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Cover von "Schlachtensee" von Helene Hegemann

FM4/Zita Bereuter

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Helene Hegemann schreibt Schlachtensee „maximal scharf“

In „Schlachtensee“ erzählt Helene Hegemann in 15 Episoden wuchtig, gewaltig und fast immer am Anschlag. Ob in Schwarzach, St. Veit, Russland oder den USA. Das ist gut. Es ist aber auch gut, wenn man das Buch wieder weglegen kann. Denn es tut weh. Und genau das ist seine Qualität.

Von Zita Bereuter

„It doesn’t hurt me
Do you want to feel how it feels?“
fragt Kate Bush in „Running up that Hill“.
Ob sie mit dem Text des Songs vertraut sei, lässt Helene Hegemann die Figur Indigo in der letzten Geschichte ihre Freundin bzw. Sexpartnerin Ketti fragen. Eine Geschichte, die bereits gedruckt war, bevor der Hype um den Achtziger-Jahre-Song dank der Serie „Stranger Things“ im Juni dieses Jahres losging und bevor er in den Charts mehrerer Länder war.

Kate Bush bittet in dem Song Gott darum, „einen Tag lang ein Mann sein zu können. (...) um zu wissen, wie sich ein Männerkörper anfühlt, wie ein Männerkörper eine Straße entlang- oder einen Hügel hinaufrennt.
Hätte sie einen Wunsch frei, sagt Ketti, also nach Weltfrieden und Gesundheit und den ganzen anderen ermüdenden Basics, wäre es, einmal als Mann mit einer Frau zu schlafen.“

„It doesn’t hurt me
Do you want to feel how it feels?“ kann als Überthema dieser 15 Erzählungen verstanden werden. Die 30-jährige Helene Hegemann scheint dem Zeitgeist ein paar Schritte voraus zu sein, denn „stranger things“ ereignen sich einige. Aber der Reihe nach.

Als 17-jährige debütierte Helene Hegemann mit „Axolotl Roadkill“, der 2010 große Diskussionen ausgelöst hat, ob und was davon abgeschrieben bzw. plagiiert wurde. Der Roman wurde in 20 Sprachen übersetzt und erfolgreich verfilmt. Es folgten die Romane „Jage zwei Tiger“ (2013) und „Bungalow“ (2018) und 2021 die Bände über Patti Smith und Christoph Schlingensief in der KiWi Musikbibliothek. Daneben hat Hegemann für Oper, Theater und Film inszeniert.

„Schwarzach, St. Veit“ ist jetzt nicht gerade der literarische Hotspot. Glaubt man der Erzählung von Helene Hegemann mit dem gleichnamigen Titel, dann passiert dort auch sonst nicht allzu viel. Obwohl: „Sollten Sie am Weihnachtsmorgen in den Zentralalpen unterwegs gewesen sein und dort beobachtet haben, wie eine Person mit Alukoffer auf irgendeinem Bahnhofsvorplatz zusammengebrochen ist, Seitenscheitel, akkurate Kleidung: Das war meine Schwester. Es geht ihr inzwischen besser.“

Der Bruder erzählt von der erfolgreichen Schwester, Model und KI-Spezialistin, die zu Weihnachten äußerst mühevoll versucht, zur Familie nach Hallein zu gelangen. Aber die nicht zu knapp konsumierten Drogen machen müde, und das wiederum erschwert das Aussteigen aus dem Zug in Schwarzach, St. Veit. Überhaupt ist die Schwester angeschlagen – sie hat sich in Russland ein eitriges Auge geholt. Eine Geschlechtskrankheit, wie man in der vorherigen Erzählung erfahren konnte.
Spätestens dann ist klar, dass die Figuren irgendwie zusammenhängen, wenngleich die Erzählperson und folglich die Perspektive wechselt.

In Russland hatte die Schwester beruflich mit einem Oligarchen zu tun: ein tatkräftig Wirkender, der von Politikern gut subventioniert wird. „Das war wirklich sein größtes Talent. So zu tun, als hätte er etwas Bedeutendes vor. Hätte er eine Massenvergewaltigung vorgehabt, hätten sie ihm womöglich auch die finanziert. Die mochten den Gestus. Dieses Strahlen einer leicht korrupten Führungspersönlichkeit, deutsche Spießer fanden das sexy.“

Den Oligarchen hat sie längst durchschaut und führt eine komplizierte und sadistische Beziehung mit ihm. Und spannt ihm die Frauen aus.

„Sie war Ende dreißig. Sie sah aus, als hätten Hannah Arendt und ein Gangsterboss ein geschlechterverwirrtes Kind gezeugt, Mischung aus David Bowie und irgendeiner französischen kriminellen Elfe. Elfe ist falsch. Eher sexy Babytiger, der in seiner Freizeit gerne kickboxte – maximal scharf.“

Maximal scharf und gelungen ist der Ton dieser Erzählungen, die Helene Hegemann in Österreich, aber auch in Deutschland, Russland und den USA spielen lässt. Am Strand, im Schnee, am Fluss. Da treffen sich die Wohlstandsverwahrlosten mit den Neureichen, die Verlorenen mit den Verletzten, die Gelangweilten mit den Langweilenden. Wie nebenbei führt Helene Hegemann Doppelmoral vor, mischt Pop- mit Hochkultur und gesellschaftspolitischen Diskursen.
Etwa bei dem Paar in South Carolina, das sich beim Essen von Gänsestopfleber über seinen Nachbarn aufregt, hat dieser doch mit dem Golfschläger einen Pfau erschlagen.

"Man darf Gänsestopfleber essen und sich gleichzeitig über den Mord an einem Pfau echauffieren, das schließt sich nicht zwingend aus.

Cover von "Schlachtensee" von Helene Hegemann

FM4/Zita Bereuter

Helene Hegemann: „Schlachtensee. Stories“ ist erschienen bei Kiepenheuer und Wietsch 2022. Besonders nett - die kleinen blauen Häkchen, die sich auf dem Schutzumschlag und auch auf dem Buchcover befinden. Gelesen.

„Sie hält es nicht mal für einen allzu großen Widerspruch, sich in einem Maserati sitzend über soziale Ungerechtigkeit zu beschweren. Das geht schon irgendwie. Das muss drin sein. Es ist fragwürdig, wenn jemand mit strassbesetzter Schirmmütze auf dem Golfplatz behauptet, er wäre linksradikal.“

Helene Hegemann erzählt ebenso wuchtig und direkt wie schonungslos von Macht, Gewalt und Sex. Von Abhängigkeiten, Beziehungen und versuchten Befreiungen. Und immer wieder von Schmerzen und vom Sterben.

In diesem Meer bzw. See von Schlachten schafft sie verwirrende Bilder und einprägsame Metaphern. Und ist großzügig mit bissigem Humor.
„Ihn beschleicht die Vermutung, dass man an diesem Ort die Tür zum Klo nicht abschließen kann. Diese Korrelation ist ihm schon häufig aufgefallen. In Haushalten, in denen Gäste ihre Schuhe ausziehen müssen, gibt es selten ein Schloss an der Badezimmertür.“

„In Haushalten, in denen Gäste ihre Schuhe ausziehen müssen, gibt es selten ein Schloss an der Badezimmertür.“

Manchmal möchte man lachen. Manchmal möchte man das Buch weglegen, ist die Radikalität schwer auszuhalten. Genau das macht diese Texte so eigen und stark. Der Erzählsound wirkt authentisch und rotzig. Mit diesem unbedingten Erzähldrang, dem Furor und dem scharfen Humor zerstört Helene Hegemann den Sessel des weißen alten Mannes. „Schlachtensee“ ist originär und originell und so zeitgeistig, dass man die Schmerzen ertragen muss:
„It doesn’t hurt me
Do you want to feel how it feels?“

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