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Andere Umstände

Julia Zejn

Graphic Novel

Wenns unter anderen Umständen passt, aber jetzt eben grad nicht...

„Ungewollt schwanger - was nun?“ - unaufgeregt und mit einer individuellen Perspektive geht Graphic Novellistin Anja Zejn dieser Frage nach. „Andere Umstände“ zeichnet eine eindrucksvolle Geschichte der körperlichen Selbstbestimmung.

Von Alica Ouschan

Eine junge Frau sitzt auf der Toilette, in der Hand einen Schwangerschaftstest. Erst ein roter Strich, dann zwei. Anja ist schwanger. Sie steht nun, ungeplant und ungewollt vor einer Entscheidung, die sie unter ihren aktuellen Lebensumständen eigentlich noch nicht treffen wollte. Die Leipziger Graphic Novellistin Julia Zejn erzählt durch die Illustierung von Anjas Leben die Geschichte vieler Personen und thematisiert eine brandheiße Debatte.

Andere Umstände

Julia Zejn

Zuletzt auf Polen, nun auf Texas sind die Augen der Welt gerichtet, auf die Proteste gegen die neuen Gesetzesbestimmungen, was Abtreibungsverbote betrifft. In Texas ist es aktuell nicht nur verboten nach der sechsten Schwangerschaftswoche abzutreiben, Bürger*innen sind ebenfalls dazu angehalten, Personen zu melden, die sich nicht an dieses Gesetz halten. Aktivist*innen sehen hier eine gefährliche Beschneidung der Rechte auf körperliche Selbstbestimmung von Personen, die schwanger werden können.

Cover

Julia Zejn/Avant Verlag

Andere Umstände hat 200 Seiten und ist im Avant Verlag erschienen.

Der individuelle Blick

Dass diese Diskussion aber nicht nur in Polen und Texas relevant ist, darauf macht Julia Zejn mit ihrem neuesten Comic „Andere Umstände“ aufmerksam. Sie zeichnet eine Debatte über das Recht auf körperliche Selbstbestimmung, die Pflicht oder Freiheit, Eltern zu werden. Sie erzählt die Geschichte aus dem Leben einer jungen Frau. Anja ist Ende Zwanzig, arbeitet an der Uni und lebt in der Großstadt. Als sie ungewollt schwanger wird, sieht sie ihr Leben aus den Fugen geraten. So beginnt die Geschichte, Julia Zejn spult die Handlung dann aber gleich mal zwei Jahre zurück.

„Mir war wichtig, dass man weiß, wer sie ist. Eine Person ist schwanger und entscheidet sich dagegen - obwohl aus gesellschaftlicher, medizinischer oder finanzieller Sicht eigentlich nichts dagegen spricht - da wollte ich, dass man sie trotzdem verstehen kann“, sagt Julia Zejn. Deshalb beginnt die Geschichte damit, dass wir in simplen Buntstiftzeichnungen mit einer großen Liebe für kleine Details wie Zimmerpflanzen, Kinoplakaten oder Teppichmustern beobachten, wie Anja den Hobby-DJ Olli kennenlernt. Er lebt eher so in den Tag hinein, ihr Leben hat einen geregelten Ablauf. Trotzdem verlieben sich die beiden und beginnen ein gemeinsames Leben, in dem sie sich anfangs gut ergänzen.

Andere Umstände

Julia Zejn

Andere Umstände

Julia Zejn

Andere Umstände

Julia Zejn

Als die beiden zusammenziehen verliert die rosarote Brille aber allmählich ihre Sättigung – Olli räumt selten auf, ist meist nachts unterwegs und schläft tagsüber, während Anja arbeiten geht, den Haushalt schmeißt und über ihre Zukunft grübelt. Als sie bemerkt, dass sie schwanger ist, trifft sie für sich selbst eine Entscheidung: Unter anderen Umständen, mit einem anderen Partner, zu einem anderen Zeitpunkt würde sie sich über ein Kind freuen – unter den aktuellen Umständen, scheint eine Abtreibung die beste Lösung für sie zu sein.

Weil die Umstände oft entscheidend sind

Für ihre Graphic Novel „Andere Umstände“ hat Autorin Julia Zejn mit Zwanzig Frauen über ihre Abtreibungserfahrung gesprochen. Viele von ihnen hatten grundsätzlich einen Kinderwunsch, die vorherrschenden Lebensbedingungen waren aber nicht ideal. Bereut hat die Entscheidung keine von ihnen. Obwohl Statistiken diesen Eindruck stützen, behaupten Abtreibungsgegner*innen gerne etwas anderes: „Sie sprechen von einem ‚Post-Abortion-Syndrom‘, welches kein echtes Krankheitsbild ist. Sofern die Entscheidung des Schwangerschaftsabbruchs ohne Druck getroffen wurde, gibt es in den meisten Fällen keine schwerwiegenden Folgen. Wenn ein Partner daneben steht und verlangt, dass abgetrieben wird, man selbst möchte das aber nicht, dann hat das natürlich psychische Auswirkungen“, erzählt die Autorin.

Julia Zejn

Bastian Rottinghaus

Autorin Julia Zejn lebt und arbeitet in Leipzig. Nach ihrem 2018 erschienenen Debut „Drei Wege“ ist „Andere Umstände“ ihre zweite Graphic Novel.

In Anjas Fall wünscht sich ihr Partner, dass sie das Kind bekommt. Olli sieht es als Chance, sein Leben in den Griff zu bekommen, er merkt dann aber schnell, dass die Konsequenzen jeglicher Entscheidung vor Allem für Anja weitreichender wären. Anja spricht mit einer jungen Mutter, googelt embryonale Entwicklung und geht zum Gynäkologen - an ihrem Entschluss ändert das jedoch nichts. Sie verspürt keine Bindung zum Fötus, aktuell noch keinen Kinderwunsch und möchte ihr Leben lieber noch eine Weile kinderlos verbringen.

Ein Plädoyer für körperliche Selbstbestimmung

Julia Zejn verwendet in ihren Zeichnungen blasse, ruhige Farbtöne, ein zartes Orange oder ein tiefes Grau und bringt mit wenigen gut gewählten Worten und viel Bildsprache ein tieferliegendes Anliegen zum Ausdruck. Auf der ganzen Welt werden Debatten über Abtreibungsverbote heiß diskutiert, in Texas und Polen gehen Menschen auf die Straße, um für die Selbstbestimmung von Personen, die schwanger werden können einzustehen.

Ein großes Thema ist ebenfalls die Zugänglichkeit von sicheren Möglichkeiten eines Schwangerschaftsabbruchs. Anja lebt in einer Großstadt, hat ein stabiles soziales Umfeld und einen sicheren Job - der Zugang zu einer Abtreibung ist für sie mit sehr wenigen Barrieren verknüpft. Allein in weniger urbanen Gebieten sieht die Lage in Deutschland, genauso wie in Österreich schon wieder ganz anders aus.

Nicht nur restriktive Gesetzte, sondern auch die mangelnden flächendeckenden Möglichkeiten, bringen große gesundheitliche, soziale und psychische Risiken mit sich. „Andere Umstände“ rollt dieses riesige Themenfeld der ungewollten Schwangerschaft auf und wird dabei zu einem unaufgeregten, subtilen dafür aber umso eindrucksvolleren Plädoyer für die Selbstbestimmung über den eigenen Körper.

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