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Abtreibungsaktivistinnen demonstrieren gegen die Entscheidung des US-Höchstgerichts mit Schildern und blutigen Händen auf ihren Bäuchen

APA/AFP/Jason Connolly

interview

Was das Aus für „Roe v. Wade“ für Folgen hat

Was viele schon lange befürchtet hatten, ist wirklich eingetreten: Es gibt kein landesweites Abtreibungsrecht in den USA mehr - das wurde vom Supreme Court, dem obersten Gerichtshof beschlossen - mit verheerenden Folgen für Frauen im ganzen Land. Rechtsphilosophin Elisabeth Holzleithner erläutert die Folgen dieses Urteils.

Von Diana Köhler

Roe/Wade sowie Planned Parenthood/Casey sind Namen von früheren gerichtlichen Präzedenzfällen, die Schwangerschaftsabbruch im ganzen Land erlaubt haben. Diese Entscheidungen sind jetzt vom mehrheitlich konservativen Supreme Court verworfen worden.

Elisabeth Holzleithner: „In den letzten Jahren und Jahrzehnten ist die konservative Seite in den Vereinigten Staaten immer stärker beeinflusst von reaktionären christlichen Kräften, um es jetzt mal so zu sagen. Und die hatten wirklich eine von langer Hand geplante Strategie, den Supreme Court so zu besetzen, dass es irgendwann eine Mehrheit geben wird, um diese Entscheidungen aufzuheben.“

Elisabeth Holzleithner ist Professorin für Rechtsphilosophie und Legal Gender Studies an der Universität Wien. Sie sagt: Gepusht wurde das von der zunehmend radikalisierten republikanischen Partei. Durch drei Neubesetzungen von Richterposten am Höchstgericht unter Donald Trump wurde eine Mehrheit dafür geschaffen. Ein Skandal, findet Elisabeth Holzleithner, auch wenn man die Lebenssituation vieler Menschen in den USA betrachtet.

„In den Vereinigten Staaten scheint es ja momentan so zu sein, dass der einzige Zeitraum, in dem sich diese sogenannte moralische Mehrheit für Leben interessiert, der Zeitraum von der Empfängnis bis zur Geburt ist. Danach ist alles vollkommen wurscht. Sozialgesetzgebung existiert in den Vereinigten Staaten nicht. Die Menschen werden komplett alleingelassen, was ihr Leben mit Kindern anbelangt. Was die Frage anbelangt, ob sich ein Leben mit einem Kind vereinbaren lässt, mit ihrem Beruf. Viele Menschen verdienen viel zu wenig. Soziale Erwägungen kommen überhaupt nicht vor. Über das reale Leben von betroffenen Frauen, über die Frage, was das für den Körper von Frauen bedeutet, die eine erzwungene Schwangerschaft durchleben müssen, darüber wird im gesamten Urteil kein Wort verloren. Das existierende Leben der betroffenen Frauen ist dem Urteil keine ernst gemeinte Silbe wert. Und das ist eigentlich der wahre Skandal.“

Sind jetzt die Reproduktionsrechte von Frauen weltweit in Gefahr?

„Was heißt das jetzt für Europa? Noch nicht sehr viel. Außer dass das, was in den Vereinigten Staaten passiert ist, schon auch passieren kann: Dass nämlich eine radikale, ethnonationalistische, illiberale Strömung es schafft, die Mehrheit zu erringen und dann der Bevölkerung ihre Vorstellung des angeblichen Gemeinwohls aufoktroyiert.“

Illiberale Strömungen gibt es auch in Europa, sagt Elisabeth Holzleithner.

„Denken wir an die AfD, denken wir an die FPÖ, denken wir an autokratische, populistische Bewegungen, die es in Spanien gibt, in Italien, in Polen, in Ungarn. Wenn die die Mehrheit bei Wahlen erringen und diese Mehrheit einigermaßen etabliert ist, dann kann sich einiges ändern. Und dann, glaube ich, wird es tatsächlich sehr eng für die Rechte von Frauen, für LGBTIQ-Personen, aber auch für alle anderen minorisierten Gruppen.“

Was wir aus den Entwicklungen lernen können: Nicht einfach die Hände in den Schoss legen.

„Wenn man irgendwas aus dem lernen will, was da jetzt momentan passiert ist: Erst einmal, dass man nichts für selbstverständlich nehmen kann. Kein Recht, das errungen ist, ist in Stein gemeißelt. Es kann jedes Recht wieder verlorengehen. Wenn sich die politischen Verhältnisse ändern, wenn sich die Zusammensetzung der Gesetzgebung ändert, wenn sich die Zusammensetzung von Verfassungsgerichten ändert, dann kann vieles, was wir für selbstverständlich, für errungen gehalten haben, mit einem Handstreich wieder weg sein. Das ist das eine. Und das andere ist: Wir dürfen die Hände nicht in den Schoß legen, sondern es heißt wirklich sich engagieren, die Ärmel hochkrempeln. Es ist ganz wichtig, dass man das nicht der anderen Seite überlässt.“

FM4 Auf Laut

Über „Roe v. Wade“ und das Ende des landesweiten Abtreibungsrechts in den USA diskutieren wir heute bei FM4 auf Laut.

Mit dabei sind Maya Sabatello, Professorin an der Columbia University New York, Jennifer Collins, Pro-Choice-Aktivistin aus Texas sowie Marianne Schulze, Juristin mit Schwerpunkt Menschenrechte.

Welche Fragen habt ihr dazu? Ruft uns an und diskutiert mit, heute, am 28.6. 2022 um 21:00 in FM4 Auf Laut. Die Nummer ins Studio: 0800 226 996

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