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"Tao" von Yannic Han Biao Federer

Suhrkamp

„Tao“, ein auto-fiktiver Roman von Yannic Han Biao Federer

„Tao“ ist der zweite Roman des deutschen Autors Yannic Han Biao Federer. Alle nennen Tao eigentlich Tobi, kennen seinen echten, chinesischen Vornamen meist gar nicht. Tobi/Tao sucht nach seinen asiatischen Wurzeln - und beginnt dabei zu schreiben...

von Eva Umbauer

„Auf der mittleren Etage gibt es drei Elektronikmärkte, dazwischen einen Barbershop, in dem ein Friseur umhergeht, er hat Tattoos auf den Armen und Metallringe in den Ohrläppchen, an der Wand hängen ein Skateboard, eine Rohrzange, zwei Gitarren, das stilisierte Konterfei eines Native American mit Federschmuck, der in die Weite blickt, außerdem viele Union Jacks, sogar den Mülleimer ziert die britische Flagge.“

Tobi ist ein junger Typ in Deutschland. Alle nennen ihn Tobi, obwohl er eigentlich Tao heißt. Auch seine Freundin Miriam nennt ihn Tobi, nur wenn sie alleine sind, ist er Tao für sie. Selbst sein asiatischer Vater nannte ihn meist Tobi.

"Tao" von Yannic Han Biao Federer

Suhrkamp

„Tao“ von Yannic Han Biao Federer ist im Suhrkamp Verlag erschienen.

Tobis Vater ist verschwunden, in Hongkong. Auch seine Freundin Miriam hat keinen Vater mehr. Ob die beiden das besonders stark miteinander verbindet? Ihre Beziehung geht jedenfalls in die Brüche. Er schreibt mit seinem besten Freund Micha:

Ich schreibe: Miriam hat sich von mir getrennt
Micha schreibt: Fuck
Micha schreibt: Tobi, das tut mir leid
Micha schreibt: Wenn du jemanden zum Reden brauchst, ruf mich an
Ich schreibe: Sitze gerade im Bus. Idee für Bandname: The Crying in Public. Erstes Album: Trying not to
Micha schreibt: Haha

Tobi arbeitet an einer Universität. Nach der Trennung von seiner Freundin zieht er in eine trostlose Einzimmerwohnung. Wann immer es sich gerade ausgeht, dann schreibt er an einem Text, einer Geschichte über einen jungen deutschen Typen namens Alex. Dieser hat vieles mit Tobi gemeinsam: Auch er arbeitet an einer Uni, auch er wurde von seiner Freundin verlassen, und auch er verlor seinen Vater in Hongkong.

Tobi macht sich auf die Suche nach seinen chinesischen Wurzeln. Als Kind war sein Großvater aus Hongkong weggebracht worden und wurde von einer chinesischen Familie in Indonesien aufgezogen. Später emigrierte dann sein Sohn - Tobis Vater - nach Deutschland und gründete dort eine Familie.

„Das letzte Mal, dass ich in Bandung gewesen bin, ist lange her, ich war vielleicht fünf oder sechs Jahre alt, erinnere mich kaum, aber ich blätterte in den Fotoalben, die meine Mutter damals gewissenhaft angelegt hatte, ihre ordentliche Handschrift unter jedem Bild, Tobi müde nach dem Flug, Tobi isst jetzt auch Sambal, und so fort, irgendwann jedenfalls die Ruine der Fabrik, die abbrannte, als mein Vater Anfang zwanzig war.“

Im Roman „Tao“ gibt es also eine Geschichte innerhalb einer Geschichte, beides ist etwa zur Hälfte aufgeteilt. Tobi, Tao, Micha, Miriam, Alex, Miriam, Hetti,... Das mag manchmal etwas verwirrend sein, aber insgesamt liest sich „Tao“ von Yannic Han Biao Federer schwungvoll. Man ist immer mittendrin in der jeweiligen Situation, um die es gerade geht und wartet schon mit Spannung wie es weitergeht.

„Micha schickt mir einen Youtube-Link: ein wilder Drohnenflug über die Harcourt Road, stellenweise sieht man noch freie Straßenfläche, sonst überall Menschen. Kapuzenpullover, kurze Hosen, lange Hosen, manchmal einen Regenponcho aus transparentem Plastik, aber immer Rucksäcke und türkisfarbene Atemmasken, selten dagegen den Union Jack und kaum Transparente. Die Kamera manövriert knapp über eine Fußgängerbrücke, von der Regenschirme heruntersegeln, dann dreht sich das Objektiv, kreist über den Köpfen der Demonstrierenden.“

In „Tao“ geht es um die Gegenwart und die Vergangenheit und um die Erinnerung. Wem gehört sie? Es geht um Spurensuche entlang biografischer Brüche und historischer Verwerfungen, in der deutschen Provinz wie im zerrissenen Hongkong von heute. „Tao“ handelt von Identität und warum uns Herkunft so sehr beschäftigt.

Yannic Han Biao Federer

Heike Steinweg

Yannic Han Biao Federer

Auch Sex spart der Autor in „Tao“ nicht aus, was kein Fehler ist, so ungezwungen und nicht bemüht wie das bei ihm rüberkommt. Aber auch poetisch ist „Tao“, dieser clevere auto-fiktive Roman von Yannic Han Biao Federer.

„Als der Vater meines Vaters starb, sagte man ihm, sein Vater sitze nun hoch oben, auf der felsigen Kante des Mondes, sehe zu ihm herunter, wache über ihn, und wenn er einmal allein sei und verzweifelt, solle er nur warten, bis es dämmerte, bis der milchig leuchtende Stein über den Palmen und Stromleitungen stehe, dann könne er sicher sein, dass die väterlichen Augen auf ihm ruhten.“

„Woher kommst du eigentlich?“, wird auch Yannic Han Biao Federer immer wieder gefragt. Das kann schon einmal total ok sein, aber manchmal ist es nur nervig und, ja, es kann auch einfach nur diskriminierend sein.

Yannic Han Biao Federer - er studierte in Bonn, Florenz und Oxford Germanistik und Romanistik - lebt als freier Autor in Köln. Er schreibt Romane und Erzählungen, Essays und Rezensionen, etwa für den Deutschlandfunk, WDR oder SWR. Und schon sein Debütroman „Und alles wie aus Pappmaché“ (2019) erzählt von vier jungen Menschen bei ihrer Suche nach Zugehörigkeit, nach Orientierung in einer immer disparater und brüchiger werdenden Welt.

„Tao“ ist der zweite Roman von Yannic Han Biao Federer. Er ist Mitglied des PEN Berlin sowie des Jungen Kollegs in der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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