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Collage aus Teamaufstellungen der österreichischen Frauen-Nationalmannschaft

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interview

Taktik-Nerd Philipp Eitzinger über die ÖFB-Frauen vor der EM

Wohl kaum ein*e Fußballjournalist*in begleitet das ÖFB-Nationalteam der Frauen so lang und intensive wie Philipp Eitzinger vom Taktikblog ballverliebt.eu. Im FM4-Interview zeichnet Eitzinger die Entwicklung des Teams nach und gibt einen Ausblick auf die anstehende EM in England.

Von Simon Welebil

Der Linzer Taktik-Blogger Philipp Eitzinger von ballverliebt.eu verfolgt das ÖFB-Nationalteam der Frauen seit 2011 sehr intensiv. Weil es ihn einerseits gereizt hat, hier seine Expertise aufbauen zu können - im Gegensatz zum Männerfußball musste man zumindest damals fast alles selbst recherchieren -, andererseits, weil er das Team damals schon sehr sympathisch fand. Beides hat sich bis heute nicht geändert, weshalb er an dem Thema drangeblieben ist.

Im FM4-Interview blickt Philipp zurück auf die Europameisterschaft 2017, die das Frauen-Nationalteam ins mediale Rampenlicht und in die Herzen der österreichischen Fußballfans gebracht hat, beschreibt, was die Mannschaft aktuell auszeichnet und wagt einen Ausblick auf die Europameisterschaft, die Österreich gegen Gastgeber England am 6. Juli 2022 im Old Trafford-Stadion in Manchester eröffnen wird.

Philipp Eitzinger im Stadion mit Presse-Akkreditierung

Mirko Kappes

Philipp Eitzingers Bestandsaufnahme des österreichischen Frauen-Fußballs gibt’s auf ballverliebt.eu.

Das komplette Interview mit Philipp Enzinger gibt’s im FM4 Interview-Podcast.

Simon Welebil: Für eine breitere Öffentlichkeit ist das Frauen-Nationalteam erst mit der letzten EM 2017 ein Thema geworden. Nicht nur, dass es das erste Großereignis gewesen ist, für das sich die Mannschaft unter Coach Dominik Thalhammer damals überhaupt qualifiziert hat, sie ist auch bis ins Semifinale vorgedrungen, mit einer Spielweise, die wohl speziell für dich als Taktik-Blogger interessant gewesen ist, oder?

Philipp Eitzinger: Ja, das ist tatsächlich so. Es war auch im Vorfeld immer schon so, dass der Clou bei Dominik Thalhammer der war, dass sie drei, vier verschiedene Spielweisen intus gehabt haben, mit demselben Personal, unter dem sie auch im Spiel immer wieder herumswitchen haben können. Sie haben mit wildestem Furor ein Angriffspressing spielen können, mit dem sie die Gegner einfach völlig überfahren haben. Sie haben aber genauso tief im Block verteidigen können, extrem diszipliniert und den Gegnerinnen einfach überhaupt keine Abschlusspositionen erlauben. Das war das Markenzeichen von Dominik Thalhammer, diese extreme Vielseitigkeit und - gerade in der Spätphase dann, also in den paar Jahren nach der Europameisterschaft 2017 -, dass die Varianten immer ausgeklügelter und immer gefinkelter und immer komplizierter geworden sind.

Der sportliche Erfolg hat sich danach nicht zum Selbstläufer entwickelt. Die WM Qualifikation danach ist nicht geschafft worden. Waren die Erwartungen an das Team nach dem dritten Platz damals zu hoch?

Von außen kann das möglicherweise so wirken. Realistisch ist Österreich in Europa ein gutes Team aus der zweiten Reihe. Wir reden hier ungefähr von Platz 10-12, 10-14. Bei der Weltmeisterschaft 2019 konnten sich nur acht europäische Teams überhaupt qualifizieren. Also da ist der Cut-Off schon ein ganz anderer als bei einer Europameisterschaft, die 16 Teilnehmer hat. Es ist realistisch, dass sich Österreich in diesem Bereich, so Platz 10 bis 14 in Europa, etabliert. Dort stehen sie jetzt auch seit einigen Jahren, so seit 2015/16/17. Das muss jetzt auch mittelfristig das Ziel sein, dass man dieses Standing hält. Vor allem vor dem Hintergrund, dass jetzt schön langsam ein Generationswechsel passiert. Die Stützen, die 2017 dabei waren, sind auch jetzt noch dabei. Aber die sind alle schon Ende 20, Anfang 30. Wenn Sie sich für die WM 2023 qualifizieren, werden sie die sicher noch machen. Aber mittel- und langfristig wird jetzt ein Generationenwechsel kommen. Und wenn man es schafft, sich auch mit der neuen Generation in diesem Bereich zu etablieren, dann ist wahrscheinlich schon ziemlich das Maximum aus dem herausgeholt, was in Österreich im internationalen Vergleich im Frauenfußball herauszuholen ist.

Irene Fuhrmann am Trainingsplatz

APA/GEORG HOCHMUTH

Nationalteamcoach Irene Fuhrmann

Vor zwei Jahren gab es dann den Teamchefwechsel von Dominik Thalhammer zu Irene Fuhrmann. Was zeichnet denn Irene Fuhrmann aus?

Irene Fuhrmann setzt etwas andere Prioritäten als Dominik Thalhammer. Die Experimente, die es unter Thalhammer gegeben hat, und dieses Credo, dass in jedem Lehrgang etwas Neues eingeübt wird, etwas Neues dazugebracht wird, das ist bei Irene Fuhrmann nicht ganz so. Aus zweierlei Gründen: Zum einen, hat sie mitten in der Pandemie übernommen und hatte damit dramatisch eingeschränkte Möglichkeiten mit dem Team zu trainieren. Sie hat eigentlich nie die komplette Truppe beisammen gehabt. Selbst wenn man da etwas Neues einbringen wollte, man hätte einfach nicht die Zeit gehabt. Und Punkt zwei ist eben die Sache mit dem Generationenwechsel. In den späten Jahren von Dominik Thalhammer war es für junge Spielerinnen fast unmöglich, in die Gruppe reinzustoßen, weil das inhaltlich-taktische Konzept schon dermaßen ausgefinkelt, auf sich aufbauend und komplex war, dass es da ganz, ganz schwierig war, nachrückende Talente ins Team einzubauen. Das hat Irene Fuhrmann jetzt gemacht.

Irene Fuhrmann setzt noch etwas andere Prioritäten, was die Spielertypen angeht, die sie einsetzt. Ihr ist es im Zweifel wichtiger, dass eine Spielerin Durchsetzungsvermögen hat, den Willen und auch einen gewissen langen Atem hat. Sie hat mir mal gesagt, es sind einfach oft nicht die reinen, großen Talente, die sich durchsetzen, wenn sie in die deutsche Bundesliga oder in andere ausländische Ligen gehen, sondern die, die das Durchhaltevermögen haben und sich durchbeißen können. Sie hat damals das Wort Mentalitätsmonster verwendet. Es gibt auch die eine oder andere Spielerin, auf die Irene Fuhrmann setzt, die unter Dominik Thalhammer nicht so zum Zug gekommen ist. Da merkt man schon, dass bei Irene Fuhrmann andere Prioritäten gesetzt werden. Gleich geblieben ist, dass die Mannschaft sich am wohlsten fühlt, wenn sie aktiv nach vorne gehen kann, wenn sie ein Angriffspressing spielen kann, wenn sie im gegnerischen Drittel die Bälle erobern kann oder es zumindest im eigenen Angriffsdrittel schaffen kann, dass sie die Gegnerinnen hinten festnagelt und keinen geregelten Spielaufbau zulässt.

Das heißt, wenn man das herunterbricht: Die Spielanlage ist ähnlich geblieben, die Variabilität hat ein bisschen abgenommen?

Darauf kann man es subsummieren. Die Spielanlage ist tatsächlich sehr ähnlich. Sie können auch immer noch tief im Block verteidigen. Aber das Naturell des Teams ist schon - zumindest bei Teams, die einigermaßen auf Augenhöhe sind - die eigene Aktivität, der eigene Spielaufbau, die eigene Aggressivität. Das ist, was diese Mannschaft auszeichnet, womit sie sich am wohlsten fühlt und wo sie ihre Stärken hat.

Spielerinnen des ÖFB-Frauen-Nationalteams beim Trainingslager

APA/GEORG HOCHMUTH

Was für ein Österreich erwartet uns jetzt bei der EM? Wie würdest du sie charakterisieren?

Es werden drei recht unterschiedliche Spiele sein. Das erste Spiel ist natürlich das große Thema: Eröffnungsspiel gegen England - Gastgeber, Turnierfavorit, 74.000 im Old Trafford von Manchester. Ich glaube, dass die Herangehensweise sein wird, dass man einfach versucht, diese 74.000 Zuschauer ein bisschen aus dem Spiel zu nehmen. Dass man versucht, dass die unruhig werden und dass damit auch die englische Mannschaft unruhig wird...

Das heißt, das erste Spiel wird sehr defensiv sein?

Davon gehe ich aus. So war auch das Spiel in der WM-Qualifikation, das sie in England gehabt haben, angelegt. Und es ist auch tatsächlich in dem Spiel so, dass England einfach liefern muss. Die haben die Erwartungshaltung, die haben den öffentlichen Druck, die müssen in Wahrheit gleich mal mit einem Knall anfangen. Und da wird Österreich sicher versuchen, denen nicht ins offene Messer zu laufen. Wenn sie das halbwegs überstehen, dann ist schon mal einiges erreicht. Also blöd wäre, wenn sie da gleich mal in ein Debakel laufen würden. Kann natürlich auch passieren.

Aber das wirklich wichtige Spiel ist das zweite, das Spiel gegen Nordirland in Southampton. Das ist das eine Spiel, das sie gewinnen müssen, wenn sie ihr Minimalziel erreichen wollen. England ist ist personell klar über Österreich zu stellen, Norwegen im letzten Gruppenspiel tendenziell auch. Aber Nordirland ist die Mannschaft, wo Österreich tatsächlich klar überlegen sein sollte.

Wir haben jetzt zweimal gegen Nordirland gespielt in der WM-Qualifikation, haben einmal souverän gewonnen, einmal mit einem blöden Spielverlauf ein 2:2 gerettet, obwohl sie da auch die bessere Mannschaft waren. Und wenn es gelingt, dass man dann gegen Nordirland die eigenen PS mehr auf den Boden bringt, als Nordirland das schafft, dann hat man das Minimalziel erreicht, dass man in das dritte Spiel gegen Norwegen geht, mit der Möglichkeit geht, mit einem Sieg aus eigener Kraft ins Viertelfinale einzuziehen. Das wird auch beim ÖFB so formuliert: Das Ziel ist, dass man mit einer Chance aufs Viertelfinale in das Norwegen-Spiel geht. Auch Irene Fuhrmann sagt: Wir haben noch nie gegen Norwegen gewonnen, aber in einem Spiel kann immer alles passieren.

Public Viewing im FM4 EM-Quartier

Am Mittwoch öffnet auch das FM4 EM-Quartier in der Wiener Ottakringer Brauerei seine Pforten. Vom 6. bis zum 31. Juli zeigen wir alle Spiele der Europameisterschaft der Frauen live und in HD und in gewohnt entspannter Atmosphäre. Hie rgibt’s alle Infos zum FM4 EM-Quartier.

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