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wikinger trinkt aus bierkrug

Pixabay / Gioele Fazzeri

Todor Ovtcharov

Wenn der Wikinger auf den Mafioso trifft

Manche Menschen lösen sofort Kopfkino in einem aus. Und trotzdem ist man überrascht, wenn man selbst auch bestimmte Vorstellungen in anderen auslöst.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Ralf schaut aus wie ein Wikinger, der einem Kinderbuch entsprungen ist. Er ist rothaarig und hat einen Bart, den er wahrscheinlich nie in seinem Leben rasiert hat. In seinen langen Haaren könnte sich ohne Probleme ein mittelgroßer Pelikan einnisten. Ich lerne Ralf auf einer Party kennen. Ich fühle mich seltsam, das ist meine erste Riesenparty seit Anfang der Pandemie. Vielleicht gerade deshalb beobachte ich Ralf mit so viel Begeisterung. Ich denke mir, er ist sicherlich ein Mensch, der auf Tabletop Rollenspiele und Iron Maiden oder ähnlich militanten Heavy Metal steht. Laut meiner Einschätzung drückt sich Ralf am liebsten nicht verbal, sondern eher körperlich aus. Als er mir die Hand gibt, stelle ich fest, dass sie größer als eine Fischplatte ist. So habe ich schon meine Vorstellung über ihn. Ich habe ihn geschätzt, gemessen, gewogen.

Mann mit Hut tief ins Gesicht gezogen

Pixabay / Carabo Spain

Nach einer Minute verstehe ich, dass auch Ralf mich gemessen hat, nachdem er mitbekommen hat, dass ich in Bulgarien geboren bin. Seine ersten Worte sind: „Wie geht es in der Mafia?“
In mir hat Ralf einen Mafioso gesehen. Vielleicht nicht unbedingt von der Sorte, die schlägt und Hände bricht, aber von der anderen, die Konten leert und falsche Kryptowährungen kreiert. Oder bin ich in seinen Augen einer, der Politiker besticht und die halbe Polizei in seiner Hosentasche hat? In meiner Hosentasche befindet sich aber nur eine Monatskarte für die U-Bahn und ein 10-Euro-Schein, den mir meine liebe M für Sellerie gegeben hat. Das ist mein ganzer Mafiareichtum. In uns beiden ist der gleiche Ausmusterungsprozess von Vorurteilen verlaufen.

Ich frage Ralf, was er beruflich so macht. Er ist Mikrobiologe und liebt Einzeller. Momentan beobachte er wissenschaftlich irgendein Tierchen, dessen Namen ich vergessen habe. Außerdem liebe er mittelalterliche Kirchenchoräle und seine Lieblingssportart sei rhythmische Kunstgymnastik.

Seid vorsichtig, liebe Leserinnen und Leser, denn unsere Gedanken sind manchmal schneller als das tatsächliche Wissen. Wissen macht uns manchmal weise, ober ohne Wissen sind wir einfach Dummköpfe. So wie ich und Ralf.

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