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Studie: Alltagsdoping nimmt zu

Der morgendliche Kaffee zum Wachwerden oder das Glas Wein am Abend zum runterkommen: Wir helfen alle im Alltag ein bisschen nach. Doch vermehrt greifen Menschen jetzt zu Medikamenten, um durch den Tag zu kommen. Eine Studie hat diese Entwicklung nun untersucht.

Von Diana Köhler

Eine Studie der Suchtklinik Anton-Proksch-Institut aus dem Jahr 2022 hat ergeben, dass immer mehr Menschen Substanzen einnehmen, um in ihrem Alltag besser zurecht zu kommen. „Alltagsdoping“ wird das genannt und ist kein neues Phänomen: Kaffee, Alkohol und Tabak gehören zu den beliebtesten „Dopingmitteln“ in Österreich. In der Studie ist jetzt auch besonders die Einnahme von Medikamenten untersucht worden. Mit alarmierenden Ergebnissen: Gerade junge Menschen unter 30 Jahren nehmen vermehrt Medikamente wie Schmerzmittel. Das ist neu. FM4 hat mit Oliver Scheibenbogen gesprochen, er ist Mitautor der Studie.

Diana Köhler: Warum wurde der der Fokus der Studie auf Doping im Alltag gelegt und was bedeutet das genau?

Oliver Scheibenbogen: Im Sport ist Doping etwas, das seit Langem bekannt ist. Aber was immer mehr Fuß fasst, ist Doping im normalen Alltag. Wir sehen das gerade in Zeiten der Corona-Krise. Aber natürlich werden auch die Leistungsanforderungen an den Menschen und das Individuum immer stärker.

Unsere Studie hat beispielsweise ergeben, dass viele sich in der Freizeit dopen, um auch im Beruf bestehen zu können.

Das heißt zum Beispiel bei Schlafstörungen Schlafmittel nehmen, um am nächsten Tag ausgeschlafen zu sein und genug Leistung in der Arbeit bringen zu können. Oder manche nehmen in der Früh ein Schmerzmittel, um bei Tätigkeiten, die den Bewegungsapparat fordern, trotzdem noch mithalten zu können. Solche Dinge sind mittlerweile ziemlich oft der Fall.

Welche Substanzen werden eingenommen, um die Leistung zu steigern?

Eine Leistungssteigerungsaktivierung haben zum Beispiel Substanzen wie Amphetamine oder Kokain aus dem illegalen Bereich. Aus dem legalen, verschreibungspflichtigen Bereich wäre das zum Beispiel auch so was wie Ritalin, Modafinil oder Ephedrin.

Oft wird die Aktivierung aber dann zu stark, dann werde ich nervös und unruhig. Dann greifen wieder viele zu Beruhigungsmitteln, dazu gehört auch Alkohol, um zu einem optimalen Leistungsniveau zurückzukehren. Das heißt, wir optimieren uns hier sowohl in die eine, als auch in die andere Richtung. Immer wieder. Und das ist vor allem bei den Personen der Fall, die das Gefühl haben, sie schaffen es aus eigener Kraft nicht, die optimale Leistung abzurufen.

Ab wann muss ich mir wirklich Sorgen machen? Wann ist Konsum von verschiedenen Substanzen kritisch zu betrachten?

Sucht beginnt immer bei der Exklusivität. Das heißt, wenn ich keine anderen Strategien mehr zur Verfügung habe, als mich mit bestimmten Substanzen in die Richtung zu bewegen, in die ich möchte. Dann wird es gefährlich. Und in eine Abhängigkeit komme ich dann, wenn ich eine Toleranz entwickle. Also zum Beispiel, ich kann nicht mehr mit nur einer Schlaftablette einschlafen, ich brauche vielleicht schon zwei davon.

Ein weiterer, kritischer Punkt ist erreicht, wenn negative Konsequenzen auftreten in Zusammenhang mit der Substanz. Das können körperliche, negative Auswirkungen sein. Aber auch im psychosozialen Bereich, wenn mein Konsum zu Problemen im Freundes- oder Familienkreis führt. Zum Beispiel, wenn mich Menschen schon konkret ansprechen, ich wäre seltsam oder immer müde, oder kann mich in sozialen Situationen nicht entsprechend verhalten.

Wenn ich an mir problematisches Verhalten bemerkte, was kann ich konkret tun? Also muss ich gleich in eine Klinik einchecken oder gibt es da auch andere Wege?

Ein erster Schritt ist immer, in eine Ambulanz, zum Beispiel bei uns vom Anton-Proksch-Institut in der Wiedner Hauptstraße, zu gehen. Dort gibt es ein Erstgespräch, die Stärke der Abhängigkeit wird geklärt, ein Therapieplan entwickelt und dann wird der umgesetzt. Das Problem ist natürlich, dass es für viele nicht leicht ist, ihre Sucht zu erkennen.

In der Studie wurde die Einnahme von Substanzen wie Koffein und Tabak genauso abgefragt wie Benzodiazepine und andere schwere Beruhigungsmittel. Ist ein exzessiver Konsum gleich eine Sucht? Und kommt es nicht auch auf die Substanz an?

Ja natürlich, es kommt stark auf die Substanz an. Der Begriff der Sucht wird auch schon viel zu inflationär benutzt.

Nicht alles, was ein exzessiver Konsum ist, ist gleichzeitig auch eine Sucht. Allerdings muss schon auch bei Koffein der starke Gewöhnungseffekt betont werden, außerdem sind da ebenfalls Entzugserscheinungen möglich. Die sind natürlich nicht so stark wie bei Beruhigungsmitteln, lösen noch keine epileptischen Anfälle aus und solche Dinge. Aber einige Menschen zeigen auch bei Kaffee schon starke Anzeichen einer gewissen Abhängigkeit. Wenn zum Beispiel jemand nervös wird, wenn er oder sie in der Früh nicht die Tasse Kaffee bekommt und gereizt und launisch ist.

Natürlich sind die negativen Konsequenzen dieser Abhängigkeit bei weitem nicht so groß wie bei anderen Substanzen, aber ein Gewöhnungseffekt ist da.

Das Anton-Proksch-Institut hat schon 2019, also vor der Pandemie, eine Studie zu Alltagsdoping durchgeführt. Welche sind die größten Unterschiede zwischen den Studienergebnissen von 2019 und 2022?

Wir haben bemerkt, dass vor allem Jugendlichen verstärkt angegeben haben, sowohl Schmerzmittel als auch Beruhigungsmittel häufiger zu konsumieren. Das hat uns insofern etwas überrascht, da Schmerzmittel vor allem von denjenigen eingesetzt werden, die chronische Schmerzen haben. Das sind in der Regel ältere Personen. Zusätzlich hat auch die Einnahme von Aufputschmitteln bei Unter-30-Jährigen zugenommen. Wir nehmen an, das kommt daher, dass diese Gruppe in der Pandemie psychisch besonders stark belastet ist.

Junge Menschen nehmen jetzt vermehrt Schmerzmittel ein, um sich zu entspannen, um psychische Probleme zu lindern. Das hat psychosomatische Gründe, Körper und Psyche sind letztlich auch immer eine Einheit und manche Menschen reagieren auf psychische Leiden verstärkt mit körperlichen.

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