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Glastonbury

APA/AFP/ANDY BUCHANAN

festivalradio

Mit Glow-In-The-Dark-Gummistiefeln am Glastonbury Festival

Cid Rim gibt sich die Camping-Experience am Glastonbury-Festival mit Zelt, Staub und Senkgruben, dazwischen die eigenen DJ Gigs. Weder kurz noch schmerzlos.

Von Cid Rim

Ich war noch nie ein großer Fan von Festivals. Bitte nicht falsch verstehen, als Artist natürlich schon, zum Spielen sind Outdoor-Gigs auf Festivals das Allerallerbeste! Ich meine jetzt in dem Fall als Gast: der Natur ausgeliefert, Hitze, Regen, Schlamm, Staub, Zelt, Gummistiefel, Senkgrube.

Bilder vom Glastonbury Festival

Cid Rim

Normalerweise würd’ ich es machen wie immer, kurz und schmerzlos. Mit dem Auto zur Bühne, Gig spielen, 2 Drinks nach der Show und direkt wieder heim. So geschehen 2015 mit dem Dorian Concept Trio auf der West Holt Stage beim Glastonbury Festival.

Leuchtgummistiefel

Cid Rim

Diesmal bin ich als Musical Director und Live DJ von Rapper/Schauspieler (und dem frisch gebackenen Oscar-Preisträger) Riz Ahmed für Sonntag Abend gebucht. Sein Management hat mir noch einen kleinen DJ-Gig in der Bar vom Autokino gecheckt, damit ein bissl mehr zusammenkommt. Der ist aber schon Freitags. Also gut, sage ich mir, springe über meinen Schatten, besorge mir neongrüne Glow-In-The-Dark-Gummistiefel von Asos (wenn schon denn schon), schnorr mir den Rest vom Camping-Equipment in London zusammen und fahre aufs Glastonbury.

Bilder vom Glastonbury Festival

Cid Rim

Die Dimensionen werden einem ziemlich schnell klar. Das werden ganz schön viele, ganz schön lange Fußmärsche dieses Wochenende, zusätzlich sind 200.000 Menschen leider zu viel fürs Handynetz, also WLAN suchen. Irgendwie muss ich ja meine ganzen Leute finden, die auch hier sind. Eins der Backstage Zelte, zu denen ich Zugang habe, hat WIFI, „but it’s quite temperamental!“, sagt man mir. Bedeutet praktisch unbrauchbar. OK egal, dann einfach mal los. Zuerst schaue ich bei Label-Kollegin Eclair Fifi vorbei, ein Getränk, kurze Stopps bei Dry Cleaning (gut!) und Idles (laut!) und dann muss ich eh schon rauf zu meinem DJ Gig.

Bilder vom Glastonbury Festival

Cid Rim

Autokino am Glastonbury-Festival

Gemütliche Sonnenuntergangsstimmung, ich spiele Jazz und Funk und alles, was mich gerade freut. Riz’ und sein Team kommen mich abholen, sie wollen zu Billie Eilish und haben ein Auto organisiert. Die Pyramid Stage wäre sonst von hier aus zu Fuß locker 45 Minuten entfernt gewesen.

Billie Eilish singt richtig gut, ihre Stimme klingt exakt wie auf der Platte, die Show ist minimalistisch - sie, ihr Bruder und ein Drummer - und funktioniert.

Bilder vom Glastonbury Festival

Cid Rim

Danach spült es mich über Umwege irgendwie in die Stonebridge Bar, wo die BBC DJ Legende Annie Mac Hits spielt. Das ganze Zelt singt mit, hat irgendwie was von Après Ski, nur auf schön, hier kann man bleiben. Überhaupt merkt man gleich, dass die Stimmung generell super und sehr freundlich ist. Die Leute kümmern sich um einander. Einzelne zu rauschige Individuen, die momentan hilflos oder verloren wirken, werden sofort von kleinen Grüppchen assimiliert und hilfsbereit wieder aufgepäppelt. So kenne ich es aus den Londoner Clubs, äußerst vorbildlich! Am Heimweg fällt ein Handy auf den Boden, der Besitzer flucht „Fuck“ und entschuldigt sich postwendend für seinen Kraftausdruck bei allen, die ihn gehört haben. Einfach richtig nett benehmen sich alle hier.

Bilder vom Glastonbury Festival

Cid Rim

Samstagmittag, eine durchaus ungemütliche erste Nacht im Zelt hinter mir, stapfe ich los zur Nahrungsaufnahme. Die will ausgiebig sein, denn alle Acts die ich am Festival sehen will, spielen heute und teils zur selben Zeit. Los geht es mit Black Midi. Womit wir auch schon bei einem meiner absoluten Festival-Highlights wären. Die Mischung aus Jazz, Rock, Impro, Punk und individueller Virtuosität ist live einfach unglaublich gut. Mein Handy läutet (sic!)! Mein Freund fragt mich, ob ich Yves Tumor sehen will. Wie praktisch, weil erstens ja und zweitens bin ich schon da.

Bilder vom Glastonbury Festival

Cid Rim

Wieder unglaublich. Für die letzten 15 Minuten der Show spielt sich alles im vorderen Publikumsbereich ab. Der Gitarrist spielt ein Solo beim Crowdsurfen. Yves Tumor räkelt sich an den Securitys, spuckt in die Kamera, die live auf die Leinwände neben der Bühne überträgt, und hüpft dann seinem Gitarristen ins Publikum nach. Großes Kino.

Danach will ich zu Squid, lasse mich aber zu Pa Salieu überreden. Kannte ich nicht, Top-Rapper, aber mir geht die Energie aus. Muss rauf, kurz schlafen, es ist erst 18.00 und es gibt noch viel zu sehen heute. Kurzer Nap und runter zu Caribou, eine halbe Stunde zu spät, aber wie ich ankomme spielt es gerade “Sun”, gleichzeitig geht hinter der Bühne die Sonne unter, da hat sich wer was überlegt. Magische Stimmung.

Bilder vom Glastonbury Festival

Cid Rim

Megan Thee Stallion

Danach rüber zu Megan Thee Stallion. Very entertaining. Während ihrer Show rappt sie eigentlich gar nicht so viel, ist eher ihre eigene Hypewoman, und hypt das Publikum und sich selbst hervorragend. Ich bin früh da, aber auch früh wieder weg, denn heute will ich unbedingt noch zur Arcadia Stage. Die Bühne ist eine Steampunk-artige, dreibeinige Riesenspinne auf einem runden Feld. In ihrem Korpus hängt eine 360° durchsichtige DJ Glaskugel. Die Beine der Spinne sind mit allem, was das Herz eines Pyro-, Laser- und Lichttechnikers begehrt, bestückt.

Bilder vom Glastonbury Festival

Cid Rim

Es geht los mit Kurupt FM, wahrscheinlich mein Lieblingskonzert von allen. Zwei Rapper und ein DJ spielen alles, was Londons Subkulturen der letzten 20 Jahre ausmacht: UK Garage, Grime, Jungle, Rap. Und alles mit Mega-Schmäh. Zusätzlich kraxeln sie immer wieder auf dieser irren Spinne herum. Absolutes Festival-Highlight. Danach spielt Fourtet, auch schön, und dann Calvin Harris. Ab dem Zeitpunkt kann man sich nicht mehr bewegen und ich ergreife, so gut es geht, die Flucht.

Am Sonntag gehe ich es ruhiger an, ich muss ja immerhin am Abend noch spielen. Ich schaue kurz bei Emma-Jean Thackray und Lianne La Havas vorbei, danach relaxen und rechargen im Backstage von unserer Lonely Hearts Club-Bühne. Jemand macht mit mir eine geführte Meditation und sagt mir, ich soll mehr Wasser trinken. Danach bin ich ready. Hinter der Bühne testen wir noch die selber mitgebrachten Bengalen, für die wir keine Genehmigung haben (Rock ’n’ Roll) und los geht’s.

Wieder Sonnenuntergangsstimmung. Super Konzert, alles funktioniert, niemand verbrennt sich und den Leuten taugt’s. Viele Umarmungen und Hi-Fives, schnell noch ein Getränk, dann alles in den Kofferraum vom Tourmanager und raus aus dem Festivalgelände. Wir brettern Vollgas an Stonehenge vorbei, um noch den schnellen Zug nach London zu erwischen. BBC 6 Music überträgt Pet Shop Boys und Bicep live vom Festival, wir erwischen den Zug punktgenau. In London erzähl’ ich dem Taxler am Weg heim, dass ich es jetzt doch bereue, direkt nach der Show schon abgehauen zu sein, dass ich doch noch gern die eine letzte Nacht geblieben wäre.

Bilder vom Glastonbury Festival

Cid Rim

Trotz Staub, trotz Zelt, trotz Senkgrube. So schlimm war’s gar nicht, ich hab die Gummistiefel nicht mal gebraucht.

„Man, to me that sounds like you’ll come back every year now!“

Vielleicht hat er recht.

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