Universalkünstler mit Spezialgebiet Spektakel

Bei der Präsentation von Kanye Wests neuem Album „Donda 2“ in Miami ging es zwar auch, aber bei Weitem nicht nur um die Musik.

Von Stefan „Trishes“ Trischler

Kurz vor elf Uhr nachts ging es endlich los. Davor hatten sich die Fans vor Ort und im Livestream schon fast drei Stunden von abstrakten kreisrunden Visuals und einschlägigen Sounds hypnotisieren lassen.

Im Internet kursierte der Witz, das sei schon das Album und das Ganze ein aktionistisches Gesamtkunstwerk im Sinne von Des Kanyes neuer Herzschlag. Und ganz verkehrt ist der Gedankengang nicht: Macht ye doch in den letzten Jahren konsequent Schritt um Schritt weg vom Musiker hin zum Universalkünstler mit Spezialgebiet Spektakel.

Die Mode war da vor ein paar Jahren nur der erste Schritt, der vorerst letzte eine durchdesignte Experience Performance im Baseball-Diamanten. Dieser stand knöchelhoch unter Wasser, auf dem ye dann metaphernschwer gehen konnte – seht her, Yeezus! In der Mitte war ein Replika seines Elternhauses in Chicago platziert, das letzte Woche in der ersten Folge der Doku-Serie über Kanyes Leben von der Ruhm eine wichtige Rolle gespielt hatte.

Seiner Mutter, mit der er dort nostalgisch durch die Räume geschritten war, ist auch Donda 2 gewidmet, das musikalisch direkt an den Vorgänger anschließt: Etwas antiseptisch, aber sehr groß klingende Songs, die laut Vorgabe für Taufen, Hochzeiten und Begräbnisse gleichermaßen geeignet sein sollten. Von den ersten Hör-Durchläufen bleiben vor allem die Gastauftritte von Future, Travis Scott oder den Migos hängen. Und die Mantras, die Kanye uns und sich selbst vorsagte, mal flehend, dann wieder trotzig. Anderswo rappt er über seinen verstorbenen Freund, Louis Vuitton-Designer Virgil Abloh, oder bringt weitere toxischen Seitenhiebe auf seine Ex-Frau Kim an.

Das Donda 2 Album gibt es aktuell weder digital zu hören noch physikalisch zu kaufen – mit einer Ausnahme. Mit dem Stem Player, Kanyes kreisrundem Musik-Gadget für 200 Dollar, kann man die Songs sogar in vier Spuren aufgeteilt steuern und mit Effekten versehen. Diese Spielerei macht kurzzeitig sicher Spaß, ein handtellergroßer MP3-Player zum Mitnehmen wirkt 2022 aber doch anachronistisch. Sich der ausbeuterischen Marktlogik der großen Streamingdienste zu verweigern ist absolut löblich und sinnvoll – gerade für jemanden in Kanyes Position! Wie man aber schon bei früheren Exklusiv-Veröffentlichungen für einzelne Plattformen gesehen hat, könnte das am Ende eher nur zu mehr illegalen Kopien führen. Wer dieses Spiel gewinnt, wird man also noch sehen. Die Fans sind es aber eher nicht.

Die Experience lief jedenfalls nicht so perfekt, wie sich das Kanye wohl erhofft hatte. Nach der Listening Session gab es nämlich noch ein paar Live-Songs, wo sich der aufmerksamkeitsverliebte Künstler auch kontroverse Gäste wie Marilyn Manson oder DaBaby erneut eingeladen hatte. Allein die Tontechnik spielte ihnen mehrere Streiche, bis ye das Mikro warf und frustriert von dannen stapfte.