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Kendrick Lamar und seine Familie am Cover seines neuen Albums 'Mr. Morale & The Big Steppers'

Renell Medrano

Kendrick Lamar will die Traumata seiner Community durchbrechen

Nach fünf langen Jahren Wartezeit meldet sich der Rapper aus Compton mit „Mr. Morale & The Big Steppers“ zurück, einer schonungslosen Aufarbeitung eigener und generationen-übergreifender Schmerzen.

Von Stefan „Trishes“ Trischler

Es war ein großes Mysterium: Vor rund zehn Jahren hat Kendrick Lamar mit seinem Major-Debüt den Rap-Mainstream geentert und uns dann mit erzählerisch wie musikalisch extrem dichten Alben begeistert. Fünf Jahre später riss die Perlenkette dann mit „DAMN“ abrupt ab und es war es lange ruhig um den Ausnahmekünstler aus Compton. In der Zwischenzeit hat er eine Kreativagentur gegründet, seinem Cousin Baby Keem bei dessen Album geholfen - und Gerüchte über ein Rock-Album zirkulieren lassen.

Der FM4 HipHop Lesekreis hat auch The Heart Part 5 besprochen.

Umso aufgeregter hat die Rap-Welt auf die Ankündigung eines neuen Kendrick Lamar Albums - nein, Doppel-Albums! - reagiert. Und schon die Vorab-Hörprobe „The Heart Part 5“ sorgte mit ihrer harschen Verurteilung der in Kalifornien so stark verwurzelten Gang-Kultur und dem (auch visuellen) Tribut an Kendricks verstorbenen Rapper-Freund Nipsey Hussle für Furore, aber auch viele Diskussionen im Netz.

Seit heute wissen wir ein wenig mehr über die Gründe von Kendrick Lamars langer Auszeit. „Mr. Morale & The Big Steppers“ zeigt zwei davon gleich am Cover: Abseits der großen medialen Öffentlichkeit hat Kendricks Verlobte Whitney Alford nach der dreijährigen Tochter offenbar kürzlich auch einen Sohn auf die Welt gebracht. Zusätzlich zu den neuen familiären Verpflichtungen spricht der Rapper aber auch von einer zweijährigen Schreibblockade, während der ihn nichts genug bewegt habe, um es niederzuschreiben. Die Tage seit seinem letzten Album hat aber auch er scheinbar gezählt:

One-thousand eight-hundred and fifty-five days
I’ve been goin’ through somethin’
Be afraid

Dieses content warning am Anfang des Albums ist absolut berechtigt. Leicht verdauliche Rap-Musik für die Sommer-Playlist geben diese 18 Songs nicht her. Stattdessen hat Kendrick Lamar die generationenübergreifenden Traumata in seiner Community, ausgelöst durch Armut, Kriminalität, Rassismus und Gewalt, aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Es geht um sexuellen Missbrauch, Trans- und Homophobie und um toxische Beziehungen. Kendrick war merkbar in Therapie und hat sich seinen Dämonen ausgiebig gestellt. An einigen Stellen sind Zitate des deutschen Autors Eckhart Tolle zu hören, dessen spirituelle Theorien Kendrick Lamar offenbar stark beeinflusst haben.

Die dominante Klangfarbe auf „Mr. Morale & The Big Steppers“ ist das Klavier, neben Stepptanz-Rhythmen ist aber vor allem Kendricks Stimme in verschiedenen Lagen der rote Faden, die Beats drängen sich großteils nicht in den Vordergrund. Rapper-Kollegen wie sein Cousin Baby Keem, Ghostface Killah vom Wu-Tang Clan oder Kodak Black sind da ebenso zu hören wie die Stimmen von Portisheads Beth Gibbons, Summer Walker oder Sampha.

„Mr. Morale & The Big Steppers“ ist ein Album, das man auf jeden Fall noch wirken lassen muss. Nach den ersten paar Durchläufen dominiert aber die Schwere der persönlichen Verletzungen und intergenerationellen Traumata, die da recht schonungslos aufgearbeitet werden. Vermutlich in der Hoffnung, dass seine Kinder und ihre Generation davon nicht mehr so stark belastet werden. Trotz der symbolschweren Dornenkrone auf dem Cover will Kendrick Lamar aber nicht als Retter gesehen werden - im letzten Song entschuldigt er sich sogar dafür, dass er jetzt mehr auf sich selbst und seine Familie schauen muss.

Egal ob das jetzt ein (zeitweiliger) Abschied aus der Musikwelt ist oder ob der Rapper bald mit eigenen Strukturen neue Wege für Rap aufzeigen wird - mit diesem Album hat er uns wieder einige profunde Denkanstöße hinterlassen. Danke, Kendrick!

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