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Mely Kiyaks Kolumnensammlung „Werden sie uns mit FlixBus deportieren?“

Scharfzüngig, zynisch und mit jeder Menge „Leckt-mich-am-Arsch-Attitüde“ schreibt Mely Kiyak seit etwa 15 Jahren politische Kolumnen. „Werden sie uns mit FlixBus deportieren?“ liefert einen ziemlich deutlichen - und etwas beängstigenden - Überblick über den Rechtsruck Deutschlands der letzten Jahre.

Von Melissa Erhardt

Ein Neonationalsozialist geht in die Bäckerei und bestellt Brot. Was die wohl essen, fragt sich Mely Kiyak („Man geht ja doch von einem kruppelstahlharten Roggenschrotflintenkorn aus“) und nähert sich dem Mann mit Springerstiefel und Glatze. Der bestellt dann auch, und zwar mit einer sehr hohen, Comicfigur-artigen Stimme. Mely Kiyak ist amüsiert:

„Ich meine, da biste schon mal Nationalsozialist und hast einen Auftritt vor einer Viertelkanakin, da sagste doch wenigstens ‚Heil Hitler‘, oder? Da piepst du dir doch nicht wie ein liebeskranker Falsettkastrat einen ab. Angeblich, so las ich es im Rudolf-Heß-Aphorismen-Abreißkalender, legt sich jedes Mal, wenn ein Neonationalsozialist beim Bäcker in der Schlange „Guuten Taaag!“ fiepst, der Scheitel des Führers im Grab ein Stück weiter auf links.“

Mely Kiyak

Svenja Trierscheid

Mely Kiyak ist seit 2008 als Kolumnistin tätig, seit 2013 kommentiert sie für das Berliner Maxim-Gorki-Theater alle 14 Tage das Weltgeschehen. Mit „Werden sie uns mit FlixBus deportieren?“ ist nach Büchern wie „Frausein“ (2020) oder „Herr Kiyak dachte, jetzt fängt der schöne Teil des Lebens an“ (2013) jetzt eine Sammlung dieser Theater-Kolumnen im Hanser-Verlag erschienen.

Es sind solche Szenen, bei denen man einfach nicht drumherum kommt, laut loszulachen. Mely Kiyak weiß, wie sie aneckt. „Je leichtfüßiger, amüsanter und Leckt-mich-am-Arsch-hafter du schreibst, desto mehr drehen die Leute durch“, erklärt sie in einem Interview mit Max Czollek und dem Wetter-Magazin einmal ihren Ansatz von „gefährlichem Schreiben“. Dieses Schreiben ist natürlich nicht immer so oberflächlich wie beim Neonationalsozialisten, der in die Bäckerei geht und Brot bestellt. Im Gegenteil, der Brot-bestellende-Neonazi ist eher der Ausreißer. Kiyak jongliert mit Worten nämlich nicht nur, als wäre sie Zirkusakrobatin, sie ist auch eine scharfsinnige Analystin der deutschen Politik und Gesellschaft.

Als „deutsche Wertarbeit“ hat die Jury des Kurt-Tucholsky-Preises, den Kiyak letztes Jahr überreicht bekommen hat, ihr Schreiben deshalb bezeichnet. Kiyak wies dieses Kompliment dankend zurück: „Sie wollen mich damit symbolisch in Ihre Mitte aufnehmen, aber selbst, wenn ich wöllte, da bin ich nicht. Ich stehe – in vielerlei Hinsicht – an der Seitenlinie und schreibe von dort aus. Wer schreibt, wer wirklich schreibt, ist sowieso frei.“

„Ein Schwung theatrale Deutschlandbetrachtung“

Thematisch geht es in „Werden sie uns mit FlixBus deportieren?“ um vieles, zusammenfassen können wir es wahrscheinlich als Auseinandersetzung mit dem Rechtsruck Deutschlands - auf sprachlicher, gesellschaftlicher und politischer Ebene. Hanau, Björn Höcke, der NSU-Komplex und die Silvesternacht in Köln, die Ermordung Walter Lübckes und der Vorschlag eines Bürgermeisters, Flüchtlinge doch einfach im KZ Buchenwald unterzubringen („Man schämt sich doch in Grund und Boden. Es gibt in Deutschland und Europa so viele vorzügliche und liebevoll erhaltene Konzentrationslager. Wir aber bringen die Flüchtlinge in heruntergekommene KZs unter“) – all das sind Anhaltspunkte für Kiyak, die deutsche Migrations- und Integrationspolitik in Frage zu stellen.

Sie schaut dabei von Bundesland zu Bundesland, von Talkshow zu Talkshow, wirft ihren Blick auf scheinbar Alltägliches und warnt davor, gewisse Entwicklungen zu normalisieren. Etwa wenn es darum geht, rechten Populismus zu legitimieren, da dieser ja nur die Ängste der „besorgten Bürger“ widerspiegeln würde. So schreibt sie über den Chemnitzer Trauermarsch, bei dem sich 2018 Anhänger des Pegida-Bündnisses, die AfD und Rechtsextreme die Straße teilten und der im Nachhinein von der sächsischen Regierung als „ökonomischer Hilferuf der ostdeutschen Bevölkerung“ interpretiert wurde:

„Wie man den Hitlergruß zu einer Forderung nach der Mietpreisbremse umdeuten kann, werde ich nie verstehen. Es sei denn, man deutet den gesamten Nationalsozialismus um. Wobei, wenn ich es recht bedenke, geschieht das bereits. Wie sagte Björn Höcke mal so schön: Hitler als das absolut Böse zu sehen, sei Denken in Kategorien von „Schwarz und Weiß“.

Dass diese rechten Tendenzen viele wachsame Augen benötigen, ist erst vergangene Woche wieder deutlich geworden. Da wurde in Berlin ein neuer Lagebericht zu Rechtsextremismus in den deutschen Sicherheitsbehörden vorgestellt - mit erschütterndem Ergebnis: Unter den Bediensteten der deutschen Sicherheitsbehörden fielen in den letzten drei Jahren 327 Mitarbeiter auf, die nachweislich Bezüge zum Rechtsextremismus oder zur Szene der Reichsbürger hatten und verfassungsfeindlich Einstellungen aufwiesen. Das ist zwar eine sehr kleine Minderheit, dafür aber eine sehr gefährliche.

„Infotainment mit einer Prise Amusement“

Der Zynismus und Sarkasmus, mit dem Mely Kiyak schreibt, lässt die Realität jedenfalls noch viel absurder wirken, als sie ohnehin schon ist. Ein Highlight des Buchs ist die Kolumne über das „deutsche Recht auf Schweinefleisch“. Dafür ist die schleswig-holsteinische CDU 2016 eingetreten: Kindergärten und Schulen sollten nicht auf Schweinefleisch verzichten müssen - zumindest nicht wegen einer „falsch verstandenen Rücksicht“ auf Minderheiten. Kiyak fragt daraufhin, was denn eine „richtig verstandene Rücksicht“ wäre ("Vielleicht zu tolerieren, dass Juden auch kein Schweinefleisch essen? Lautet die Devise in der Nord-CDU: Koscher, gut, Halal, schlecht?“), unternimmt dann einen kleinen Ausflug in die deutsche (Ess-)Tradition (sie sei in einer Gegend aufgewachsen, in der man auf „Volksfesten beim Schweinefleisch maßlos zulangt und sich parallel dazu maßlos betrinkt. Nach einer gewissen Überschreitung der Promillegrenze langen sich dann alle gegenseitig in den Schritt“) um dann zusammenzufassen:

„Macht das Schweineessen zur Leitkultur. Nehmt einen Absatz zum Schweinefleisch ins Grundgesetz auf. Schwört im Kieler Landtag nicht mehr auf die Bibel, sondern auf ein ordentliches Kotelett. Keine Ahnung, ob es sich um richtig oder falsch verstandene Rücksicht handelt, aber das ist wohl egal. Es geht ja doch immer nur darum, dass die Muslime gefälligst sehen sollen, wo der Schweinebraten hängt.“

Manchmal müssen wir bei Kiyak aber auch kurz stoppen und das Geschriebene verdauen. Etwa, wenn sie die deutsche Leitkultur durch Heinrich Himmler-Zitate beschreibt oder den muslimischen Exodus als Gedankenexperiment wagt, weil Islamfeindlichkeit eh schon längst gesellschaftlich akzeptiert ist. Mely Kiyak könne eben nicht mit der gleichen Güte über die ressentimentgeladene Mitte schreiben wie ihre deutschen Kollegen, sagt sie einmal in einem Interview. Und genau das macht ihre Texte so lesenswert.

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