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Julia Garner in "Inventing Anna"

Netflix

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Hoch stapeln, tief fallen

Die Geschichte der Betrügerin Anna Delvey, die die Finanz- und Kunstwelt New Yorks um den Finger gewickelt und um tausende Dollar geprellt hat, wird in der Serie „Inventing Anna“ erzählt.

Von Pia Reiser

In Sachen Kriminelle im Film gehört mein Herz seit jeher denen, die Heists planen und durchführen und den Con Men und Con Women, die mit manchmal mit ertstaunlich einfachen Kniffen täuschen, schwindeln, betrügen und manchmal absurd eingefädelte und hochkomplizierte Aktionen durchführen, um an Geld zu kommen oder eine Täuschung aufrecht zu erhalten. Die Mister Ripleys, die Sneaky Petes, die Frank Abagnale Jrs - ich könnte ihnen den ganzen Tag zuschauen.

Ähnlich ist es mir auch mit der Berichterstattung um die junge Frau namens Anna Delvey gegangen, die 2017 wegen Betrugs in New York verhaftet worden ist. Eigentlich heißt sie Anna Sorokin und soroka ist das russische Wort für Elster, der Vogel, der von glitzernden Gegenständen angezogen wird. Glitzer, Glamour und die Modewelt ziehen Anna Sorokin schon als Teenager an, die sie in der deutschen Kleinstadt Eschweiler verbringt, wo die Familie 2007 aus Russland hinzieht.

Julia Garner in "Inventing Anna"

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Anna wird in Central Saint Martins University in London aufgenommen, doch tritt das Studium nie an, stattdessen beginnt sie beim Magazin „Purple“ in Paris ein Praktikum, lernt Olivier Zahm kennen und erfindet sich als Anna Delvey neu. Neuer Name, neue Biografie, neuer gesellschaftlicher Background. Und: Klotzen, nicht kleckern. Als Anna 2013 nach New York reist - zunächst nur, um an der New York Fashion Show teilzunehmen - stellt sie sich als deutsche Millionenerbin vor, die von der Errichtung einer Kunststiftung träumt.

Den Weg bis zu ihrer Verhaftung pflastern Parties, Getaggt-Werden in prominenten Instagram-Acounts, Empfänge, gefälschte Schecks und gefälschte Konto-Auszüge. Sie gibt sich am Telefon als ihr deutscher Bank-Berater aus, der immer Erklärungen für Verzögerungen im Zahlungsfluss hat. Zu mindestens vier Jahren Haft und einer Geldstrafe wird Anna Sorokin verurteilt, im Gefängnis schließt sie mit Netflix einen Deal über 320.000 Dollar ab. Anna Sorokin kann damit einen Teil ihrer Schulden abzahlen, wir können ab 11. Februar dafür die Geschichte ihrer New Yorker Hochstapeleien in Serienform anschauen.

Die famose Julia Garner („Ozark“, „The Assistant“, „The Americans“) trägt als Anna Delvey in „Inventing Anna“ die große schwarze Celine-Brille auf der Nase. Als wir ihr in der Serie begegnen, ist sie bereits im Gefängnis. In Rückblicken wird ihre Geschichte erzählt (die interessanterweise den Teil in Paris beim „Purple“-Magazine komplett auslässt), da die Serie sich auf den „New Yorker“-Artikel „How Anna Delvey Tricked New York’s Party People“ von Jessica Pressler. Die Figur der Journalistin Pressler findet sich als Vivian Kent (Anna Chlumsky) in der Serie wieder, die hochschwanger Delvey im Gefängnis besucht und mit einem Artikel über die falsche Millionenerbin versucht, ihren angekratzten Ruf als Journalistin zu retten. Da ich „Veep“ nie gesehen habe und mit der Chlumsky’schen Schauspielerei seit „My Girl“ nicht mehr in Kontakt gekommen bin, bin ich mindestens drei Episoden von „Inventing Anna“ davon fasziniert, mit wieviel Mimik-Einsatz sie spielt - ich dachte Claire Danes sei da die unangefochtene Königin.

Vivian - und die Serie - wollen also die Frage klären, wer diese Anna Sorokin ist und wie sie es geschafft hat, so viele Leute aus der Kunst- und Finanzwelt zu täuschen. Nicht immer gelingt die Täuschung das gleich beim ersten Anlauf, schnell erkennt Anna, dass sie es als Frau v.a. in der Finanzwelt schwer hat. Der Stoff, aus dem die Serie hier versucht, Anna Delvey ein Cape als feministische Märtyrerin zu nähen, ist allerdings ein bisschen dünn. Es hat wenig Sinn, sich auszumalen, wie eine Serie über Anna Delvey in den Händen von den „Succession“-MacherInnen ausgesehen hätte, die die Inszenierung von Geld, Macht und Machtspielchen halt so unglaublich perfektioniert haben, aber während den sich wie Strudelteig ziehenden 10 Episoden von „Inventing Anna“ hat man halt viel Zeit, sich eine bessere, spannendere Serie auszumalen.

Julia Garner in "Inventing Anna"

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Die letzten Jahre waren nicht gerade arm an ziemlich unglaublichen Geschichten über BetrügerInnen: Von Elizabeth Holmes über Martin Shkreli zu Billy MacFarland - die beiden Männer kommen übrigens kurz im „Inventing Anna“ vor - doch in diesem Panorama an Hochstaplern ist die Geschichte um Anna Delvey schon ein „Scamlet“ von Shakespeare-Format, das sich in den Händen von Shonda Rhimes als Showrunnerin aber als erstaunlich träge Angelegenheit zeigt. Zwar waren Serien aus Rhimes Produktionsfirma „Shondaland“ nie Teil des „Prestige Television“; doch Rhimes-Serien wie „Grey’s Anatomy“ oder „How to get away with murder“ konnten eine*n üblicherweise sogar innerhalb eines Episoden-Bogen fesseln.

Das Faszinierende an der Geschichte der Anna Delvey muss man zwischen den Zeilen suchen, nämlich, dass Anna Delvey deswegen solange mit ihren Lügen und ausstehenden Rechnungen davonkommt, da sie sich benimmt wie eine Millionenerbin, da sie sich mit reichen Leuten umgibt, die sie für reich halten und lange Zeit reicht das Image und die Behauptung, Millionenerbin zu sein als Zahlungsmittel für Hotels, Spas und Restaurants.

Julia Garner in "Inventing Anna"

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Wer nur den Wikipedia-Eintrag überfliegt, wird sehen, dass man in der Geschichte von Anna Delvey nichts dazuerfinden müsste, doch „Inventing Anna“ stellt zunächst Anna noch einen Tech-Bro-Boyfriend namens Chase zur Seite, der dabei ist, Geld für seine schwindlige Traum-App aufzustellen. Nur um die Frage aufzuwerfen, ob er nicht genauso ein Schwindler ist wie Anna müssen wir verflixt viel Zeit mit Chase verbringen. In die ganz unterste Klamottenkiste greift „Inventing Anna“ dann, als Journalistin Vivian nach Deutschland fährt, um Annas Familie zu treffen. Kaum sagt Vivian in der deutschen Stadt „Anna“ auf der Straße wird sie von Passanten angesprochen, ob sie über Anna Sorokin redet. Ähnlich unraffiniert wird hier ein Deutschlandbild abgeliefert, das nur aus Bierkrügen und Fleischhauereien besteht, während Annas Eltern mit zentnerschweren Akzenten wiederholen, sie wüssten auch nicht genau, was bei Anna schief gelaufen sei. Eventuell sind die Hochglanz-Modezeitschriften schuld, nichts Genaues weiß man nicht.

„Inventing Anna“ startet am 11. Februar 2022 auf Netflix

2019 hatte Lena Dunham noch vor, sich der Geschichte von Anna Delvey anzunehmen. Es ist schade, dass dieses Projekt nie zustande gekommen ist. Wer sich für Anna Delvey interessiert, dem sei hier der Podcast „Fake Heiress“ empfohlen oder auch das Buch „My Friend Anna“. Anna Sorokin hat bereits aus dem Gefängnis verlauten lassen, dass sie sich die Serie nicht anschauen wird, das wäre auch meine Empfehlung.

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