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APA/ROBERT JAEGER

interview

„100 Prozent erneuerbare Elektrizität ist der Schlüssel“

Die ganze Welt nur mit erneuerbaren Energien versorgen - geht das? Ist das nicht viel zu teuer? Darum sorgen sich viele, die die Maßnahmen gegen den Klimawandel kritisch sehen. Jetzt gibt es zu dem Thema eine Studie von Wissenschaftler:innen von 15 Universitäten aus der ganzen Welt.

Die Studie ist eine sogenannte Metastudie, das heißt, die Forscher:innen haben sich hunderte Studien aus der ganzen Welt zum Thema angeschaut. Und die Wissenschaft ist sich weitgehend einig: Ja, man kann die ganze Welt nur mit Erneuerbaren versorgen, das geht auch bis spätestens 2050, und das ist nicht nur billiger als unsere derzeitige Energieversorgung, sondern auch stabiler. Rainer Springenschmid hat mit dem Leiter der Metastudie, Professor Christian Breyer von der TU in Lappeenranta in Finnland, gesprochen.

Radio FM4: Was ist denn die wichtigste Erkenntnis dieser Metastudie?

Christian Breyer: 100 Prozent erneuerbare Energiesysteme sind technisch stabil machbar, kosteneffizient und nachhaltig. Diese Erkenntnisse werden zunehmend wissenschaftliche Allgemeinerkenntnis. Hunderte von wissenschaftlichen Veröffentlichungen dokumentieren dies.
Die aktuelle massive Energiekrise in Europa ist vor allem auch das Ergebnis eines politischen Systemversagens der vergangenen 10 bis 20 Jahre. Frühe wissenschaftliche Arbeiten wurden in politischen Entscheidungsprozessen nur minimal berücksichtigt. Was aktuell unter höchstem politischen Druck in den nächsten fünf bis zehn Jahren oder bis 2030 realisiert werden soll, das könnten wir heute alles schon haben, hätte man die vergangenen Jahre genutzt, wie auch viele regelmäßig, insbesondere aus der Zivilgesellschaft, angemahnt haben.

Radio FM4: Manche wird es überraschen, dass die erneuerbaren Energien auch kostengünstiger sein können.

Christian Breyer: Das ist nur auf den ersten Blick überraschend. Es sind letztlich Technologiekosten. Photovoltaik, Windkraft, Batteriensysteme: Das sind ganz normale technische Produkte, die mit einer industriellen Massenfertigung skalieren. Entsprechend sinken die Produktionskosten. Wir kennen das auch von der Konsumelektronik. Oder, ein aktuelles Beispiel: Mit Batterie elektrisch betriebene Fahrzeuge waren Luxusgüter vor fünf bis zehn Jahren. Heute ist es quasi das Standardfahrzeug, wenn es um Neukäufe geht.

Radio FM4: Was kann man Menschen sagen, die befürchten, dass das Licht ausgeht, wenn wir nur noch auf erneuerbare Energien setzen, wenn es windstill ist und der Himmel bedeckt. Wie stabil wäre denn eine Versorgung, die zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien besteht?

Christian Breyer: Solch ein Energiesystem ist wahrscheinlich deutlich stabiler als das heutige. Insbesondere, wenn es um politische Krisen, Wetterextreme und andere Vorkommnisse geht.
Bestes Beispiel sind die aktuell extrem hohen Elektrizitätspreise in Europa. Das hat vor allem damit zu tun, dass wir einen Hitzesommer haben und dass dadurch das Kühlwasser in den Flüssen knapp wird, weil entweder deutlich weniger Wasser in den Flüssen ist oder das inzwischen so stark erhitzt ist, dass die Flüsse kurz vor dem ökologischen Kollabieren sind, wenn sie noch weiter erhitzt werden durch das Kühlen von Kraftwerken. Dann kommen noch permanente technische Probleme dazu. Also ganz aktuell ist die Hälfte der sehr großen französischen Kernkraftwerksflotte aus diesen Gründen schlicht nicht in Betrieb.
Sie sehen den Krieg Russlands in der Ukraine, der zu extremsten Verwerfungen führt. Solche Probleme können wir uns vom Hals halten.
Was die Wetterschwankungen betrifft, da ist es ganz wichtig, dass in der Forschung immer in Ein-Stunden-Auflösung solche Modellierungen gemacht werden, und zwar mit echten Wetterdaten, historischen Wetterdaten, auch mit Energiebedarfsdaten. Der entscheidende Punkt ist, dass sich die unterschiedlichen erneuerbaren Energien gegenseitig ergänzen. Haben wir sehr viel Sonne, haben wir im Regelfall weniger Wind, haben wir sehr viel Wind, haben wir im Regelfall weniger Sonne. Dann haben wir auch noch Wasserkraft, insbesondere aus Staudämmen. Die kann vor allem dann genutzt werden, wenn Elektrizität besonders knapp ist. Und natürlich Bioenergie, die wir nicht dann betreiben sollten, wenn wir besonders viel Sonne oder Wind haben, sondern genau in den schwächeren Zeiten. Am Ende des Tages haben wir noch Speicher, die wir nutzen können.

Radio FM4: Welche Entwicklungen sehen Sie für die Zukunft?

Christian Breyer: Wir werden vor allem deutlich mehr Bedarf an Elektrizität haben. Wir werden mehr Wärmepumpen haben und deutlich mehr Elektrofahrzeuge. Wir werden aber auch Elektrizität mit Luft und Wasser in synthetische Treibstoffe und Chemikalien umwandeln. Diesen flexiblen Bedarf kann man in die sonnenstarken und windstarken Zeiten verschieben, insbesondere wenn wir auf Wasserstoff und auf Wasserstoff aufbauende Treibstoffe und Chemikalien abzielen. Das kann man sehr gut an solche Wetterschwankungen anpassen. Wir dürfen auch unser wertvolles europäisches Verbundnetz nicht vergessen, wo wir uns in den unterschiedlichsten Regionen gegenseitig aushelfen können.

Radio FM4: Ist bei diesen Modellen auch der steigende Energiebedarf der Länder des Globalen Südens mit einberechnet? Gerade dort werden derzeit einige fossile Energieprojekte angestoßen.

Christian Breyer: Ja, die Schwellen- und Entwicklungsländer des Globalen Südens sind besonders wichtig. Nicht viele Forschungsteams sind hier aktiv. Mein Team hat mit deutlichem Abstand am meisten Arbeiten für diese entscheidende Region. Dies ist eine meiner Fundamentalkritiken, dass wir circa 60 Prozent aller Arbeiten für weniger als 10 Prozent der Weltbevölkerung (Europa) haben. Es gibt circa 70 Arbeiten zu Dänemark, so wichtig dies auch ist, es gibt quasi keine Arbeiten zu Ägypten mit 100 Millionen Einwohnern.
Dies liegt aber insbesondere an der Forschungsfinanzierung, die wird eben für die Nationalstaaten oder für Europa ausgeschrieben. Den Klimawandel bewältigen wir allerdings alle zusammen – weltweit, oder wir verlieren alle zusammen.

Radio FM4: Was muss passieren, damit die Versorgung bis 2050 komplett auf erneuerbare Energien umgestellt ist?

Christian Breyer: Dass wir das alles wissen, ist gut. Wenn es aber nicht in entsprechende Gesetze gegossen wird, hilft es nur bedingt. Man muss eine nachhaltige Energieversorgung einfach in die Verfassungen schreiben, damit man deutlich bessere Gewähr hat, dass diese Ziele tatsächlich auch erreicht werden. Dann können Gesetze und Verordnungen, welche in Konflikt mit einem solchen umfassenden Gemeinwohlziel stehen, angepasst werden, auch über den gerichtlichen Weg, wenn den politischen Akteuren dies nicht gelingt.
Wahlen sind hilfreich, um dem Nachdruck zu verleihen, Demonstrationen auf der Straße auch, wie die Jugend Europas eindrucksvoll gezeigt hat. Letztlich können alle ihren Beitrag leisten mit der Art, wie wir Energie nutzen – erneuerbar und so viel elektrisch wie möglich. Erneuerbare Elektrizität ist der Schlüssel. Alle benötigten Technologien sind bekannt. Sie müssen angewandt und massiv ausgerollt werden.

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