FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Union Jack Flaggen im Dorf Bridge in Kent

Robert Rotifer

ROBERT ROTIFER

Wenn über dem Palast der Himmel zittert

Warum dieses Land keineswegs so rasend monarchistisch ist, wie es beim Kameraschwenk über der Königin Nachbarschaft aussehen mag.

Eine Kolumne von Robert Rotifer

Es ist ruhig heute draußen, weil Feiertag. Und bevor ihr fragt, ich hab eigens nachgeschaut, und nein, in meiner Straße im gerade sonnigen Canterbury ist nichts von Party zu bemerken und kein einziger Union Jack zu sehen. Kein Wimpel, kein Fähnchen, kein Bild der Queen im Fenster, gar nix.

Union Jack Flaggen im Dorf Bridge in Kent

Robert Rotifer

Im nahegelegenen Dorf Bridge sind sie dagegen ganz flaggennärrisch geworden. Da muss schon eine tiefe Verunsicherung bestehen, irgendwo.

Robert Rotifer moderiert FM4 Heartbeat und lebt seit 1997 in Großbritannien, erst in London, dann in Canterbury, jetzt beides.

Die deutsche Kollegin, die mich gestern angemailt hat, meinte, „halb London scheint auf den Beinen zu sein“, und ich brauche gar nicht erst den Fernseher aufzudrehen, um mir vorzustellen, wie dieser Eindruck entstehen kann. Dazu kann man nur sagen: Natürlich hat der Hype dazu gereicht, die Straßen von Londons Zentrum mit Schaulustigen in Rot, Weiß und Blau zu füllen. Und man kann den Kameracrews auch nicht verübeln, wenn sie nicht die Oasen der Abwesenheit und Apathie dokumentieren, sondern dort filmen und knipsen, wo was los ist.

In Stonehenge zum Beispiel, wo die das dortige prähistorische Monument betreuende Organisation English Heritage Porträts der Königin aus allen Dekaden ihrer Herrschaft auf die Steine der vier bis fünf tausend Jahre alten Kultstätte projiziert hat. Auf die Frage, was damit vermittelt werden sollte, fallen einem keine nicht alarmierenden Antworten ein.

Heute, Donnerstag, also war wie gesagt der erste von vier freien Tagen, die dem britischen Volk für die Feier des 70. Thronjubiläums der Elizabeth von Windsor gegönnt wurden. Ein Tag, wo man im Radio ironiefrei Sätze wie „The British weather has risen to the moment“ und die geistlos gebellten militärischen Befehle bizarr bekleideter Bärenmützenträger hören konnte. Wer weiß, was bis Sonntag alles noch nachkommt.

Zu Mittag, während ich diese ersten paar Absätze hier schrieb, warf mich der BBC Royal Correspondent im Radio mit dem geradezu orgiastischem Gusto seiner Berichterstattung beinahe vom Sessel: „Die Königin ist heute schon zum zweiten Mal draußen auf dem Balkon, während über unseren Köpfen der Platinum Jubilee Flypast die Himmel erschüttert“, so der atemlos frei assoziierende Reporter, „sie sind, nachdem sie von Flugbasen im Süden Englands aufgebrochen waren, die Mall hinuntergedonnert, zuerst die Helikopter, die Wildcats, die Pumas und die Chinooks, danach folgt eine Erinnerung an den Krieg, der die Verpflichtung der Königin an ihren Dienst geschmiedet hat, mit Lancasters, Spitfires und Hurricanes, und die Himmel erzittern gerade vor Hubschraubern, die Königin ist in Taubenblau gekleidet, sie hat die beste Aussicht, alle anderen recken ihre Hälse, um diese Flugschau zu sehen (im Hintergrund hörbar hysterischer Jubel), manche der Flugzeuge, die über uns vorbeiziehen, Hercules und Atlas, waren letztes Jahr in die Evakuierung von Menschen aus Afghanistan involviert, sie können die AUFREGUNG in der Menge hören, aber als Nachhut kommen dann erst die Red Arrows mit roten, weißen und blauen Kondensstreifen, sie werden als Salut an die Königin die Himmel DURCHTRENNEN!“

Erstaunlich eigentlich der eingestreute Verweis des Hofberichterstatters auf den Abzug aus Afghanistan im Sommer 2021, der erst letzte Woche in einem offiziellen Reports des Unterhauses wörtlich und sehr zurecht als komplettes „Desaster“ verurteilt wurde. Alles dem Anlass zuliebe verdrängt.

Immer noch in Trance, schwärmte der Korrespondent weiter von den „britischen Grundwerten von Anstand und Stoizismus“, und wie beispielhaft diese von der 96-jährigen Königin verkörpert würden.

Von jener Königin nämlich, die noch vor wenigen Monaten stillschweigend mehrere Millionen Pfund in die Verteidigung ihres Sohnes Andrew gegen Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen bzw. in sein an die Hauptanklagende Virginia Giuffre gezahltes Schweigegeld investierte (während gleichzeitig Jobangebote im Buckingham Palace unterhalb des Mindestlohns ausgeschrieben wurden).

Am Ende der langen Geschichte ihrer stoischen Herrschaft, in der sie sich unter anderem vor einem halben Jahrhundert Ausnahmen für den königlichen Haushalt bei der Anwendung von Gesetzen gegen rassistische oder sexistische Diskriminierung sicherte.

So viele Meilensteine, an die wir uns hier in diesen vier Tagen erinnern könnten.

Oder (viel gesünder!) wir lassen die ganze Sause einfach elegant an uns vorüberziehen, unter generöser Einsparung aller aufgelegt halblustiger Kommentare zur für Samstag geplanten Palastgartenbeschallung mit einem völlig arbiträrem Line-Up von Diana Ross, Queen, Alicia Keys, Mabel, Elton John, Stefflon Don, bis... Andrew Lloyd Weber.

Ja, mit ein bisschen Überwindung könnten wir sogar die Großmut aufbringen, eine von der Nachlassverwaltung der Sex Pistols termingerecht arrangierte Edition von God-Save-The-Queen-Gedenkmünzen im Jamie-Reid-Design einfach zu ignorieren (es ist nicht einmal mehr traurig).

Cupcakes zum Jubilee in rot weiß und blau

Robert Rotifer

Die hab ich nicht gekauft, obwohl sie so verlockend aussahen.

Denn wie eingangs schon festgestellt: Dieses Land ist in Wahrheit ja bei weitem nicht so überzeugt monarchistisch, wie es euch beim Kameraschwenk über die unmittelbare Nachbarschaft der Königin erscheinen mag.

Im Gegenteil, laut einer Umfrage des Instituts Yougov halten nur 56 Prozent der Brit*innen eine Monarchie für „gut für Britannien“. Vor einem Jahrzehnt waren es noch 73 Prozent.

Unter den 18- bis 24-Jährigen dagegen - und da wird’s jetzt wirklich interessant - hat die Monarchie bereits ihre Mehrheitsfähigkeit verloren: Nur 33 Prozent der jungen Wahlberechtigten finden noch, dass das Vereinigte Königinnenreich ein solches bleiben sollte (31 Prozent hätten lieber ein gewähltes Staatsoberhaupt, der Rest weiß nicht so ganz).

Gleichzeitig stehen wir am Beginn des schwersten je statistisch verzeichneten Anstiegs an Lebenshaltungskosten, der Millionen Brit*innen in ernsthafte Armut zu stürzen droht. Und wir sprechen hier von Berufstätigen, die sich nicht mehr das Gas leisten können, um sich ihre gespendeten Baked Beans von der Food Bank zu wärmen.

Der Prunk eines königlichen Haushalts samt seinen vergoldeten Kutschen und zeremoniellem Gepränge ist bloß solange populär und eine Stütze des Systems, als die Untertanen sich damit identifizieren. Wenn diese Illusion des auf die Allgemeinheit reflektierten, symbolisch kollektiven Reichtums einmal kippt, könnte es glatt passieren, dass Elizabeth II., wenn schon nicht die letzte, dann vielleicht die vorletzte Monarchin des schrumpfenden Rest-Empires gewesen sein wird.

Einstweilen gehen die Ex-Kolonien den Weg voran. Barbados hat sich erst Ende letzten Jahres der Königin als Staatsoberhaupt entledigt, in Jamaica wurden William und Kate beim Staatsbesuch vor zwei Monaten mit der Forderung nach einem Schuldbekenntnis für die Verbrechen des Empire konfrontiert. Und die neue australische Regierung hat einen Minister for the Republic bestellt, der den Übergang zu einer neuen Staatsform vorbereiten soll.

Könnte also gut sein, dass das Platin-Tamtam, das wir hier gerade erleben, tatsächlich historisch sein wird. Bloß nicht auf die Art, die die Hofberichterstatter*innen meinen.

PS: Ich habe diese Kolumne geschrieben, bevor bekannt wurde, dass es der Queen nicht gut geht. Hoffe, es ist nichts Ernstes.

Aktuell: