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Cover CAPRISONGS

Young/Atlantic

Auf CAPRISONGS erfindet sich FKA Twigs neu

FKA Twigs ist zurück! Auf ihrem neuen Mixtape „Caprisongs“ kämpft sich die Britin nach viel Herzschmerz zu sich selbst zurück – und zeigt sich dabei vielschichtiger und abwechslungsreicher denn je.

Von Melissa Erhardt

Die letzten Jahre waren nicht einfach für Tahliah Debrett Barnett alias FKA Twigs: Zuerst war da die komplizierte Beziehung mit Robert Pattinson, mit der sie stärker in die Öffentlichkeit gedrängt wurde, als es ihr wahrscheinlich recht war. Hinzu kamen gesundheitliche Probleme und eine andere, ebenfalls öffentlich ausgeschlachtete, toxische Beziehung. Viel von dem erlebten Schmerz verarbeitete sie 2019 auf „Magdalene“, einem introspektiven Art-Pop-Album, auf dem sie Trost und Inspiration in der heiligen Figur der Maria Magdalena fand, quasi dem kirchlichen Sinnbild der „heiligen Hure“. Sie verarbeitete diese Dinge wohl so gut, dass sie zu Beginn der Corona-Pandemie schon mit dem Gedanken spielte, sich zurückzuziehen, mit der Musik aufzuhören, wie sie in einem Instagram-Post schreibt:

„I called around my team hinting that maybe I had hit the end of the road making music and putting my insides on blast how I have done for the last few years, it felt nice playing with the idea of not creatin for the world”.

Doch dann kam die Inspiration zurück – und zwar in Form von alltäglichen Gesprächen mit ihren Freund*innen. Sie begann diese aufzunehmen und wie es der Zufall eben so will entstand daraus ein ganzes Tape. Zwei Tage vor ihrem 34. Geburtstag und fünf Tage bevor die Capricorn-Season zu Ende geht, hat FKA Twigs nun das „CAPRISONGS“ Mixtape herausgebracht. Die 17 Tracks sind nicht nur eine Ode an ihr Sternzeichen, dem Steinbock, sondern viel mehr eine Reise zurück zu sich selbst. Und, oh boy, ist diese Reise aufregend.

Hallo Drill, hallo Afrobeats!

Nach jahrelanger Dekonstruktion elektronischer Sounds und dem Spielen mit Störfaktoren und Krach begibt sich Twigs auf „CAPRISONGS“ in mainstream-tauglichere Gefilde. Erste Vorboten für diese Wandlung haben wir mit „holy terrain“ bereits auf „Magdalene“ zu hören bekommen, 2021 folgten drei Kollaborationen mit Heady One, Central Cee und The Weeknd, die sich diesem kommerzielleren Kurs fügten. Mit „CAPRISONGS“ ist Twigs nun an der mehr als würdevollen Krönung dieses Wegs angekommen, auf dem sie sich vielschichtig wie noch nie zeigt.

Da ist zum Beispiel „Honda“: Über wummernde Afro-Trap-Beats und sakralem Chorgesang hält Barnett – zusammen mit UK-Rap-Newcomer Pa Salieu - zum ersten Mal ihre Zehnspitzen ins Rap-Gewässer. Und es scheint ihr zu gefallen - denn diesen Versuch strickt sie auf Songs wie „Pamplemousse“ oder „Darjeeling“ weiter. „Darjeeling“ ist sowieso eine unglaublich liebliche Annäherung an eines der momentan wohl gefragtesten Rap-Subgenres, dem UK-Drill. Der wird ja häufig mit Bandenkriminalität und Gewalt in Verbindung gebracht – FKA Twigs bricht diese Härte gemeinsam mit ihren Produzenten aber nicht nur durch eine weiche Harfe, die hier eine elementare Rolle einnimmt, sondern auch durch den harmonischen Flow einer Jorja Smith. Gemeinsam mit dem dritten im Bunde, dem 22-jährigen Rapper Unknown T, entsteht daraus eine bittersüße Ode an das aufregende, aber oft einsam-machende London.

Auch ihre jamaikanischen Wurzeln lässt twigs auf „CAPRISONGS“ das erste Mal aufleben – und zwar in einer nicht wirklich ahnbaren Kombi. Denn bei einer Kollaboration mit „Shygirl“ hätten die meisten von uns eher mit einem dekonstruierten, hochgepitchten Club-Track gerechnet – stattdessen bekommen wir einen Underground-Dancehall-Track geliefert, der vor Energie nur so sprüht und die Sehnsucht nach dem Sommer ins Unermessliche wachsen lässt.

Auftritte bekommen auf “CAPRISONGS“ außerdem der nigerianische Afrobeats-Musiker Rema, die zwei Kanadier The Weeknd und Daniel Caesar (was sehr viele Daniel-Caesar-Fans erfreuen wird, denn wirklich viel hat der Nr. 1 Slow-Jammer seit 2019 nicht mehr veröffentlicht) und die Londoner Musikerin Dystopia.

Neue und alte Weggefährt*innen

Dieser neue Sound auf dem Mixtape kommt natürlich nicht von irgendwo. Produziert hat Twigs ihr Tape mit einer ganzen Riege an hoch angesehenen Produzenten: Langjähriger Kanye West-Producer Mike Dean ist da zum Beispiel auf einem Track involviert („which way“), auch die venezolanische Future-Reggaeton-Produzentin ARCA, die schon Twigs‘ zweite EP im Jahr 2012 mitproduzierte, ist wieder am Bord. Geht es um Afrobeats, bekommt Twigs Unterstützung von Wizkid- und Burna Boy- Wegbegleiter P2J, geht es um Trap-Elemente schaltet sich Jasper Harris dazu (Gunna, Roddy Ricch, Juice WRLD). Auch dabei: Größen wie Cirkut, Koreless, Felix Joseph oder Sega Bodega.

Der größte Verdienst gebührt aber dem spanischen Produzenten El Guincho. Der Musiker von den kanarischen Inseln hat es in den letzten Jahren vor allem durch seine Zusammenarbeit mit Rosalía zu internationaler Bekanntheit gebracht. Für „CAPRISONGS“ haben die beiden eng zusammengearbeitet, der Großteil davon geschah über FaceTime, wie Twigs in einem online Gespräch mit Scott Goldman (Grammy-Museum) verrät:

“I was working with people that I’ve never met in real life, and we were doing the whole thing over face time. It was great, because I couldn’t go in the studio at the beginning, so I was getting beats and I would write melodies over the day. And then in the night, I would call some of my friends in America that make music, and I would just sit and have a glass of wine s and talk about what the song’s about. So I was able to, work through the day and through the night, all on my phone”

Twigs bleibt sich selbst treu

Trotz der neuen Sounds und Einflüsse verliert FKA Twigs auf „CAPRISONGS“ aber trotzdem nicht an Charakter: Das für Twigs typische Fragmentieren von Klängen, das Spiel mit ihrer eigenen Stimme, die sakralen Chöre – all das kommt auf Songs wie „Lightbeamers“, „Minds of Men“ oder „Meta Angel“ wieder zur Geltung. Letzterer ist überhaupt einer der stärksten des Tapes, auch inhaltlich: Hier lässt Twigs nach zwei eher unterhaltsamen Tracks die Fassaden fallen. Sie gibt sich verletzlich, erzählt von ihrem ewigen Kampf mit sich selbst und der Schwierigkeit, wieder zu sich zurück zu finden, wenn einem einmal der Boden unter den Füßen weggerissen worden ist:

“I’ve got voices in my head / Tellin’ me that I won’t make it far
Mirrors singin’ in my face / Where’d you go, where’d you go?”
Jeder, der schon mit Selbstzweifel zu kämpfen hatte, wird sich in dem Song garantiert wiederfinden.

Auf „Twitter“ hat FKA Twigs ihr Mixtape als „Reise zurück zu sich selbst“ beschrieben- und den Weg zu dieser inneren Selbstzufriedenheit merken wir mit jedem Track stärker und stärker. „Caprisongs“ ist spielerisch und abwechslungsreich, wir können dazu lachen, weinen und tanzen - und wir können uns an den Gesprächsfetzen mit Twigs Freund*innen erfreuen, die sie zwischen den einzelnen Tracks vernäht hat. Garantiert jetzt schon eines der besten Alben des Jahres.

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