FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Kasabian in einem leeren Raum

Sony Music

Kasabian suchen einen Neuanfang

Vor zwei Jahren warfen Kasabian ihren Sänger raus. Nun ist das erste Album der so erfolgreichen englischen Band ohne Tom Meighan erschienen. Bei „The Alchemist’s Euphoria“ übernimmt Songwriter und Gitarrist Serge Pizzorno nun erstmals komplett die Vocals. Das klappt durchaus ganz gut. Kasabian auf der Suche nach dem Neuanfang.

Von Eva Umbauer

Wer soll nun die großen Refrains singen bei Kasabian, wenn Tom Meighan nicht mehr dabei ist? Das war mein erster Gedanke, als vor zwei Jahren die Meldung kam, Kasabian hätten sich von ihrem Sänger getrennt. Tom Meighan war tags zuvor wegen häuslicher Gewalt verurteilt worden, er entging einer Gefängnisstrafe und wurde zu gemeinnütziger Arbeit verdonnert. Seine Partnerin, die er attackiert hatte, stand dennoch zu ihm, inzwischen ist das Paar sogar verheiratet. Der Lockdown, zu viel Alkohol, etc. - so erklärte Tom Meighan seine Tat. Kasabian-Mastermind Serge Pizzorno war es dennoch zu viel. Das Fass war übergelaufen, die Chemie zwischen Serge und Tom wohl schon etwas länger nicht mehr so gut.

Albumcover von Kasabians "The Alchemist's Euphoria": Ein futuristischer Roboterhelm

Sony Music

„The Alchemist’s Euphoria“ von Kasabian ist bei Sony Music erschienen.

Nach mehr als zwanzig gemeinsamen Jahren gab es keinen Platz mehr bei Kasabian für Tom Meighan. Letzterer arbeitet nun an einem Soloalbum, drückte zuletzt aber aus, er hoffe, dass die Tür bei Kasabian eines Tages wieder für ihn offen stehen würde. Bei Bands ist meist alles möglich, aber es sieht so aus, als ob Serge Pizzorno absolut abgeschlossen hätte mit Tom Meighan, dem Bandmitbegründer und Freund aus Kindheitstagen in der mittelenglischen Stadt Leicester, wo Kasabian Ende der 1990er Jahre entstanden sind. „The Alchemist’s Euphoria“ ist der siebte Longplayer von Kasabian, die zu den größten Bands in Großbritannien zählen.

Wer soll also nun die großen Refrains gut verkaufen, die Britpop-Baritonstimme von Tom Meighan ersetzen, und seinen ich-scheiß-mir-nichts-Swagger? Serge Pizzorno ist dafür nicht ganz der richtige Typ, auch wenn er in der Vergangenheit bei Kasabian ja immer wieder auch gesungen hat. Aber zuletzt sind diese großen Refrains bei der Band ohnehin ein wenig seltener geworden. Wo ist ein neues „Days Are Forgotten“ oder ein neues „Fire“?

Weg vom „Lad-Rock“

Fast scheint es ja, als ob Serge Pizzorno froh wäre, dass Tom Meighan nimmer dabei ist und er Kasabian nun in eine etwas andere Richtung führen kann - weg vom „Lad-Rock“, der Kasabian ja immer angehaftet ist, den die Band aber ohnehin nie ausschließlich im Programm hatte, hin zu Komplexerem und noch Modernerem. Aber bevor es hier zu etwaigen Unterstellungen kommt, Serge Pizzorno beteuert in Interviews immer wieder, wie schlimm der Abgang von Tom Meighan für ihn und die anderen bei Kasabian war.

„The summer when Tom left was absolutely heartbreaking. It felt like leaving home and coming back and seeing it burnt down, walking round the ashes, seeing old pictures and artefacts and picking things up and sifting through the destruction. It was an intense time.“

Jetzt ist der Kopf von Serge Pizzorno schon klarer: „That was then and this is now“, sagt er lapidar über die neuen Kasabian. Klar stellte sich die Band auch die Frage, ob es Sinn machen würde, weiterzumachen. Es war eine Achterbahn der Gefühle. Und, so ein ehrlicher Serge Pizzorno, was sollten sie sonst machen, er und seine verbliebenen Bandkollegen? Kasabian ist das Leben von Serge Pizzorno, Kasabian ist sein Lebenswerk. Die neue Platte hat er, wie schon alle sechs bisherigen Kasabian-Platten, in seinem Studio geschrieben und komponiert. Es war nicht anders als bisher, nur, dass eben Tom nicht mehr gekommen ist, um die Songs dann einzusingen.

Plötzlich Mick Jagger statt Keith Richards

Es gibt viele Ideen auf „The Alchemist’s Euphoria“. Serge Pizzorno, der seit dem Weggang von Tom Meighan nun nicht mehr, wie er sagt, Keith Richards, sondern plötzlich Mick Jagger war, hat sie alle zusammengebraut in seinem Studio im Garten seines Hauses in Leicester. Serge Pizzorno - eigentlich Sergio Pizzorno, Brite mit italienischen Wurzeln - selbst ist natürlich der Alchemist aus dem Albumtitel „The Alchemist’s Euphoria“. Die Alchemie ist eine mittelalterliche Geheimlehre, in der Elemente der Chemie mit Zauberkunst vermischt waren. Nach dem ersten Schock dann also eine Art Euphorie bei den Sänger-losen Kasabian, wenn Serge Pizzorno wieder eine zündende Song-Idee hatte.

„There’s a euphoric, beautiful arms-in-the-air moment then goes back to this ferocious, heavy beat.“ - Serge Pizzorno über „Scriptvre“

Serge Pizzorno veröffentlichte vor zwei Jahren ein Soloalbum unter dem Namen The SLP, wo er auch rappte. In diese Richtung geht er nun auch mit Kasabian ein wenig, aber nicht ganz. Der Rave-Rock vom neuen Kasabian-Album funktioniert dann vielleicht auch am besten, wenn Serge fast wie über einen Track von The Prodigy rappt, wie etwa bei „Rocket Fuel“, das auch einen großen Refrain hat. Der große Sänger ist Serge eher nicht. Darum gab es ja bei Kasabian einen Sänger namens Tom Meighan. Serge war, wenn man so will, der Kopf von Kasabian und Tom der Bauch, der eine war das Hirn, der andere das Herz. Jetzt fehlt dieses Zusammenspiel bei Kasabian, auch wenn Serge Pizzorno sein Bestes gibt, um seiner neuen Rolle als Frontmann gerecht zu werden.

Das heißt, es gibt am neuen Kasabian-Album auch Uptempo-Rock für das Moshpit, aber es gibt auch sehr zeitgemäß zusammengefitzelte Kompositionen - mehr nach R&B-Art gebaut als mit Gitarre und Notizblock komponiert. Ein Song heißt trotzdem „Strictly Old Skool“ und er klingt tatsächlich etwas traditioneller.

Es gibt auch große Refrains

In einem anderen Song, „Stargazer“, singt Serge Pizzorno mit etwas zu wenig präsenter Stimme, aber dennoch einen hineinziehend „Stargazing tonight, looking out over the horizon, waves crashing so high, I was waiting to ride them.“ Serge Pizzorno reitet eine mächtige Welle, gibt sich tapfer, gar euphorisch, auf eine zurückgenommene Art, dem wildbewegten Meer hin, es geht nicht anders, muss jetzt so sein. Die Welle baut sich auf, wird immer größer...

„The Wall“ ist richtig hübsch mit dieser Gitarre und dem Piano, und einem sehnsuchtsvollen Serge Pizzorno. Es ist der erste von drei irgendwie zusammengehörenden Tracks in der Mitte des Albums, gefolgt von „T.U.E. (the ultraview effect)“ und „Stargazer“. „T.U.E.“ bringt Entspannung und erinnert an Pink Floyd, inklusive Nick Masons Art zu trommeln. Und weil ich fast schon besessen bin auf der Suche nach großen Refrains am neuen Kasabian-Album: „Chemicals“ hat einen.

„The Alchemist’s Euphoria“ wurde zusammen mit Fraser T. Smith produziert. „It was amazing to have a genius at the wheel to help oversee“, sagt Serge Pizzorno, „It was a great opportunity to work with someone who wasn’t so close. Making a record consumes the hell out of me and becomes this obsession. I can get so close to it that I miss things, but he would encourage me to take things further. He was an amazing foil to have.“

Dieses siebte Album von Kasabian ist der Neuanfang einer Band. Nachdem dieses neue Kasabian-Album wieder Platz Eins in den britischen Albumcharts erreichte - so wie jedes Kasabian-Album bis auf das ganz erste - wird das Aus von Tom Meighan wohl keinen größeren Einfluss auf den Erfolg der Band haben. Außerdem haben die neuen Kasabian schon einige Konzerte gespielt, mit durchaus gelungener Atmosphäre. Serge Pizzorno scheint inzwischen ein wenig große Performer wie Iggy Pop studiert zu haben, oder auch jüngere wie Kendrick Lamar. Die neuen Kasabian, es ist noch nicht ganz, aber es wird, Serge, es wird.

mehr Eva Umbauer:

Aktuell: