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Placebo am Nova Rock 2022

Franz Reiterer

festivalradio

Der zweite Tag am Nova Rock 2022

Here comes the sun! Ohne oft gehörte Zitate und Acts kommt das Nova Rock auch 2022 nicht aus, und das passt schon so. Gedanken zum zweiten Festivalabend mit Auftritten von unter anderem Hinds, Maneskin oder Placebo.

Von Lisa Schneider

Man kann in Würde altern, oder gar nicht, so wie die Stimme von Brian Molko. Die Haare sind länger, der Schnauzer überhaupt erst da, sonst ist alles fast wie immer. Das ist so ein langweiliger Satz, dabei ist er ein Schatz hier am Nova Rock: Wer hier nicht herfährt, seine Lieblingsband der letzten 15-20 Jahre zu sehen, ist entweder zu jung dafür oder hat das Konzept nicht verstanden.

Placebo waren eine der jüngsten Line Up-Ergänzungen für die heurige Festivalausgabe, das passt sehr gut, weil Placebo gerade ihr erstes neues Album seit acht Jahren veröffentlicht haben. Und deshalb eh schon on the road sind. Es gibt weder ein großes Gekreische von Fan- noch von Presseseite, wenn Brian Molko und Stefan Olsdal einen neuen Langspieler rausbringen, dabei hätten sie es sich mit „Never Let Me Go“ tatsächlich verdient. Es ist nicht so schlecht wie erwartet. Das ist, zeitgemäß angepasst, Industrial-angehauchter Emopunk Marke lonelyhearts, Lieder für die nancy boys und girls, alle dressed in leather oder zumindest: friends indeed. Hier schreibt ein großer Fan. Im ledergepolsterten Mietauto mit Stefan Olsdal über’s Leben reden, der dann so Sätze sagt wie: „I think humans need to be together, We’re not sole animals, we like to be part of a group“, und nur nicken wollen, das stimmt alles, es ist endlich wieder gemeinsame Musik- also Festivalzeit.

Placebo am Nova Rock 2022

Franz Reiterer

„Never Let Me Go“ ist ein romantischer Titel, die Lieder sind es, mit Ausnahme von „Beautiful James“, eher weniger. Die Liebe ist bei Placebo ein ungemütlicher Ort, oder einer, der unerreichbar bleibt. Selbstzerstörung passiert da nebenbei, ein Muss fast, was will man der Welt schon entgegensetzen. Obendrauf lebt Brian Molko in seinen Liedern irgendwie immer ein ärgeres Leben als wir. Die Menschen schockiert heute aber nichts mehr, das Internet ist Schuld, vor gut bald drei Jahrzehnten war das noch ein bisschen anders. Brian Molkos Texte und Auftreten waren in den 90ern und auch danach ein Gegenentwurf zum höchst erfolgreichen, machoid angehauchten britischen Gitarrenindierock. Placebo haben zu diesem Zeitpunkt Musik für Menschen geschrieben, die es zwar hart, aber nie übertrieben arg mögen. Für die Nervenspitzen. Musik für die Außenseiter*innen, zu denen sich trendhaft die meisten heute gerne zählen. Nur war das auch so eine Sache, die vor zwei Jahrzehnten noch nicht so loud and proud hinausgerufen worden ist wie heute.

Die gestrige Setlist besteht bis zur Hälfte nur aus neuen Liedern, das Publikum ist geduldig. Es geht dann eh bald los. „Special K“ folgt auf „Slave To The Wage“, und spätestens da sind alle eingebunden. Wäre das Nova Rock ein Festival, das mehr Teenager besuchen würden, wären die beim Kate Bush-Cover von „Running Up That Hill“ in der ersten Reihe gestanden. Dank der Serie „Stranger Things“ ist der Song nach 37-jährigem Bestehen wieder zurück in den weltweiten Charts und hip weil TikTok.

Placebo sind also wieder da, genauso wie Korn, und die gibt’s ja sogar noch länger. Ihr aktuelles, nach fast dreißigjähriger Bandkarriere veröffentlichtes Album hat meine Kollegin Alex Augustin so schön als „halbstündige Seelenmesse“ bezeichnet. So darf man das Nova Rock auch verstehen: Hier ist alles pilgern und anbeten, aber nicht im religiösen Sinn, sondern in endlich wieder gelebter Fankultur. Und das durchaus (auch) auf intellektueller Ebene. „Our fans tend to be deep thinkers“, sagt Munky von Korn im FM4-Interview, „because of what Jonathan (Davis) sings about. You know, how many struggles he’s been through, as a kid, as an adult. People resonate with that - we all have problems - and it’s their moment to get away.“ Philosophisch sind sie auch, die Korn-Fans, zumindest werden sie so von den Festivalbesucher*innen beschrieben.

Man kann laut sein und trotzdem sensible Texte schreiben, so oder so ähnlich könnte die Definition von Nu-Metal lauten, als deren Pioniere Korn nach vorn geprescht sind. „The songs are so much heart and soul. If it’s real, it comes from a real place, it’s truly an expression of who you are. People are starting to understand that“, sagt Munky auch, man möchte hinzufügen, dass sie das hier am wohl schon längst getan haben. Packt eure hässlichen, verwaschenen, mit Aufnähern übersähten Jeans-Gilets aus, es ist wieder an der Zeit. Die Menschen sind hier für die Musik und alles, was sie ihnen sagen will.

Das weiß auch Peter Brugger, dem ich ebenfalls zu seiner scheinbar nie alternden Stimme gratulieren darf. Er freut sich. Er freut sich, dass seine Band Sportfreunde Stiller, „die sich fast verloren hätte“, zurück ist am Wohlfühl-Indierock-Parkett. Der Schulband-Charme kribbelt noch, dabei sind die drei Musiker mittlerweile alle fast in ihren 50ern angekommen.

Das dämpft den Druck, aber nicht die Erwartungen, außerdem hat man zumindest gelernt, wie der Festivalhase läuft. Die Setlist ist dementsprechend eine Hitlist. Und natürlich ist „Ein Kompliment“ dabei, das Lied, das im heurigen März seinen zwanzigsten Geburtstag gefeiert hat. „Dieser alte Sack! Oder alte Säckin!“, lacht Peter und ist gleichzeitig so stolz, als hätte ich ihm tatsächlich den Amadeus Austrian Music Award in der Kategorie „Live Act“ überreicht (die Sportfreunde haben für diese Kategorie heuer die Laudatio gehalten). Er ist selbst sauer, wenn er seine Lieblingsbands sieht, und die dann nur mit unbekannten Liedern ankommen. „Ich hab’ so einen Backflash, wenn wir diese alten Lieder spielen, und bekomme Erinnerungen daran, wo wir die schon überall gespielt haben. Und dafür bin ich einfach sehr, sehr dankbar.“ Eeeee-Ooh-Mitsingchöre, sie waren noch nie so scheußlich und liebevoll wie hier.

Es sind am Freitagabend am Nova Rock nicht nur die Urgesteine der Szene anwesend. Ab und an gelingt hier ein dem generellen Nostalgiespirit entgegenlaufendes, spannendes, und sehr elegantes Booking. Die Blue Stage eröffnet an diesem zweiten Tag die Londoner Band King Nun, die am Label Dirty Hit gezeichnet hat. Da sind auch Acts wie The 1975, beabadoobee oder The Japanese House daheim.

Leider interessiert die Menschen auch die Folgeshow der großartigen, spanischen Band Hinds nur so mittelmäßig, lasst es uns auf die Tageszeit schieben. Es ist früher Nachmittag, und dabei kommt bei letztgenanntem Set sogar endlich die Sonne heraus. Diese Lieder sind sehr viel lieblicher als alles, was uns sonst von dieser größten Bühne um die Ohren geschmissen wird. Könnte man ja mit nach Hause nehmen, auf die sommerliche Playlist packen, weil auch so läuft das ja im besten Fall auf Festivals: man geht auf verschiedensten Ebenen bereichert nach Hause. Die Band Hinds bringt es im Interview auf den Punkt: „Festivals were the best invention in human history.“

Maneskin würden wohl als einige wenige ergänzen: "... and Eurovision Song Contest was also quite nice of an idea." Was wir da beobachten dürfen, ist eine Shootingstarkarriere sondergleichen. Der Auftritt der römischen Band beim Finale der höchstverblödeten Castingshow „Germanys Next Topmodel“ war das einzig arge Lowlight in ihrer kurzen Karriere, sonst können sie offenbar gerade nur richtige Entscheidungen treffen. Maneskin spielen sich aktuell durch so ziemlich alle großen, europäischen Festivals.

Wer hätte gedacht, dass selbst angestaubte Genreausreißer wie Glamrock nochmal ein heißes Thema auf TikTok & Co werden. Wenn dann der Steg ins Publikum während der Show auch noch mit kreischenden Fans angefüllt wird („We’re gonna get sued for that“), explodiert die Euphorie. Ähnliches dann gleich bei Kraftklub im Anschluss, auch sie eine diesmal halt Chemnitzer Band for the people, bei der es vor allem um den großen gemeinsamen Spaß geht. Das Leben ist heute kein Arschloch, Friedensschüsse gehen durch die Luft, wir wollen nicht nach Berlin, sind ja schon in Nickelsdorf. Neben dir steht jemand, wirft seinen Becher auf den Boden und schreit: „Fuck oida, geil!“. Mehr ist eigentlich nicht zu sagen.

See ya in hell, morgen wieder, auf den Pannonia Fields.

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