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Filmstill aus "Das letzte Geschenk"

Polyfilm Verleih

„Das letzte Geschenk“: eine argentinische Tragikomödie

In der argentinischen Tragikomödie „Das letzte Geschenk“ haut ein alter Mann kurz vor seiner Übersiedlung ins Altersheim nach Europa ab. Dort sucht er einen Freund aus Jugendtagen, dem er noch ein letztes Geschenk schuldig ist. Eine Reise in die Vergangenheit, die auch die Zuschauer*innen emotional mitnimmt.

Von Jenny Blochberger

Eine der Töchter des vermögenden Schneiders Abraham Bursztein hat einen unverzeihlichen Verrat begangen: Als er seine Töchter um sich versammelte und von ihnen lediglich verlangte, ihm zu sagen, wie sehr sie ihn lieben, hat sie sich geweigert. Sie würde dieses, wie sie meinte, absurde Spiel nicht mitspielen. Wie einst King Lear verstieß der zürnende Patriarch die unbotmäßige Tochter und teilte das Erbe unter den anderen auf.

Als eine neue Bekannte von dieser Geschichte erfährt, wäscht sie dem alten Sturschädel gehörig den Kopf: Entschuldigen müsse er sich bei seiner Tochter, nicht umgekehrt. Abraham verwahrt sich dagegen, aber man merkt doch, wie sich in ihm etwas zu bewegen beginnt.

Der argentinische Film „Das letzte Geschenk“ ist ein klassisches Road Movie – zwar ist der Protagonist ein alter Mensch, der aber trotzdem noch eine Entwicklung durchmacht, egal, wie sehr er sich gegen Veränderung wehrt. So wie es in einem Road Movie nun mal zu geschehen hat.

Zunächst begegnen wir Abraham aber in seinem Haus in Buenos Aires, umgeben von gepackten Kisten und verhängten Möbeln. Der alte Mann hat ein krankes Bein und mehrere Töchter, die ihn lieber gut aufgehoben im Altersheim sähen als allein in dem großen Haus, und endlich hat er ihnen nachgegeben. Für das letzte Familienfoto möchte er mit allen Enkelkindern posieren – nur ausgerechnet die Lieblingsenkelin will nicht, außer der Opa lässt ein iPhone springen. Nach harten Verhandlungen und viel Gezeter bricht Abraham in ein stolzes Lächeln aus: Die Kleine kommt ganz nach ihm, schlau und geschäftstüchtig.

Der Anblick eines alten Anzugs macht ihn nachdenklich, und im letzten Moment überlegt er es sich anders. Unbedingt muss er noch etwas in Polen, seinem Geburtsland, erledigen. Da der einzige Flug nach Europa in dieser Nacht nach Madrid geht, nimmt er eben den - mit dem Plan, per Zug nach Polen weiterzureisen. Denn in Europa, so versichert man ihm, sind die Abstände lächerlich gering. Ein wenig spät kommt er drauf, dass er mit dem Zug Deutschland durchqueren müsste – und das kommt für den Holocaustüberlebenden auf keinen Fall in Frage.

Filmstill aus "Das letzte Geschenk"

Polyfilm Verleih

Die Begegnungen, die Abraham auf seiner Reise macht, verhelfen dem Film zu einem leichten Tonfall – der Flirt mit einer spanischen Hotelbesitzerin (die wunderbare Angela Molina), der Schock über eine hilfreiche Deutsche, die Jiddisch spricht oder die Wiederbegegnung mit seiner verstoßenen Tochter erzählen viel über Abrahams eigensinnigen Charakter und helfen ihm gleichzeitig in seiner Weiterentwicklung.

Plakat von "Das letzte Geschenk"

Polyfilm Verleih

Ab 13. Mai ist „Das letzte Geschenk“ im spanischen OmU in heimischen Kinos zu sehen.

Hauptdarsteller Miguel Ángel Solá verleiht dem alten Sturschädel einen spitzbübischen Charme, der nachvollziehbar macht, wieso Abraham mit seiner oft raumgreifenden Selbstherrlichkeit durchkommt. Leider bleibt er dabei auch der einzige echte Charakter in einem Film, in dem alle anderen nur dazu da sind, ihn auf seiner (realen und psychologischen) Reise weiterzubefördern. Als hätten sie keine eigenen Leben, begleiten sie ihn zum Bahnhof, bestehen trotz seines Widerwillens darauf, ihm zu helfen oder fahren ihn quer durchs Land mit dem Auto in eine andere Stadt.

Im Lauf der Erzählung wird Abrahams tragische Vergangenheit immer klarer, und auch, warum er den Anzug, den er vor Jahren genäht hat, unbedingt nach Lodz bringen muss. Die Flashbacks zu seiner Jugend nach dem Krieg sind leider der schwächste Teil des Films: Die sepiagetönten Erinnerungen wirken wie nachgestellte Szenen für eine Fernsehdoku. Trotzdem hat das Ende einen emotionalen Impact, dem man sich nicht entziehen kann.

Im spanischsprachigen Original heißt der Film übrigens „Der letzte Anzug“ (El último traje). Man wundert sich, warum man den Titel nicht beibehalten hat, ist das Bild des letzten Anzugs (in dem man beerdigt wird) doch so viel stärker und naheliegender als das weniger vielsagende „Geschenk“. Die argentinisch-spanisch-polnische Koproduktion von Regisseur Pablo Solarz aus dem Jahr 2017 kommt nun auch bei uns in die Kinos.

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