache, aber nicht darüber seriös zu berichten, sei keine Alternative:

„Man muss diese Demos einordnen können. Wenn man sich diese Demos anschaut und begleitet, dann kommt man nicht auf die Idee, zu sagen: das sind nur ganz normale Leute und ein paar Esoterik-Spinner. Nein, da sind auch organisierte Rechtsextreme dabei. Das ist die Aufgabe von Journalist*innen, das zu transportieren.“

FM4 Auf Laut: Wie radikal sind die Corona-Demos?

Wie erlebst du die Corona-Demos? Warst du schon einmal auf einer Corona-Demo, und wenn ja, warum? Was bedeutet die Teilnahme von Rechtsextremen dort für dich? Das diskutieren wir heute Abend in FM4 Auf Laut, mit Verena Fabris, Leiterin der Beratungsstelle Extremismus, mit Rechtsextremismusforscher Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands und mit FM4-Hörer*innen. Anrufen und mitdiskutieren ab 21 Uhr. Die Nummer ins Studio 0800 226 996

Die ganze Sendung gibt es hier als Podcast zum Nachhören.

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