FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Zwei junge Leute sitzen auf einem Sofa. Szene aus "After the Winter".

Fame Solutions

Crossing Europe: Wenn die Eltern schweigen, sprechen die Freunde

Die Preise beim Crossing Europe Filmfestival sind vergeben, „Cicha Ziema“ („Silent Land“) gewinnt den Preis für den besten Spielfilm. Am Montag, 2.5., wird „Alle reden übers Wetter“ das so bereichernde Festival beschließen. Bis dahin ist noch volles Programm.

Von Maria Motter

Wenn es ihr gelingt, einen Gedanken so richtig zu fassen und zu formulieren, dass andere ihn begreifen und darauf einsteigen, ist das für sie so etwas wie Heimat, vertraut Clara, 39 und Doktorandin der Philosophie, in „Alle reden übers Wetter“ ihrer Jugendliebe im Gasthaus im einstigen Ostdeutschland an. „Kommt gut durch“, wünscht Claras Mutter, als die Tochter mit der Teenager-Enkelin nach dem Wochenende ins Auto steigt und zurück in die Hauptstadt fährt. Annika Pinskes Kinospielfilmdebüt „Alle reden übers Wetter“ reiht sich ein in den gegenwärtigen deutschen Film, der ganz auf Schauspieltalent setzt und von Verhältnissen erzählt. Wenn die Eltern plaudern, aber damit nichts sagen, oder ganz schweigen, entsteht nicht bloß eine Lücke: Freunde sind gefragt. Am Crossing Europe erzählen einige Filme auf jeweils sehr schöne und gewinnende Weise davon.

Rage Against The Machines’ “Killing in the name of” in der Version eines Jugendorchesters wird Montagabend aus den Lautsprechern im Moviemento Kino im Einser Saal tönen. „Alle reden übers Wetter“ ist der Abschlussfilm des Crossing Europe und hat Österreich-Premiere. Anne Schäfer spielt Clara mit großer Glaubhaftigkeit, Regisseurin Annika Pinske macht bei „Tage wie diese“ von den Toten Hosen einen scharfen Cut in einer Dorffestszene und sie lässt Ironie ganz außen vor. Die sozioökonomischen Verhältnisse erzählen sich nebenbei über die Wohnorte. Clara lebt in einer WG, der Ex-Mann in einem Haus am See, ganz so wie im Song von Peter Fox, mit neuer, heiterer Familie und der Teenager-Tochter, und Claras Mutter lebt ihr Leben lang in der Provinz in einer kleinen Wohnung. „Alle reden übers Wetter“ ist ein sehr schöner Film über Bildungsaufstieg und Zugehörigkeit, Mutterschaft und Emanzipation, auch über Einsamkeit. „Das musst du dir schon selbst verzeihen, dass du mehr vom Leben willst“, sagt eine Uni-Professorin und Doktormutter zu Clara in „Alle reden übers Wetter“.

Szene aus dem Spielfilm "Alle reden übers Wetter": Drei Menschen sitzen auf einer Bank an einem Tisch im Freien.

Filmgarten

Anne Schäfer in „Alle reden übers Wetter“, ein Film für alle, die auch Filme von Maren Ade schätzen. Regisseurin Annika Pinske hat parallel zu ihrem Studium der Philosophie und Literaturwissenschaft für den Theaterregisseur René Pollesch gearbeitet und war auch Assistentin von Ade. „Alle reden übers Wetter“ ist ihr Abschlussfilm im eigenen Regiestudium.

„A E I O U“ oder ab durch die Mitte

„Dieses Ausscheren, um irgendwie an ein richtiges Leben ranzukommen und dem Leben nochmal so was abzugewinnen. Das Leben sieht ja manchmal so aus: Wir dürfen einkaufen gehen und viel anderes bleibt nicht mehr übrig. Wir dürfen Bungeespringen, Skifahren und Einkaufen gehen, und wir dürfen bei ‚Deutschland sucht den Superstar‘ mitmachen“, sagt Sophie Rois im FM4-Interview am Crossing Europe in Linz anlässlich ihrer Rolle in „A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe“. Regisseurin Nicolette Krebitz lässt darin Sophie Rois als Sprechtrainerin mit einem kleinkriminellen Jugendlichen mit Sprachfehler und ohne Familie zusammenfinden. Gemeinsam sind sie dann als klandestines Pärchen an der Côte d’Azur unterwegs. Es ist eine leicht verrückte und charmante, schwebende Geschichte, durch die Sophie Rois im beigen Trenchcoat nahezu tanzt. „Man kennt das ja, dass einen das Gefühl beschleicht, dass das alles kein richtiges Leben ist, sondern irgendwie man eigentlich nur so ein Hackfutter ist für ich weiß nicht wen. Ich glaube, das ist dem Film schon gelungen, so Situationen zu kreieren, wo die an etwas anderes rankommen. An irgendetwas, was sich Leben schimpfen kann. Das ist natürlich auch keine Garantie, dass das in die Ewigkeit geht, aber das ist nicht die Frage im Film.“

Ein Paar hüpft durch eine Stadt im Süden. Szene aus "A E I O U - Das schnelle Alphabet der Liebe".

Filmladen

„After the Winter“ - Ein Herz von einem Film

Crossing Europe zum Zuhauseschauen via VOD-Plattform, mit u.a. „After the Winter“ und „Restanza“.

Die schönsten Filme sind nicht unbedingt immer die mit Paul Thomas Anderson als weiterem, zusätzlichen Drehbuchberater, wie „Moon, 66 Questions“ und mit Kalkül getrimmt. Ein Herz von Film ist indes „Poslije zime“ („After the Winter“) von Ivan Bakrač: Fünf Freund*innen Mitte bis Ende 20 halten da Kontakt. Sie sind zusammen aufgewachsen in einem kleinen Ort in Montenegro, sie leben in Novi Sad, Kotor und Belgrad und besuchen einander. Es ist ein Freundschaftsreigen in Ländern des ehemaligen Jugoslawiens, nicht im Schnitzlerschen Sinn, sondern in aufrichtiger Zuneigung und geschmeidiger Dynamik. Diese fünf leben, feiern, halten zusammen und gehen auf Distanz, umeinander wissend. Den Krieg, der noch auf das Leben der Jungen nachwirkt, nehmen die Väter buchstäblich mit ins Grab. Regisseur Ivan Bakrač macht daraus aber kein großes Drama.

Vier Freunde schlafen in einem Bett. Szene aus "Poslije zime" ("After the Winter").

Fame Solutions

„Poslije zime“ hatte am Karlovy Vary International Film Festiva Premiere.

„Restanza“ oder morgen sind wir eine Genossenschaft

Die Morgensonne erleuchtet die Felder in Apulien und eine Gruppe von Freund*innen kämpft gegen die Landflucht. „La Restanza“ von Alessandra Coppala ist eine DIY-Doku über das Überleben in Italien, die zeigt, was ist. Dem Genre der euphorischen Glückserzählungen über biologische und überhaupt wunderbarst beste Lebens- und Arbeitsalternativen mit triumphierenden, manipulierenden Scores hält sie dankenswerter Weise die Realität entgegen. Über Jahre hat sie die Unternehmung „Casa delle AgriCulture“ mit der Kamera begleitet.

Alessandra Coppola bei Dreharbeiten für "Restanza" in Apulien, ein Mann hält ihr einen Regenschirm über die Kamera, beide lachen.

Alessandra Coppola

Am Land zu sein, sei schön für Spaziergänge, aber nicht zum Arbeiten, erklärt eine Großmutter der Enkelin, als die Lehrerin mit Freunden eine landwirtschaftliche Genossenschaft aufziehen will. Zu dritt haben sie zwei Hektar Tabacco-Felder bestellt, erzählt die Großmutter, Tomaten und Oliven noch gehabt. Die alten Tomatensorten interessieren die Jungen wieder und drei der Ende 20-Jährigen in der Doku „Restanza“ haben ein reguläres Einkommen und Beschäftigung, die der Bank als Kredit für die alte Steinmühle reichen. In „Restanza“ wird auf die Schulden angestoßen, der Rechtspopulist Matteo Salvini in Lecce ausgebuht und Mut gemacht.

Ein paar Freunde arbeiten auf einem Feld in Apulien, die Sonne geht auf. Szene aus der Doku "Restanza" von Alessandra Coppola.

Atelier Graphoui

„Restanza“ handelt von Veränderung im eigenen Einflussbereich.

“Silent Land“ als bester Spielfilm des Crossing Europe

Aga Woszczyńskas spannungsgeladener „Cicha Ziema“ („Silent Land“) gewinnt den Preis für den besten Spielfilm im Wettbewerb: Im Italienurlaub eines polnischen Paares kommt der Arbeiter, ein Migrant ohne Aufenthaltsgenehmigung, der den Pool instandsetzen soll, um.

Das Publikum des Crossing Europe hat „Un Monde“ („Playground“) von Laura Wandel als besten Film gewählt – Tipp: In Wien läuft der Spielfilm zurzeit im Stadtkino im Künstlerhaus.

Als beste Doku im Wettbewerb wird „Tvornice Radnicima“ („Factory to the Workers“ von Srđan Kovačević über Arbeiterselbstermächtigung und -selbstverwaltung einer Fabrik ausgezeichnet – am 1. Mai. Der Local Artist Award ging an Jola Wieczorek für „Stories from the Sea“ und Leni Gruber und Alex Reinberg für „Hollywood“ sowie von Alexander Au Yeong, Nadja Bodlak für ihr „Nicht Low Budget, sondern No Budget“-Musikvideo für „I Accept“ von Nnella. Die YAAAS! Jugendjury hat sich sechs Filme angesehen und für“Youth Topia” entschieden.

Die Tradition des Crossing Europe Festivals als charmant-lässiger Treffpunkt für das Publikum und Filmschaffende aus ganz Europa haben Sabine Gebetsroither und Katharina Riedler im ersten Jahr ihrer Intendanz hochgehalten. Wie beliebt Publikumsgespräche sind und wie gut für den Austausch, war nach vielen Vorführungen zu merken. Für die 20. Ausgabe des Crossing Europe sind auch Neuerungen in Planung, der Fokus ist weiter auf den europäischen Film gerichtet. Und der Montag, 2. Mai 2022, ist noch ein ganzer Crossing Europe Tag!

Viele Menschen plaudern am OK Platz in Linz zurzeit des Crossing Europe.

a_kep/subtext.at

mehr Film:

Aktuell: