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Arctic Monkeys beim Sziget Festival

Sziget Festival

Ein Wiedersehen mit den Arctic Monkeys am Sziget Festival

Am letzten Tag auf der Donauinsel in Budapest treten die englischen Indierockhelden der Nuller Jahre als Headliner vom Sziget Festival auf. Ein Wiedersehen im Staubnebel.

Von Susi Ondrušová

Der „Sziget-Sand“ ist berühmt, das weiß man doch, erzählt eine Besucherin, die im Baumschatten in der Hängematte ihre Grippe auskuriert, um für den sechsten und letzten Festivaltag gestärkt zu sein. Aus Italien ist sie mit ihren Freundinnen angereist, aber ob sie wiederkommt, kann sie noch nicht sagen. Am letzten Tag ist die Sehnsucht nach sauberer Dusche und sauberer Luft größer als die Sehnsucht nach Livemusik, die sie und ihre Freundinnen nach Budapest gebracht hat. Erschöpfung macht sich breit, Kräfte sammeln für eine letzte Bühnenwanderung. Die Maskendichte ist deutlich höher als noch zu Beginn des Festivals.

Eine Staubwolke liegt über dem Gelände. Die Flächen vor den Bühnen, am Campingplatz und in den Konsumalleen sind komplett ausgetrocknet, hunderttausend Füße, die das Gelände abwandern, zermalmen die letzten Grashalme. Überall liegt dieser graubraune, feinstkörnige Staub, der berühmte Sziget-Sand. Nova-Rock-Wüste hoch 10. Ein Mad-Max-Filmset. Die wenigen Wasserkanonen am Gelände helfen dem Boden zwar auch nicht mehr, aber wenigstens gibt es ein bisschen eine Abkühlung und eine kleine staubfreie Zone mit Wassersprenkler.

Bei aller Liebe zum Line-up und dem vielfältigen Spaßangebot auf dem Sziget Festival, sich nach zwei Jahren Stillstand erst recht nur mit Maske am Gelände bewegen können, ist ein bitteres Comeback. Dem Alltag entfliehen schaut anders aus. Und dann kommt noch die Stimmbänderentzündung von Sam Fender dazu. Wegen Krankheit musste es seinen ersten Ungarn-Gig am Sziget Festival kurzfristig absagen. Gitarrentrost fand man am letzten Festivaltag bei Inhaler oder den Fontaines DC. Dazwischen gab es ein Wiedersehen oder für alle, die keine Sicht ergattern konnten, ein Wiederhören mit den Headlinern Arctic Monkeys.

Mit einem Auftritt am Volt Festival 2014 und am Sziget Festival 2018 war es der dritte Auftritt der Band aus Sheffield in Ungarn. Im Rahmen ihrer aktuellen Tour spielen sie ein paar ausgewählte Einzelshows (Prag und Istanbul) und machen den Spätsommer-Festivalrundgang (Sziget, Lowlands, Pukkelpop zum Beispiel). Das letzte Lebenszeichen der Band war 2020 ihr Album „Live At The Royal Hall“. Ein Charity Release für War Child UK, um mit dem Erlös die pandemiebedingten Spendenausfälle der Hilfsorganisation zu kompensieren. Bei den ganz wenigen Interviews, die die Band in den letzten Jahren gegeben hat, hat sich vor allem Drummer Matt Helders als Plaudertasche herausgestellt.

Das Arctic-Monkeys-Album Nummer 7 sei so gut wie fertig, meinte er. Die Band wird nie wieder wie „R U Mine“ klingen, und die neuen Songs setzen dort an, wo „Tranquility Base Hotel & Casino“ geendet hat. Was das in Hits übersetzt bedeutet, können nur Alex Turner, Matt Helders, Jamie Cook, Nick O’Malley oder die Plattenfirma der Arctic Monkeys beantworten. Wann ein neuer Singlevorbote erscheint, ist noch nicht an die Öffentlichkeit gedrungen, aber nur wenige Bands gehen im Spätsommer auf Tour, ohne einen Hintergedanken nach Aufmerksamkeit zu haben und ohne einen Plan für Herbst 2022 oder Frühjahr 2023.

Apropos Aufmerksamkeit: Für eine Band, deren (Teil-)Erfolg Anfang der Nuller dem Internet und der damaligen Social Media Platform Myspace zugerechnet wurde, hat sich die Band mit diesem World Wide Web nicht sehr angefreundet. Vielleicht reicht ihr bisheriges Werk, die Auszeichnungen als beste britische Band und ihr Ruf als Retter des Indie-Rock’n’Rolls, um im neuen Jahrhundert nicht nur die alten, nun erwachsenen Fans zu begeistern, sondern auch, um neue Fans zu gewinnen. Manchen Fans reicht die Dramatik der poetischen Worte und mitreißenden Riffs, andere wollen Ansprache. Wenn schon nicht auf TikTok, dann bitte auf der Bühne.

22 Sätze hat Alex Turner beim Sziget Festival während dem 21 Songs dauernden Auftritt auf der Bühne gesagt. Zwei Sätze waren an die Band gerichtet, einmal gab es nur Laute in Form eines „Whoohoooo“. Er fragte dreimal, wie es dem Publikum geht, und auf Zuruf hat er einem Fan aus der ersten Reihe geantwortet: „I’m very well, thank you for asking.“ Ein Satz war ein „It’s the Arctic Monkeys!“ Einmal wurde ein Songtitel angesagt, der Rest waren Dankeschöns. Ja, „from the bottom of my heart“. Beim allerletzten Song im Set meinte Alex Turner „I just got one more question for you: ARE YOU MINE?“ Eigentlich nicht.

Aber der Applaus lässt mich allein dastehen. Zugegeben, Arctic Monkeys waren nie eine Band der vielen Worte. Aber. Vielleicht sollte man die Idee eines kollektiven Festivalabends nach zwei Jahren Pandemie überdenken und von der Idee, ein Gig ist wie eine Ausstellung hinter Glas, weggehen.

Das Gefühl, dass die Band in ihrer Performance unnahbar ist und kein erhoffter Livefunke überspringt, ist natürlich auch der Tatsache geschuldet, dass man sich überall außer in der Mitte vom Bühnenfeld bewegen möchte, wo man theoretisch besseren Blick auf die Band hätte, aber auch dort, wo die Staubwolke am höchsten und die Besuchermasse am dichtesten ist. Ich beneide die Gruppe holländischer Fans um ihre mitgebrachten Campingsessel und frage mich, ob sie ihren Plan, sich eine Sesselpyramide zu bauen, ausgeführt haben.

Ein solider Auftritt der Arctic Monkeys ist besser als ein schlechter Auftritt der Strokes, ja okay. Aber das kann nicht alles gewesen sein. Sie können nicht alles gegeben haben. Da muss noch etwas passieren mit dieser Band in diesem Jahr.

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