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SLASH

Das SLASH ½ Festival feiert rebellisches Genrekino

Vom 5. bis zum 7. Mai wechselt das Wiener Filmcasino erneut auf die dunkle Seite der Kinokunst und öffnet seine Pforten für aufgeschlossene Fans von Horror, Fantasy und Science-Fiction.

Von Christian Fuchs

Wenn es das SLASH Filmfestival nicht geben würde, müsste man es erfinden. Seit vielen Jahren versorgt das Team um Kurator Markus Keuschnigg Genrefans in Wien mit liebevoll ausgewählten Schrecklichkeiten.

Wobei der Fokus auf Horror beim SLASH schon immer zu kurz greift. Alles Skurrile, Weirde und Durchgeknallte wird im Filmcasino zelebriert. Je rebellischer und den vermeintlich guten Geschmack beleidigend, desto besser, finden Keuschnigg & Co. Auf diese unterhaltsame Unterwanderung der Mainstream-Moral musste man auch nicht in Pandemiezeiten verzichten. SLASH-Liebhaber*innen erlebten auch mit Maske und strenger Kontrolle fantastische Festivals, im wortwörtlichen Sinn.

Screenshot aus dem neuen Film von Dario Argento: Person in einem finsteren Raum mit einem Messer in der Hand

Matteo Cocco

„Dark Glasses“ heißt der neue Film von Dario Argento.

Weil die Wartezeit auf den großen SLASH-Marathon im September immer zu lange scheint, gibt es bekanntlich auch eine Mini-Ausgabe im Frühling. Gemeinsam mit dem Crossing Europe Festival in Linz, wo Markus Keuschnigg die „Nachtsicht“ betreut, werden neueste Genre-Delikatessen importiert. Das heurige Programm des SLASH ½ Festivals ist besonders aufregend geraten, hier ein paar ausgewählte Filme, denen einen besonders aufregender Ruf vorauseilt.

Grenzenlose Bizarrheit: „Everything Everywhere All At Once“

Dass der Begriff „Multiversum“ außerhalb von wissenschaftlichen Kreisen hip wurde, verdankt sich dem Comickino. Marvel setzt in seiner aktuellen Phase mit allen tricktechnischen Mitteln auf Parallelwelten. Der Konkurrent DC zieht demnächst nach.

Dabei liegt der Verdacht nahe, dass es in Filmen wie „Spider-Man: No Way Home“ oder dem kommenden „Dr. Strange in the Multiverse of Madness“ weniger um das hirnschmelzende Potential des Themas geht. Viel eher wollen die Comickino-Konzerne ihr Figurenarchiv gewinnbringen vermarkten.

Ganz anders der große Eröffnungsfilm des SLASH ½. Regie bei „Everything Everywhere All At Once“ führt ein Duo, dem man punkto Mindfuck vertrauen kann. Dan Kwan und Daniel Scheinert, als „Daniels“ bekannt, führten schon Harry Potter himself an den Rand des Irrwitzes. Unvergesslich der Auftritt von Daniel Radcliffe als furzende Leiche in „Swiss Army Man“. Jetzt katapultieren sie den Hongkong-Star Michelle Yeoh in das Multiversum. Dabei geht es höchst surreal und bewusstseinserweiternd zu.

Unschuld und Abgründe: „Inexorable“

Der belgische Meisterregisseur Fabrice du Welz ist mit seinen Filmen Stammgast beim SLASH (und im Rahmen einer Werkschau leibhaftig beim Crossing Europe heuer). Irgendwo zwischen ernsthaften Arthouse-Ansätzen und einer Eindringlichkeit, die an Horrorschocker denken lässt, bewegen sich bildstarke Werke wie „Calvaire“ oder „Vinyan“.

In seinem neuen Film „Inexorable“ präsentiert Fabrice du Welz einen Plot, der an schwülstige Hollywood-Thriller aus den 90ern denken lässt. Ein Starautor zieht mit seiner Frau in deren gewaltiges Familienanwesen. Auf der Suche nach einem Kindermädchen für die kleine Tochter wird das Ehepaar in der Nachbarschaft fündig. Bald scheint klar, dass die junge Fremde ein düsteres Ziel verfolgt. Anstatt in einen konventionellen Showdown zu münden, lässt „Inexorable“ das Geschehen im letzten Drittel „spektakulär entgleisen“, wie es so schön im SLASH-Programm heißt.

Der Maestro kehrt zurück: „Dark Glasses“

Ein Filmemacher, dem sich das SLASH besonders verbunden fühlt, ist die italienische Regielegende Dario Argento. Unvergesslich der persönliche Auftritt des Maestros einst in den stilvollen Räumen des Filmcasinos. Anlässlich des 1. Mai outete sich Argento als engagierter Linker und beschwor den Geist der Arbeiterbewegung.

In seinen herausragendsten Filmen spürt man diese Gesinnung kaum aufflackern. Da geht es ganz oft um bedrohte Frauen unterschiedlicher Altersstufen, die von anonymen Killern gejagt werden. Weil Horrormeilensteine wie „Profondo Rosso“, „Suspiria“ oder „Tenebrae“ aber nicht bloß Slashermovies vom Fließband sind, sondern formale Kunstwerke, sind auch Filmkritikerinnen und Genrespezialistinnen davon begeistert.

Screenshot aus dem neuen Film von Dario Argento: Eine Frau mit dunkler Sonnenbrille sitzt halb angezogen auf einem Bett. Hinter dem Bett steht ein Mann.

Matteo Cocco

„Dark Glasses“

Allerdings gilt all das Lob für den Farbenrausch, die umwerfenden Sets, die psychedelischen Soundtracks stets dem Frühwerk von Dario Argento. Mit seinem späteren Schaffen konnte er an die einstige Brillanz kaum anschließen. „Dark Glasses“ verspricht nun ein Comeback des 81-jährigen Regisseurs. Ein waschechter Giallo-Thriller rund um eine blinde (!) Edelprostituierte, die in Rom vom unvermeidlichen Serienmörder verfolgt wird, uraufgeührt auf der Berlinale 2022.

Bedrohte Porno-Crew: „X“

Elf spannende Filme zeigt das diesjährige SLASH ½, zumindest einer sei noch dezidiert hervorgehoben. In „X“ taucht der ziemlich lässige Indieregisseur Ti West, dessen Karriere das Festival seit jeher begleitet, in die Welt des Pornobusiness ein. Allerdings im Jahr 1979, wo er eine Truppe junger Leute zeigt, die im texanischen Nirgendwo einen Hardcorefilm drehen wollen.

Dabei haben die eingerauchten Kids offensichtlich nicht den von Ti West verehrten Klassiker „Texas Chainsaw Massacre“ gesehen, der vor der ländlichen Bevölkerung warnt. Die Pornocrew bekommt es mit einem besonders gruseligen Gegner zu tun.

Ähnlich wie in seinem Frühwerk „House of the Devil“ kreiert Ti West eine überzeugende Retro-Stimmung. Bevor „X“ aber in die pure Horrornostalgie abdriftet, fesselt der blutige Film mit Gedanken über das Älterwerden, Promiskuität und Sex-Positivity im 70ies-Style. Gänsehaut-Entertainment, sleazy Provokationen und inhaltliche Intelligenz gehen sich locker in einem Film aus, das passt auch perfekt zum SLASH ½ Festival 2022.

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