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Filmstill aus "Licorize Pizza"

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FILM

Es war einmal im San Fernando Valley: „Licorice Pizza“

Regisseur Paul Thomas Anderson erfindet die Coming-Of-Age-Komödie neu. Mit realistischen Bildern, unverbrauchten Gesichtern und inhaltlichen Ambitionen. Auf bittersüße Nostalgie verzichtet er dabei aber nicht.

Von Christian Fuchs

Am Anfang steht eine dieser überlangen Kameraeinstellungen, die gleich die cinephile Aufmerksamkeit erweckt. Wir befinden uns mit einer jungen Frau in der Warteschlange zu einem Highschool-Event. Sie selbst hat die Schulzeit längst hinter sich gelassen, hilft aber bei Verstaltungen mit. Eine jüngerer Bursche drängt sich ihr auf, mit frechen und freundlichen Bemerkungen zugleich.

Die Protagonistin heißt Alana, ihr männlicher Möchtegerne-Eroberer Gary. Sie ist 25, er 15, erfahren wir bald. „Licorice Pizza“ erzählt die Geschichte einer möglichen Annäherung dieser Figuren, auf tollpatschigen und berührenden Umwegen.

Eigentlich der Stoff für eine klassische Coming-Of-Age-Komödie, noch dazu vor dem malerisch-sonnenverbrannten Hintergrund des Los Angeles der frühen 70er. Aber der Regisseur des Films heißt Paul Thomas Anderson.

Seit seinem Debüt „Boogie Nights“ anno 1997 gilt er als einer der wichtigsten Erneuerer des US-Kinos, als Filmemacher, der konstant die Regeln von Genres unterwandert. Und Anderson, dem wir Meisterwerke wie „There Will Be Blood“, „The Master“ oder zuletzt das Modedrama „Phantom Threat“ verdanken, will mehr als bloßes Unterhaltungskino.

Filmstill aus "Licorize Pizza"

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Realismus statt Plakativität

„Licorice Pizza“ möchte auch ein Generationenportrait sein - und ein gesellschaftliches Kaleidoskop einer Ära. In letzterer Hinsicht ist der Film durchaus mit Quentin Tarantinos „Once Upon a Time in Hollywood“ verwandt. Aber P.T. Anderson verzichtet auf Gewalt, plakative Zeitgeist-Referenzen und Berühmtheiten in den Hauptrollen. Wie er das San Fernando Valley des Jahres 1973 zeigt, in dem er selbst aufgewachsen ist, wirkt extrem realistisch. Bis hin zu den Darsteller*innen-Gesichtern mit fettglänzender Haut und Pickeln.

Man muss sich also gewöhnen an frische und unverbrauchte Charaktere, die so gar nichts mit den üblichen Leinwandschönheiten zu tun haben. Alana Haim, die mit ihren Schwestern eine gefeierte Indieband betreibt, spielt dabei in ihrer Debütrolle alle an die Wand. Selbst ihren männlichen Gegenpart Cooper Hoffman, den Sohn des verstorbenen Anderson-Stammakteurs Phillip Seymour Hoffman.

Der Bub hat es aber auch nicht leicht. Denn seine Figur Gary hat als pubertierender Schlawiner und Jung-Geschäftsmann auch ganz schön nervige Facetten. Zumindest der Schreiber dieser Zeilen hatte über weite Strecken mit dem TV-Serien-Kinderstar und Wasserbetten-Verkäufer seine Probleme. Wobei letztlich der Charme siegt, wenn Teenage-Gary seine verletztlicheren Seiten aufblitzen lässt.

Filmstill aus "Licorize Pizza"

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Fantastische Gastauftritte

Wurde „Boogie Nights“, der auch ein lichtdurchflutetes Retro-Los-Angeles zeigt, noch von einem stringenten Plot angetrieben, mäandert der ebenfalls überlange „Licorice Pizza“ oft bewusst dahin. Passend zu einer aktuellen filmischen Tendenz, die auf gefällige Narration verzichtet und stattdessen eindringliche Momentaufnahmen forciert.

Die allertollsten dazugehörigen Auftritte kommen in „Licorice Pizza“ dann aber doch von Celebritys. Sean Penn hat ein fast schon furchterregendes Intermezzo als alter Hollywood-Gockel (inspiriert von Hollywood-Ikone William Holden), angefeuert von einem irrlichternden Tom Waits. Vor allem Bradley Cooper, derzeit auch in „Nightmare Alley“ zu sehen, stiehlt als koksender Boyfriend der Sängerin Barbra Streisand komödiantisch den Film.

Filmstill aus "Licorize Pizza"

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Auch wenn einen also das komplizierte Verhältnis von Alana und Gary nicht durchgehend fesselt, die fantastischen Gastauftritte, der Gänsehaut-Score von Johnny Greenwood, die exquisit ausgesuchten Rocksongs auf der Tonspur, die virtuose und doch nicht aufdringliche Kamera des Regisseurs selbst (zusammen mit Michael Baumann), das Gefühl von bittersüßer Nostalgie, all das schreit nach einem Pflichtbesuch im Kino.

Zumindest für mich ist „Licorice Pizza“ zwar nicht der beste Film von Paul Thomas Anderson - aber ein formales Kunststück, mit Figuren, an die man sich erst gewöhnen muss. Wenn der finale Akt dann doch glücklichmachende Coming-of-Age-Klischees bedient, hat man Alana und Gary aber längst liebgewonnen.

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