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Coming of (Cors)age

Das, was hätte sein können, triumphiert über das, was war: „Corsage“ von Marie Kreutzer ist ein umwerfend anachronistischer und geschichtsrevisionistischer Ritt. Vicky Krieps brilliert als Kaiserin Elisabeth schwankend zwischen Rebellion, Unzufriedenheit und Erschöpfung. Impressed by the empress!

Von Pia Reiser

Wie kürzlich bekannt wurde, wird Österreich „Corsage“ zum Auslandsoscar einreichen! Alle Infos dazu gibt es hier.

Is this real life or is this just fantasy fragen Queen in „Bohemian Rhapsody“ und der Geniestreich von „Corsage“, dem Film über die wohl berühmteste österreichische Monarchin ist, dass der kleine Queen-Fragenkatalog hier mit „Beides“ beantwortet werden kann. Allerspätestens wenn Vicky Krieps als Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn in Slow Motion, umringt von Hofdamen und Windhunden, eine Treppe hinaufsteigt und dabei kurz einen Blick direkt in die Kamera wirft, ist klar, das hier ist kein gewöhnliches Biopic, kein Film, der mit Beschlagwortungen wie Kostümfilm oder Historenfilm befriedigend beschrieben werden kann.

Marie Kreutzer war zu Gast im FM4 Filmpodcast und über „Corsage“ wurde auch in Episode 133 gesprochen - beide Episoden sind noch verfügbar, zB in der ORF Radiothek

Während die vierte Wand also kurz mit einem so durchdringenden wie rätselhaften Blick von Vicky Krieps durchbrochen wird, erklingt von Camille „She was“ und mit dem Anachronismus - aber nicht nur damit - baut „Corsage“-Regisseurin Marie Kreutzer Brücken ins Jetzt. Und keine vorschnellen Schlüsse ziehen: Trotz der Gemeinsamkeit „Pop in Film über Monarchin in einem vergangenen Jahrhundert“ hat „Corsage“ mit Sofia Coppolas „Marie Antoinette“ im Grunde nichts gemeinsam.

Wenn man einen passenden Schwesternfilm für „Corsage“ sucht, dann wäre es wohl eher Pablo Larrains „Spencer“, weil auch hier die Grenzen zwischen Fakt und Fantasie dauernd in Auflösung begriffen sind - auch die Frustration über höfische Etiketten und der Druck des Interesses der Öffentlichkeit am eigenen Gesicht und Gewicht teilen Prinzessin Diana und Kaiserin Elisabeth. Während in „Spencer“ das Gewicht von Lady Di notiert wird, so schreiben die Hofdamen von Elisabeh den Taillenumfang täglich in ein Buch und wenn Elisabeth nicht gefällt, was das Maßband anzeigt, dann bittet sie darum, dass man die Zofe Lotti hole, die holt beim Einschnüren mit dem Korsett noch ein paar Zentimeter mehr raus.

Szenenbild aus "Corsage"

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Kaiserin mit einem leopard skin pillbox hat. Hätten sich Marie Kreutzer und Kostümbildnerin Monika Buttinger an historische Fakten gehalten, würde es diesen großartigen Hut nicht in „Corsage“ geben. Es wäre ewig schad drum.

Die Frau, die zwar den Titel Kaiserin von Österreich-Ungarn trägt, hat quasi keinen politischen Einfluss, ihre Aufgabe ist die Repräsentation. Davon mehr als nur gelangweilt, konzentriert sich Elisabeth auf ihren Körper als Gebiet, das geformt, gestaltet, kontrolliert werden kann. Das Korsett ist hier nicht nur funktionierendes Symbol für eine Einschränkung, sondern auch ein Instrument, mit dem Elisabeth Macht ausübt.

„Corsage“ erzählt nicht die gefällige Mär vom goldenen Käfig, sondern macht sich auf die Suche nach der Frau, die in Österreich via „Sissi“-Trilogie und Souvenirs zwar omnipräsent ist, über die man aber dann doch so wenig weiß. So ist es auch Marie Kreutzer gegangen, als Vicky Krieps schon vor Jahren mit der Idee zu einem Film über Kaiserin Elisabeth zu ihr gekommen ist.

Zunächst nicht sonderlich angetan von der Idee, liest Marie Kreutzer dann doch Biografien und findet Aspekte, die sie interessieren, erzählt sie im Interview. Da ist einerseits ihr Eindruck, dass sie in all den Texten immer von einer anderen Frau die Rede ist, je nachdem, wer hier über sie schreibt und zu welchem Zeitpunkt - und dann ist da ein Aspekt, der - obwohl Elisabeth seit 124 Jahren tot ist - immer noch aktuell ist. „Ich hab in dem Material was gefunden, was universell ist. Nämlich, dass Frauen dazu erzogen werden - nicht unbedingt von den Eltern aber von der Gesellschaft - zu gefallen und vermittelt bekommen, sie müssen gefallen, um geliebt zu werden. Und Elisabeth glaubt, dass sie Liebe und Zuwendung nur bekommt, wenn sie diesem Bild entspricht, das Andere von ihr haben“, so Marie Kreutzer.

Szenenbild aus "Corsage"

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Restriktion und Fremdbestimmung definieren das Leben von Elisabeth, doch „Corsage“ inszeniert sie nicht als Opfer, das ist keine Leidensgeschichte (lange Zeit war das ja so, wenn mal eine Frau die Hauptfigur war, dann musste da recht viel gelitten werden). Wer sich Zitate von Kaiserin Elisabeth anschaut, der findet da aber schon auch Weltschmerz, wie ihn Morrissey in die Welt singen könnte: Das Leben ist eine schreckliche Unterbrechung des Nichts.

Die Todessehnsucht der Kaiserin ist ja schon via Musical in die Welt hinausgesungen worden, „Corsage“ ist da erwartungsgemäß dezenter und erzählt von einer Frau, die mit dem Gedanken spielt, zu verschwinden. In späteren Jahren ist Elisabeth nur mehr mit schwarzer Spitzenmaske über dem Gesicht in die Öffentlichkeit gegangen. Und: Was Billie Eilish kann, das konnte Elisabeth - die hier übrigens nie Sisi oder Sissi genannt wird, nur einmal Liesi - schon lange.

Die Elisabeth, wie Vicky Krieps sie zwischen Rebellion und Erschöpfung spielt, könnte nicht weiter weg sein von der rotbackigen Holloreduliö-Sisi, wie Romy Schneider sie in den 1950er Jahren verkörpert hat. Der Referenzpunkt der Ernst Marischka-Filme spielt aber für Marie Kreutzer ohnehin keine Rolle, auch, aber nicht nur, weil sie nicht mit diesen Filmen aufgewachsen ist. Dass man bei weiblichen Figuren immer noch darüber diskutieren muss, ob die Figur nahbar, liebenswürdig oder sympathisch genug ist, als dass man mit ihr durch den Film geht, das kennt Marie Kreutzer zur Genüge. „An Frauen hat man nicht nur abseits sondern auch auf der Leinwand viel höhere Ansprüche als an Männer. Da musste ich schon oft diskutieren, ob diese Figur noch sympathisch oder liebenswert genug ist, als dass man mit ihr durch einen Film geht.“

Männliche Hauptfiguren konnten bereits seit Beginn der Filmgeschichte größenwahnsinnig, ungustlig, unberechenbar und gewalttätig sein, sie wurden zu Ikonen und die Diskussion, ob Charles Foster Kane, Travis Bickle oder Arthur Fleck liebenswürdig genug sind, wurde bestimmt nie geführt.

Szenenbild aus "Corsage"

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Some girls are bigger than others

Der Joker war für Kreutzer und Vicky Krieps von Beginn an ein Referenzpunkt, nicht, weil sie die Welt brennen sehen will, aber, so Kreutzer „in dem mit sich sein und für die Welt unverständlich sein“.

Rastlos ist diese Kaiserin, selbst in der Badewanne liegt sie im Grunde nur, um auszutesten, wie lange sie unter Wasser bleiben kann. Sie reist, ficht, reitet, turnt an den Ringen in ihren Gemächern. Die wenigen Momente, wo sich sowas wie ein momenthaftes Glück einstellt sind die, wenn sie den nachspeiseversessenen Ludwig II (Manuel Rubey) besucht oder wenn sie ihre Hofdamen um sich schart. Hauptsache, wir hinterlassen ein hübsches Bild, sagt die Kaiserin, als sie auf ein Gemälde schaut, das ihr erstes Kind zeigt, das im Alter von zwei Jahren verstorben ist. So pausbäckig wie auf dem Bild sei Sophie nämlich gar nicht gewesen.

Elisabeth selbst will sich inzwischen gar nicht mehr malen lassen, richtet den Malern aus, dass sie doch auf bereits bestehende Bilder zurückgreifen sollen. Auf bereits bestehende Bilder greift Marie Kreutzer gar nicht zurück, sie entwirft hier eine moderne, ambivalente Figur, die durch Vicky Krieps Spiel auch von Mysteriosität umflirrt ist.

Die Basis ist eine historische Figur, was „Corsage“ so mitreißend und unwiderstehlich macht, ist aber das Vermengen von Tatsachen und Fikton. Manchmal erzählt man von dem was war, am besten, in dem man auch erzählt, was hätte sein können. Tarantino hat via Geschichtsrevisionismus der Schauspielerin Sharon Tate in „Once upon a time in Hollywood“ ein anderes Schicksal beschert. In der Fiktion, in der Fantasie, ermöglicht Marie Kreutzer einer historischen Figur hier einen Befreiungsschlag und das in einer der umwerfendsten Szenen, die sich seit langem auf der Leinwand ausgebreitet hat.

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