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Arno Geiger

Zita Bereuter/FM4

Wortlaut

„Ich hatte ständig Ausreden“ - Ausreden mit Arno Geiger

Es gab eine Zeit, in der sich Arno Geiger dafür schämte, irgendwo zu sagen, dass er Schriftsteller werden möchte. Stattdessen hatte er schnell Ausreden zur Hand. 30 Jahre später gehört er zu den wichtigsten gegenwärtigen Schriftstellern im deutschsprachigen Raum.

von Zita Bereuter

Mit „Es geht uns gut“ gewann Arno Geiger 2005 den deutschen Buchpreis. Einer von vielen renommierten Preisen, mit denen er ausgezeichnet wurde. Acht Romane umfasst sein Werk bisher - etwa „Alles über Sally“, „Der alte König in seinem Exil“ oder zuletzt „Unter der Drachenwand“. Heuer ist Arno Geiger in der Jury von Wortlaut. „AUSREDEN“ ist das Thema des Wettbewerbs. Wie „AUSREDEN“ sein Leben und sein Werk beeinflussten.

„Als Kind war ich ein Meister der Ausreden.“

„Du findest schneller eine Ausrede als eine Maus ein Loch“, sagt sein Vater oft zu Arno Geiger. Der wiederum denkt sich gute Ausreden aus, wenn eine Fensterscheibe kaputt geschossen oder eine Hose zerrissen ist. „Ich glaube, dass meine Ausreden nicht das waren, was man billig nennt oder faul.“ Stattdessen hat eine gute Ausrede für ihn mehrere Komponenten: „Für gute Ausreden braucht man Einfühlungsvermögen in die Situation und eine gewisse Fantasie.“ Außerdem muss man eine Situation schnell einschätzen und sich gut ausdrücken können. Eigentlich beste Voraussetzungen für das Schreiben von Geschichten.

„Also durchaus war mir bewusst, dass Sprache Macht hat und dass Sprache auch verführerisch sein kann.“

Arno Geiger schreibt als Jugendlicher viel: Tagebuch, Gedichte und Liebesbriefe. In dem Zusammenhang erkennt er schnell, „dass Sprache Macht hat und dass Sprache auch verführerisch sein kann. Und dass sie mir als Person auch Ausdruck geben kann und im besten Fall sogar Aura.“

„Ich hätte mich selber niemals Schriftsteller genannt.“

„Ausreden mit Arno Geiger“

Am Montag, 30. Mai
von 21-22 Uhr
auf FM4 und im FM4 Player.

Er studiert Vergleichende Literaturwissenschaften. Und schreibt. Heimlich. „Ich hätte mich selber niemals Schriftsteller genannt, obwohl ich ja geschrieben habe. Aber das ist keine Eigenbezeichnung.“
Wird er nach seinem Schreiben gefragt, greift er lieber auf Ausreden zurück. Zu sehr schämt er sich, sein Schreiben zuzugeben. „Dann fragen die: ‚Was schreibst du? Hast du schon was veröffentlicht? Liest das irgendwer?‘ Was ich natürlich alles hätte verneinen müssen.“ Bevor also die Kollegen spotten können, erfindet er etwas. „Weil in diesem Wunsch, Schriftsteller zu werden, natürlich auch so ein bisschen ein Gestus drinnen ist: Der fühlt sich als was Besseres. Weil es ist ja eigentlich ein sehr mit Aura behafteter Beruf. Und darum habe ich das verschwiegen und da hatte ich viele willkommene Ausreden.“

Etwa, dass er stattdessen auch noch eine Ausbildung zum Drehbuchautor macht. Sein Geld verdient Arno Geiger als Bühnenarbeiter bei den Bregenzer Festspielen. Aber irgendwann ist ihm klar: „Mit dem Studium endet diese Übergangszeit. Also ich muss jetzt sozusagen Farbe bekennen. Und ich brauche jetzt etwas in die Hand, damit ich mich nicht ständig rechtfertigen muss.“

„Also ich war schon bereit, eher einen Preis zu bezahlen, als zunächst einmal Preise zu bekommen.“

Buchcover von Arno Geigers Büchern "Kleine Schule des Karussellfahrens", "Irrlichterloh", "Schöne Freunde " und "Selbstporträt mit Flusspferd"

Hanser Literaturverlage

Im Mittelpunkt dieser Romane: junge Menschen, mit einem unaufgeregten Leben auf der Suche nach dem Außergewöhnlichen.

1996 nimmt er am Wettlesen um den Bachmannpreis in Klagenfurt teil. Ein Jahr später veröffentlicht er seinen Debütroman „Kleine Schule des Karussellfahrens“. Und das gleich bei einem der renommiertesten deutschsprachigen Verlage - bei Carl Hanser. „Also, ich bin dann, überspitzt gesagt, als Schriftsteller aufgewacht. Also als legitimierter Schriftsteller, dass ich das zu meinen Eltern sagen konnte.“ Sein Debüt wird vor allem in den großen Zeitungen in der Schweiz und Deutschland gut besprochen. Für Arno Geiger geht damit ein großes Projekt zu Ende - gut sechs Jahre hat er daran geschrieben, hat den Roman wieder und wieder überarbeitet und an dem Text gefeilt. „So habe ich mir ein Gutteil des Handwerks beigebracht.“ Schreiben ist harte Arbeit.

„In so einer romantischen Vorstellung vom Künstlertum fallen Künstler und Künstlerinnen mit Talent vom Himmel und entweder man kann es oder man kann es nicht. Aber in der Realität ist es nicht so.“

Einige Jahre lebt und schreibt Arno Geiger auf 30 m2 mit Klo am Gang, „und das Leben auf 30 Quadratmetern verliert mit den Jahren seinen Reiz.“ Er schreibt zwei weitere Romane („Irrlichterloh“ und „Schöne Freunde“) und weiß, dass sein bisher geschriebenes „schwer zugänglich“ ist.

Wortlaut Logotype

Radio FM4

Arno Geiger ist heuer Juror bei Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb

Einsendeschluss ist der 6.6.2022

Er erhält ein Stipendium, kündigt bei den Festspielen und „setzt alles auf eine Karte“. Vor ihm liegt ein Projekt „mit unglaublichem Potential“, das später als „Es geht uns gut“ erscheinen wird. Es wird ein Befreiungsschlag. Diesmal legt Arno Geiger das Schreiben anders an. „In der Überzeugung, dass es eigentlich falsch ist, so schwere, so hohe Hürden aufzustellen, über die man drüber muss, damit man Zugang gewinnt zur Literatur. Und ich war mir sicher, dass es theoretisch möglich ist, ohne diese großen Hürden und ohne künstlerisch die geringsten Abstriche zu machen.“ Vier Jahre später soll er Recht behalten. Mit „Es geht uns gut“ gewinnt er den erstmals vergebenen Deutschen Buchpreis. Der Familienroman ist ein riesiger Erfolg. Er verkauft sich über 200.000 Mal. Über Monate hinweg gehen täglich mehr Exemplare dieses Romans über den Ladentisch als von dem vorherigen Buch „Schöne Freunde“ insgesamt verkauft wurden. „Das ist natürlich auch bizarr.“

Buchcover von Arno Geigers Büchern "Es geht uns gut", "Alles über Sally", "Unter der Drachenwand" und "Der alte König in seinem Exil"

Hanser Literaturverlage

Arno Geiger schreibt über das Leben. „Ausreden gehören ganz selbstverständlich zu unserem Alltag. Und es vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht mit Ausreden konfrontiert sind.“ Seine Protagonist*innen führen meist ein unaufgeregtes Leben.

„Das Extrem interessiert mich gar nicht.“
Vielmehr zieht es ihn zum Durchschnittlichen, zum Normalen. Das bietet ihm ein breites Spektrum. „Ich schreib halt lieber über das, was mir begegnet.“ Helden im klassischen Sinn sind sie nicht - „wie wir alle“. Helden sagen ihm zu wenig aus über Wert und Bedeutung unseres Alltags. „Wenn man das sucht, was man herkömmlicherweise ‚Action‘ nennt, dann sollte man besser etwas anderes lesen als meine Bücher.“

Nächstes Buch

Seine Stoffe findet Arno Geiger unterwegs. Auf der Straße. In Gesprächen. Auf Flohmärkten. Manches ist autobiographisch - wie das Buch über seinen Vater „Der alte König in seinem Exil“. Autobiographisch wird auch sein nächstes, im Frühjahr 2023 erscheinendes Buch. Es wird von ihm handeln. Eine Art „Portrait of the Artist as a Young Man“. Vieles aus diesem Gespräch (oder eher Artikel) wird darin vorkommen. Man darf gespannt sein.

„Leidenschaft und Zugewandtheit ist eine gute Grundlage für alles. Auch beim Schreiben.“

Buchcover von Arno Geigers Büchern "Der Hahnenschrei. Drei Reden", "Anna nicht vergessen" und "Grenzgehen"

Hanser Literaturverlage

Wortlaut

Heuer ist Arno Geiger Juror bei Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb.
Für ihn macht „Prägnanz“ eine gute Kurzgeschichte aus und sie beginnt „spontan“. Für seinen wichtigsten Rat an Jungautor*innen greift er zur Literaturgeschichte. „Tolstoi hat einmal gesagt: ‚Wer liebt, hat Talent‘. Also aus der Zuneigung zu etwas entsteht dann letztlich das Große.“

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