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Auf einer Gedenkveranstaltung zum Holocaust

HÖR | Cetinovska

Junge Roma und Romnja wollen sich nicht mehr verstecken

Seit 600 Jahren leben Rom*nja in Österreich und genauso lange wurden sie als ethnische Minderheit systematisch ausgegrenzt und verfolgt. Zum Schutz vor Anfeindungen verbergen viele Angehörige der Volksgruppe ihre ethnische Herkunft. Welche Rolle spielt es für junge Leute im Alltag, Rom oder Romni zu sein?

Von Claudia Unterweger

Man könnte von einem Nischenthema sprechen. Oft taucht die Volksgruppe der Roma und Romnja und ihre Lebenssituation in der österreichischen Öffentlichkeit nicht auf. Aber heute ist der 8. April, der Welttag der Roma und Romnja, der zurückgeht auf den ersten Weltkongress der Roma und Romnja, der an diesem Tag vor mehr als 50 Jahren in London über die Bühne gegangen ist. Gefeiert werden Kultur, Traditionen und die Sprache, das Romanes. Doch gerade das Romanes wird in vielen Familien nicht mehr an die Kinder weitergegeben. Man geht davon aus, dass es besser sei, sich komplett zu assimilieren und die eigene Kultur in den Hintergrund zu drängen.

Sladi Mirković und Laura Darvas sind Romnja aus Wien und setzen sich aktiv für die Rechte junger Roma und Romnja in Österreich ein. Was bedeutet für sie selbst die Zugehörigkeit zur Volksgruppe?

„Es können sicher alle relaten, warum meine Eltern nicht wollten, dass ich mich in der Schule und in meinem Bekanntenkreis als Romni oute“, sagt Laura Darvas aus Wien. Sie ist 24, die Erste in ihrer Familie, die Jus studiert, will Rechtsanwältin werden. Sich offen zu ihrer Volksgruppe zu bekennen, sei oft verknüpft mit der Angst vor Anfeindungen im Arbeitsleben oder der Befürchtung, Jobs gar nicht erst zu bekommen.

Völkermord an den Roma und die Folgen

Wieviele Rom*nja heute in Österreich leben, das weiß niemand so genau. Schätzungen zur Größe der Volksgruppe schwanken zwischen 10.000 und 50.000 Personen. „Wir leben im Verborgenen“ – so hat die Autorin und KZ-Überlebende Ceija Stojka einst eines ihrer Bücher genannt. Sie war eine der Ersten, die den Holocaust an den Roma und Romnja durch die Nationalsozialist*innen öffentlich zum Thema gemacht hat. Der überwiegende Teil der vorher in Österreich lebenden Volksgruppe war ermordet worden. Die wenigen, die die Konzentrationslager überlebten, wurden weiterhin von der Mehrheitsbevölkerung ausgegrenzt - ein Geschichtskapitel, über dem größtenteils immer noch ein Mantel des Schweigens liegt. Dann kam das rassistische Attentat von Oberwart, bei dem 4 Roma ermordet wurden. Kein Wunder also, dass Angehörige der Volksgruppe ihre Identität bis heute oft nicht an die große Glocke hängen.

Antiziganismus, also Rassismus gegenüber Rom*nja und Sinti*zze, ist in Österreich immer noch salonfähig. Ressentiments zeigen sich manchmal „nur“ subtil in Form von Mikroreaktionen des Gegenübers, wie die Pädagogin und Antirassismus-Trainerin Sladi Mirkovic am Beispiel von Begegnungen schildert, bei denen sie sich als Romni zu erkennen gibt:

„Dann bemerke ich kurz einen Verfall im Gesicht meines Gegenübers. Oft heißt es dann: Ah, cool...! Aber in Wirklichkeit meinen sie das ganz und gar nicht. Diesen Schockmoment zu spüren, das ist richtig unangenehm. Zu beobachten, wie den Leuten plötzlich stereotype Bilder im Kopf einschießen. Die sie dann direkt mit dir als Individuum verknüpfen.“

Auf einer Gedenkveranstaltung zum Holocaust

HÖR | Cetinovska

HÖR, die Hochschüler*innenschaft österreichischer Roma und Romnja ist der erste Jugendverein der Volksgruppe in Österreich. Gegründet vor einem Jahr mit dem Ziel, Rom*nja und Sinti*zze zu organisieren, bilden, fördern und unterstützen und aktiv gegen Antiziganismus aufzutreten.

Als weiß oder Person of Colour durchgehen

Doch im Vergleich zu ihren Eltern, die in den 1970er Jahren als Gastarbeiter*innen aus Serbien zugewandert sind, habe sie als junge Romni weniger mit Negativklischees zu kämpfen, sagt Sladjana Mirković. „Mein Leben in Österreich schaut gut aus, weil dieses Label, Roma zu sein, nicht auf den ersten Blick sichtbar ist. Ich entscheide von Fall zu Fall, ob ich diese Info über mich weitergebe oder nicht.“

Im Gegensatz zu den älteren können junge Angehörige der Volksgruppe in Österreich manchmal als People of Colour „untertauchen“. Bei der von Mehrheitsangehörigen gern gestellten Frage „Woher kommst du?“ könne man sich einer „hipperen“ oder zumindest weniger diskriminierten ethnischen Gruppe zuordnen lassen. Doch diese Sicherheit kann trügerisch sein, schildert die Jus-Studentin Laura: „Ich bin white-passing, anders als meine Mutter. Meine Eltern kommen aus Ungarn und der Slowakei. Bei Urlauben dort ist es uns schon öfter passiert, dass wir im Restaurant nicht bedient worden sind.“ Diese Ängste tauchen immer wieder auf.

Coming-out bei der Englischmatura

Mit 18 hat Laura dann beschlossen, das Versteckspiel zu beenden. Sie wollte ihre eigene Identität offen leben können. Bei der mündlichen Englischmatura hat sie sich entschieden, über die Traditionen in ihrer Familie nicht mehr länger als „ungarische Kulturbräuche“ zu referieren:

„Ich hatte Herzrasen. Als ich gesagt habe, wir sind Roma aus Ungarn, habe ich das Gesicht meiner Englischprofessorin gesehen. Ich habe gesehen, wie es bei ihr Klick gemacht hat, und sie hat gelächelt. Ich habe sogar einen Einser bekommen“, lacht Laura. Seither gibt sie sich im Privatleben neuen Bekanntschaften gegenüber selbstbewusster zu erkennen.

Roma und Romnja in Österreich sind eine heterogene Volksgruppe – manche leben prekär, haben kaum Zugang zu Bildung und Sozialleistungen, andere hingegen qualifizierte Jobs. Verbessert hat sich die Lage für junge Rom*nja im Vergleich zu ihren Eltern und Großeltern ingesamt dadurch, dass Rom*nja 1993 die offizielle Anerkennung als Volksgruppe durchgesetzt haben und nach und nach bessere Bildungschancen erkämpften. Rom*nja-Kinder wurden damit nicht mehr automatisch von den Behörden in die Sonderschule geschickt.

Dem Klischee der „bildungsfernen Volksgruppe“ entgegenzusteuern, darum geht es der HÖR, der Hochschüler*innenschaft österreichischer Roma und Romnja. Sladjana und Laura sind im Vorstand des Vereins aktiv. Sie wollen die Diskussion über die Lebenssituation von Rom*nja auf ein universitäres und wissenschaftliches Level bringen. Diesbezüglich gibt es jetzt auch ein erstes Masterstudium in „Romani Studies“ an der Central European University in Wien.

Das Z*-Wort ist eine in Österreich immer noch häufig gebrauchte, abwertende Bezeichnung. Es wurde im Nationalsozialismus benutzt, um Rom*nja und Sinti*zze als minderwertig zu kategorisieren. Der Buchstabe Z wurde ihnen auch in die Haut tätowiert. Der Begriff wird in diesem Artikel bewusst nicht ausgeschrieben, um die Gewalt dieser Bezeichnung nicht zu reproduzieren.

Für Aktionen gegen Rassismus bzw. Antiziganismus arbeiten die Aktivist*innen mit anderen Communities zusammen. So ruft die HÖR aktuell dazu auf, das erste „Black Voices“-Antirassismus-Volksbegehren zu unterstützen, das noch einen Monat lang zur Unterschrift aufliegt.

Abwertende Bezeichnungen für Rom*nja sollen aus dem alltäglichen Sprachgebrauch verschwinden, wünschen sich Sladi und Laura. Einiges wurde schon erkämpft, so manche Lebensmittel mit diskriminierenden Produktnamen sind in vergangenen Jahren umbenannt worden. Doch immer noch findet sich etwa das Schnitzel mit Paprikasoße unter dem Z*-Wort auf vielen Speisekarten. Sladjana dazu: „Dieses Wort soll nicht mehr bedenkenlos als geflügeltes Wort benutzt werden. Denn es ist diskriminierend und verletzend. Es muss weg.“

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