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Corona-Testcenter für Peking 2022

APA/AFP/Kirill KUDRYAVTSEV

Peking 2022: Ärger und Ängste wegen der Corona-Tests

China hat besonders strenge Coronaregeln und Transparenz wird nicht gerade großgeschrieben. Das hat auch im Vorfeld von Olympia schon für einige Missstimmung gesorgt.

Von Rainer Springenschmid

Im November 2021 schlagen die deutschen Rodler:innen Alarm. Der Weltcup-Tross ist in China für das erste Weltcuprennen der Saison: Einfahren auf der neuen Olympiabahn in Yanqing. Der Rodel-Weltverband FIL hat die gesamte Elite in einem Charterflieger nach Peking gebracht. Der österreichische Doppelsitzer-Rodler Lorenz Koller erinnert sich: „Wo wir am Flughafen angekommen sind, war der ganze Flughafen abgeriegelt. Das war ein bissl ein Schock, dass man niemanden sieht und dass wir auch so abgeschottet werden.“

Nach einem ersten PCR-Test werden die Sportler:innen und der Betreuungsstab in Busse verfrachtet und nach zwei Stunden Wartezeit, ohne den Bus verlassen zu dürfen – bei Harndrang wurden Plastikkanister gereicht – in ein Hotel gebracht, über abgesperrte Straßen, ohne jeglichen Kontakt zur einheimischen Bevölkerung. Dort erfahren sie vom Verdacht auf drei positive Tests.

Harte Konsequenzen bei Corona-Verdacht

„Dann sind wir einmal zwei Tage (im Hotelgelände) eingesperrt worden“, erzählt Lorenz Koller, „die Verdachtsfälle sind in Quarantäne gekommen in ein Spital oder ein anderes Hotel. Nach den zwei Tagen haben sie uns rausgelassen.“ In diesen zwei Tagen geizen die chinesischen Behörden aber mit Informationen, offensichtlich weiß niemand so recht, wie es weitergeht. Die deutsche Rodlerin Natalie Geisenberger gerät in Verdacht, K1 zu sein, weil sie laut offiziellen Dokumenten im Flugzeug am Platz neben einem positiv getesteten Russen gesessen sein soll. Fotos, die belegen, dass auf den Plätzen in Wahrheit Koffer gelagert waren, helfen ihr zunächst nichts, sie darf ihr Zimmer nicht verlassen und nur spät am Abend trainieren.

Ihr Kollege Tobias Arlt wird wegen eines falsch positiven PCR-Tests von der Bahn abgeholt und im Krankenwagen ins Spital gebracht. „Wie ein Schwerverbrecher ist er abgeführt worden“, meint Geisenberger. „Das Schlimme ist“, erzählt Arlt in einem Beitrag des Bayerischen Rundfunks, „da ist halt keiner, der deine Sprache spricht.“ Arlt sendet Bilder aus dem Quarantäne-Zimmer: überall Kakerlaken, das Badezimmer schmutzig.

„Das waren die schlimmsten drei Wochen meines Lebens“, sagt Natalie Geisenberger und Arlt meint kurz nach seiner Rückkehr, wegen einer Weltmeisterschaft oder einem Weltcup würde er nicht mehr nach China fahren. Für Olympia täte man sich halt einiges an.

Lorenz Koller hat die Zeit entspannter erlebt. „Insgesamt waren die Erfahrungen für mich positiv. Ich war vorher noch nie in China und natürlich würde man dann gern mehr vom Land sehen. Um das geht’s ja auch bei Olympia, dass man ein bisschen was von der anderen Kultur mitkriegt, dass sich die Kulturen vermischen. Das war jetzt leider nicht der Fall und die ersten zwei Tage war natürlich ein bisschen ungewiss, weil man nicht wusste, ab wann wir dann unseren Sport machen dürfen. Aber es hat sich dann relativ schnell herausgestellt, dass wir nach zwei Tagen trainieren dürfen und dann haben wir den Fokus einfach komplett auf den Sport gelegt und es relativ gut überstanden.“

Kritik von vielen Seiten

Mit ihrem Schritt an die Öffentlichkeit haben die deutschen Rodler:innen die Debatte über China als Olympia-Austragungsland befeuert, die schon vorher am Köcheln war. Greenwashing beim Bau der Olympiastätten, staatliche Überwachung und Zensur, Unterdrückung der Uiguren in Xinjiang und der Demokratiebewegung in Hongkong, das Säbelrasseln in Richtung Taiwan und anderen Nachbarstaaten im Pazifik, dazu die restriktive Corona-Politik – die chinesische Staatsführung hat nicht gerade eine Olympia-Euphorie entfacht, sondern im Gegenteil Rufe nach einem Boykott laut werden lassen.

Und dann ist da noch der Fall der chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai. Anfang November veröffentlicht sie im sozialen Netzwerk Weibo sexuelle Missbrauchsvorwürfe gegen einen hochrangigen Parteifunktionär. Die Vorwürfe verschwinden schnell, Berichte in chinesischen Medien gibt es nicht. Peng Shuai verschwindet von der Bildfläche. Nach internationalem Druck verbreitet IOC-Präsident Thomas Bach ein bizarres Videotelefonat mit Peng Shuai, das Normalität darstellen soll, aber die Sorgen um Peng Shuai noch vergrößert. Der Tennisverband WTA reagiert konsequenter und setzt alle Turniere auf chinesischem Boden auf unbestimmte Zeit aus.

Schwere Bürde für Athlet:innen

Westliche Politiker:innen, angeführt von der US-Regierung, werden Olympia jedenfalls boykottieren – mehr als ein symbolischer Akt ist das wohl nicht. Relativ schnell war allerdings klar, dass die Forderung nach einem sportlichen Boykott jedenfalls unfair wäre denen gegenüber, für die Olympia das Karrierehighlight ist. „Die Spiele sind vor langer Zeit vom IOC vergeben worden“, meint denn auch Thomas Schwab, Sportdirektor des Bob- und Schlittenverbands für Deutschland (BSD), „und jetzt sollen die Athleten die Menschenrechte richten auf der Welt.“ Eine verständliche Haltung angesichts dessen, dass Firmen wie VW oder Tesla ihre Autos in unmittelbarer Nachbarschaft chinesischer Uiguren-Internierungslager zusammenschrauben lassen.

Dennoch goss Mitte Jänner Wolfgang Maier, der Alpindirektor des Deutschen Skiverbands, Öl ins Feuer der Boykottdebatten, als er meinte, wenn es nach ihm ginge, würde er derzeit keine Athlet:innen nach China schicken. „Ich finde persönlich, dass es total schwierig ist, die Sportler oder die Trainer da hinzuschicken, wenn man nicht weiß, unter welchen Bedingungen man dort ankommt.“ Maier bezog sich dabei auf die unklare Lage bei PCR-Tests und die mangelnde Transparenz chinesischer Medizinbehörden.

Trickst China mit Corona-Tests?

Tatsächlich weichen chinesische Regeln bei PCR-Tests von der weltweiten Praxis ab. In China gilt auch ein PCR-Test mit einem Ct-Wert von 40 als positiv, im Rest der Welt nur bis 30. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit falsch-positiver Tests und wurde im November Tobias Arlt (Ct 38) zum Verhängnis. Nach den internationalen Debatten hat China die Ct-Grenze für die Olympia-Blase auf 35 herabgesetzt. Trotzdem kann es sein, dass ein Sportler außerhalb Chinas negativ getestet wird und in China plötzlich positiv.

Wolfgang Maier traut den chinesischen Behörden außerdem zu, die täglichen PCR-Tests zu missbrauchen, um missliebige Konkurrenz heimischer Medaillenanwärter auszuschalten. „China war noch nie im Wintersport irgendwo“, meint er. „Das wird doch keiner glauben, dass die Chinesen nicht mit allen Mitteln versuchen, hier bei den besten fünf Nationen zu sein.“ Eine Vermutung, die im Lichte der Erfahrungen mit sportlichen Großevents in Diktaturen nicht gänzlich von der Hand zu weisen ist. Im Skisport und beim Rodeln bräuchte es allerdings – im Gegensatz zu manchen Bewerben im Skeleton, Eisschnelllauf oder Freestyle – schon sehr viele Coronafälle, um chinesischen Sportler:innen realistische Medaillenchancen zu verschaffen.

Natalie Geisenberger und Tobias Arlt sind jedenfalls bei Olympia dabei. Arlt sieht die Situation inzwischen entspannter als noch im November. Er glaubt, dass die öffentliche Debatte um seine Erfahrungen dazu beigetragen hat, dass die Situation für Sportler:innen deutlich verbessert wurde. „Ich habe jetzt auch schon Bilder gesehen von den neuen Quarantäne-Unterkünften. Das sind anscheinend 3-Sterne-Hotels, und falls da drüben ein positiver Test sein sollte, dann kommt man in bissl schickeren Hotels in Quarantäne. Und das beruhigt dann schon ungemein. Und wie gesagt, ich hatte die schlimmsten Erfahrungen da drüben schon erlebt und denke, dass es für mich nicht schlimmer werden kann.“

Die sterile Blase

Olympiastimmung wird vor Ort natürlich keine aufkommen. Es gibt kein Publikum bei den Wettbewerben, die Wettkampfstätten und die drei olympischen Dörfer im Zentrum Pekings, in Yanqing und in Zhangjiakou sind streng von der Außenwelt abgeriegelt. Athlet:innen leben in ihrer Blase, sehen keine anderen Wettbewerbe und so gut wie nichts von Land und Leuten. Kontakt zu Einheimischen oder Athlet:innen in den anderen Dörfern gibt es nicht, sollte ein Olympiafahrzeug in einen Unfall verwickelt sein, ist die Bevölkerung sogar angewiesen, fernzubleiben und auf keinen Fall Hilfe zu leisten. Zwei Tage nach ihrem Wettbewerb müssen die Sportler:innen und Betreuer:innen das Land verlassen.

Der österreichischen Medaillenanwärter Lorenz Koller findet die fehlende Olympia-Stimmung zwar auch extrem schade, aber er konzentriert sich auf den Sport. Und zumindest das ist dort sehr gut möglich, sagt er, denn die Rodelbahn in Yanqing sei die erste Bahn, die ohne finanzielles Limit erbaut wurde. „Es ist abnormal, wie groß und wie beeindruckend sie ist“, findet er. Und obwohl Lorenz Koller nicht viel mehr von China gesehen hat, als das, was an seinem Busfenster vorbeigezogen ist, findet er das Land extrem schön. „Von unserer Unterkunft zur Bahn sind wir 40 bis 50 Minuten gefahren. Ich weiß nicht, ob die mit uns da Umwege gefahren sind, damit wir nur die schönen Gebäude sehen. Aber das hat alles viel hergemacht.“

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